Die Corona-Pandemie hat Anfang 2020 viele Unternehmen dazu gezwungen, ihre Arbeitsmodelle umzustellen und ihren Mitarbeitern das Arbeiten von zu Hause (Homeoffice) zu ermöglichen. Dieses Modell wurde auch nach der Pandemie häufig aufrechterhalten, sodass das Homeoffice mittlerweile eine feste Konstante im alltäglichen Berufsleben geworden ist.

Aus steuerlicher Sicht ist bei einem regelmäßigen Tätigwerden des Arbeitnehmers in dessen privater Wohnung stets fraglich, ob hierdurch möglicherweise eine Betriebsstätte des Arbeitgebers begründet wird. In grenzüberschreitenden Fällen wären die steuerlichen Folgen mitunter gravierend: Ein ausländisches Unternehmen könnte mit einem inländischen Arbeitnehmer beschränkt steuerpflichtig werden. Hieran würden u.a. umfassende Betriebsstättengewinnermittlungs- sowie Anzeige- und Dokumentationspflichten anknüpfen. Selbst in reinen Inlandsfällen hätte die Annahme einer Homeoffice-Betriebsstätte steuerliche Folgen insb. mit Blick auf die Gewerbesteuer.

„Knackpunkt“ bei der Frage, ob das Homeoffice eines Arbeitnehmers eine Betriebsstätte seines Arbeitgebers ist, ist insb. das Kriterium der Verfügungsmacht. Denn gemäß der Rechtsprechung des BFH können nur solche Räumlichkeiten eine Betriebsstätte begründen, über die der Arbeitgeber eine hinreichende Verfügungsmacht (bspw. aufgrund Eigentums oder Miete) besitzt. Bislang hatte sich das Bundesfinanzministerium (BMF) lediglich zu pandemiebedingten Tätigkeiten im Homeoffice positioniert (und die Begründung einer Homeoffice-Betriebsstätte grundsätzlich abgelehnt). Mit dem am 20.2.2024 veröffentlichten Update des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) bezieht die Finanzverwaltung nun erstmals allgemeingültig Stellung:

Neuer AEAO zu § 12 Nr. 4

Nach Auffassung der Finanzverwaltung begründet die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in dessen häuslichem Homeoffice im Regelfall keine Betriebstätte des Arbeitgebers (sowohl nach AO als auch nach DBA). Dies gilt nach Auffassung des BMF auch bei:

  • Übernahme der Kosten für das Homeoffice und dessen Ausstattung durch den Arbeitgeber;
  • Vermietung der Räumlichkeiten des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber (außer der Arbeitgeber ist im Einzelfall tatsächlich befugt, die Räume anderweitig zu nutzen) sowie
  • Fällen, in denen dem Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird.

Begründet wird diese Sichtweise mit dem Umstand, dass der Arbeitgeber typischerweise nicht über eine ausreichende Verfügungsmacht über die häuslichen Räumlichkeiten des Arbeitnehmers verfüge. Ausnahmsweise könne aber eine Verfügungsmacht des Unternehmens über die Räumlichkeiten angenommen werden, wenn ein Arbeitnehmer „Leitungsfunktionen“ ausübt und diese Verfügungsmacht des Unternehmens vermitteln.

Einordnung

Das Thema Homeoffice-Betriebsstätten wurde erstmals im OECD-Musterkommentar Update 2017 behandelt. Nach dem OECD-Musterkommentar – welcher für Gerichte und Finanzverwaltung nicht bindend ist und lediglich als „Auslegungshilfe“ betrachtet wird – kann ein Homeoffice in Ausnahmefällen eine Betriebsstätte des Unternehmens begründen. Ein solcher Ausnahmefall kann beispielsweise vorliegen, wenn eine Vereinbarung zur dauerhaften Heimarbeit besteht oder falls dem Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz beim Unternehmen zur Verfügung steht. In solchen Fällen sei davon auszugehen, dass das Homeoffice dem Unternehmen zur Verfügung stehe.

Aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Verfügungsmacht lässt sich demgegenüber eine eher restriktive Sichtweise entnehmen: Eine ausreichende Verfügungsmacht setzt hiernach eine dauerhafte Nutzungsbefugnis des Arbeitgebers über die nämlichen Räumlichkeiten des Arbeitnehmers voraus. Nach einer älteren Entscheidung des BFH begründet selbst eine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber ein Büro an seinem privaten Wohnsitz zur Verfügung zu stellen, keine Verfügungsbefugnis und somit auch keine Betriebsstätte (vgl. BFH v. 10.11.1998 – I B 80/97). Zu beachten ist allerdings, dass in der neueren Rechtsprechung des BFH ein gewisses „Aufweichen“ des Kriteriums der Verfügungsmacht – zumindest bei sog. Dienstleistungs-Betriebsstätten – erkennbar ist. Es könnte daher sein, dass sich die Rechtsprechung mit Blick auf Homeoffice-Tätigkeiten ebenfalls weiterentwickelt.

Bislang war nicht erkennbar, wie sich die deutsche Finanzverwaltung positionieren würde. Die nunmehr „klare“ Verwaltungsanweisung im AEAO ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Problematisch wird aber der Umstand sein, dass viele OECD-Mitgliedstaaten der Auslegung des Musterkommentars folgen und das Kriterium der Verfügungsmacht weiter auslegen. Daneben wird das Kriterium der Verfügungsmacht in manchen Ländern teilweise noch weiter als im OECD-Musterkommentar verstanden: So nimmt beispielsweise die österreichische Finanzverwaltung eine „faktische Verfügungsmacht“ des Arbeitgebers über die Räumlichkeiten des Arbeitnehmers an, wenn die Tätigkeit zu mindestens 50% im Homeoffice erbracht wird. Entsprechend dürfte mit einer Zunahme von Qualifikationskonflikten zu rechnen sein.

Daneben erscheint es zweifelhaft, inwiefern „Leitungsfunktionen“ eines Arbeitnehmers eine Verfügungsmacht des Unternehmens begründen können. Auch bei leitenden Angestellten mit – wie auch immer verstandenen – Leitungsfunktionen dürfte sich keine dauerhafte Nutzungsbefugnis des Unternehmens über die Räumlichkeiten ergeben.

Ausblick

Angesichts des latent vorhandenen Betriebsstätten-Risikos waren Unternehmen stets zurückhaltend, ihren Arbeitnehmern eine „grenzüberschreitende“ Homeoffice-Tätigkeit zu erlauben. Dies wird sich auch im Lichte des vorliegenden Updates das AEAO und der klaren Positionierung des BMF nicht ändern, denn auch im Ausland wird die Beurteilung von Homeoffice-Tätigkeiten zu klären sein. Daneben bleibt abzuwarten, wie sich die BFH-Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der „Verfügungsmacht“ weiterentwickelt.

------

Das Bundesfinanzministerum hat eine auf den 5. Februar 2024 datierte Neufassung des AEAO zu § 12 AO veröffentlicht. In dem Update wird das Verständnis des Begriffs „Betriebsstätte“ deutlich ausführlicher dargelegt als dies bislang der Fall war, daneben wird auch die Auffassung der Finanzverwaltung zum Ort der Geschäftsleitung durch den AEAO zu § 10 AO nunmehr artikuliert. Unsere Kollegen Sven-Eric Bärsch und Daniel Keuper geben in ihrem Blog-Beitrag einen ersten Überblick.

Begründet die Einschaltung einer Dienstleistungsgesellschaft eine Betriebsstätte? Diese für die Immobilenbranche bedeutsame Frage war in der Vergangenheit Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Auch hierzu positioniert sich die Finanzverwaltung in dem Update des AEAO. Unsere Kollegen Carsten Quilitzsch, Gabriel Hörnicke und Stefanie Rötting erläutern die Details in einem weiteren Blog-Beitrag zu diesem Thema.