Wachstumschancengesetz: Verbesserung der ertragsteuerlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten (Teil 11)

28.07.2023 | FGS Blog
Markus Suchanek      Dr. Gary Rüsch

Das Bundesministerium der Finanzen hat am 14. Juli 2023 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) veröffentlicht (Überblick). Darin sind auch Maßnahmen zur Verbesserung der ertragsteuerlichen Verlustverrechnung vorgesehen. Ziel ist es, eine zügigere Verrechnung von bereits entstandenen Verlusten zu ermöglichen – ein Punkt, der schon lange und insbesondere in den Krisenjahren 2020/21 verstärkt von Wissenschaft und Praxis gefordert wird. Hintergrund ist, dass die Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht in vielen Bereichen asymmetrisch ausgestaltet ist: Während Gewinne sofort versteuert werden müssen, führen Verluste oft nicht zu direkten Steuererstattungen. Für Steuerpflichtige ist das nicht nur mit Zins- und Liquiditätsnachteilen verbunden, sondern kann teilweise zu Definitiveffekten führen, soweit Verluste endgültig nicht mehr nutzbar sind. Eine Verbesserung der Verlustverrechnung trägt also zu einer Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit bei. Wie stark Steuerpflichtige von den derzeitigen Regelungen betroffen sind, zeigt die Kostenfolgenabschätzung des vorliegenden Entwurfs: Die volle Jahreswirkung der geplanten Verlustverrechnungsmaßnahmen wird auf ca. 3,15 Mrd. Euro geschätzt, die Validität der Zahlen vorausgesetzt.

Ausweitung des Verlustrücktrags

Der Entwurf sieht zunächst eine Ausweitung des einkommen- und körperschaftsteuerlichen Verlustrücktrags (§ 10d Abs. 1 EStG) vor. Gewerbesteuerlich ist keine Änderung geplant, weil hier generell kein Verlustrücktrag möglich ist.

Der Verlustrücktrag ermöglicht, nicht ausgeglichene Verluste eines Jahres mit Gewinnen aus Vorjahren zu verrechnen. Das führt zu einer Senkung des zu versteuernden Einkommens im entsprechenden Jahr und folglich zu einer nachträglichen Steuererstattung. Dadurch kann sich die Liquidität von Steuerpflichtigen verbessern. Zugleich werden starke Investitionsanreize gesetzt.

Bisher ist der Verlustrücktrag auf 1 Mio. Euro (Ehegatten: 2 Mio. Euro) und zwei Jahre beschränkt. Lediglich für die Jahre 2020 bis 2023 wurden die Beträge zur Krisenbewältigung temporär auf 10 Mio. Euro (Ehegatten: 20 Mio. Euro) erhöht. Durch das Wachstumschancengesetz sollen diese Beträge nun dauerhaft beibehalten werden. Zudem ist ab dem Jahr 2024 eine Erweiterung des Verlustrücktrags auf die letzten drei Jahre vorgesehen. Eine zeitliche Befristung enthält der Entwurf für diese Maßnahme nicht.

Temporäre Aussetzung und künftige Entschärfung der Mindestbesteuerung

Der Entwurf sieht außerdem eine temporäre Aussetzung und künftige Entschärfung der Mindestbesteuerung in der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer (§ 10d Abs. 2 EStG; § 10a GewStG) vor.

Durch die Mindestbesteuerung kann ein bestehender Verlustvortrag in späteren Jahren nicht sofort mit Gewinnen verrechnet werden, sondern maximal in Höhe von 1 Mio. Euro (Ehegatten: 2 Mio. Euro) und darüber hinaus nur in Höhe von 60 % des übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte. Verbleibende Beträge sind weiter vorzutragen. Die Streckung der Verlustverrechnung soll ausweislich der damaligen Begründung im Rahmen der gesetzgeberischen Einfügung dem Staat eine größere Planungssicherheit bezüglich der Einnahmen ermöglichen, geht für Steuerpflichtige aber mit nicht unerheblichen Zins- und Liquiditätsnachteilen einher und kann regelmäßig auch Definitiveffekte haben, soweit Verluste endgültig nicht mehr nutzbar sind.

Durch das Wachstumschancengesetz soll nun die Mindestbesteuerung in den Jahren 2024 bis 2027 zunächst vollständig ausgesetzt werden. Eine Forderung, wie sie bereits im Jahr 2020 vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen formuliert worden ist. Zum damaligen Zeitpunkt konnte man sich zu dieser Maßnahme – unter anderer Hausleitung – jedoch nicht durchringen. Ab dem Jahr 2028 soll die Mindestbesteuerung wieder greifen, dann aber mit einem verzehnfachten Sockelbetrag von 10 Mio. Euro (Ehegatten: 20 Mio. Euro).

Die temporäre Aussetzung und künftige Entschärfung der Mindestbesteuerung wäre für Steuerpflichtige vor allem dann positiv, wenn sie Verluste vor sich hertragen. Zukünftig könnten Verluste zunächst ohne betragsmäßige Begrenzung und danach im größeren Umfang von zukünftigen positiven Einkünften abgezogen werden.

Ob die Aussetzung der Mindestbesteuerung in dieser Form kommt, ist jedoch ungewiss. Der Referentenentwurf ist hinsichtlich der Aussetzung der Mindestbesteuerung mit einem ausdrücklichen Vorbehalt gekennzeichnet, weil der Vorschlag in der Ressortabstimmung „noch geeint“ werden muss. Die Beteiligungen der Ressorts zum Entwurf einer Gesetzesvorlage sind in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) detailliert geregelt. Bevor der Entwurf einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung zum Beschluss vorgelegt wird, hat das federführende Bundesministerium u.a. die von dem Gesetzesentwurf betroffenen Bundesministerien einzubeziehen. Bei Entwürfen des Finanzministeriums wird für gewöhnlich mindestens das Wirtschaftsministerium einbezogen. Konfliktpotenzial ist hier nicht unwahrscheinlich.

Zudem bleibt abzuwarten, ob eine weitere Anpassung der Mindestbesteuerung erforderlich sein wird. Zwar ist die Mindestbesteuerung an sich verfassungsgemäß, sie kann aber dazu führen, dass nicht verrechenbare Verluste endgültig untergehen. Solche Definitiveffekte kommen in der Praxis regelmäßig beim Tod des Steuerpflichtigen, einer Insolvenz oder Umwandlung vor. Der Bundesfinanzhof hält das für verfassungswidrig und hat die Frage bereits vor knapp zehn Jahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Entscheidung aus Karlsruhe ist noch für das Jahr 2023 angekündigt.

 

Der Referentenentwurf zum Wachstumschancengesetz enthält eine Vielzahl steuerlicher Maßnahmen für Unternehmen. Die folgenden Maßnahmen werden in dieser Blog-Reihe tiefergehend betrachtet: