Der grunderwerbsteuerliche Ergänzungstatbestand § 1 Abs. 2b GrEStG feierte kürzlich den ersten Geburtstag. Seine Einführung warf vielfältige Rechtsunsicherheiten auf. Nun ist ein Ländererlass zu § 1 Abs. 2b GrEStG erschienen. Zugleich veröffentlichte die Finanzverwaltung auch einen überarbeiteten Erlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG. Was bringen die Erlasse Neues? Nachfolgend zehn zentrale Aspekte.

1. Zurechnung von Grundstücken für Zwecke von § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG

Ein in der Praxis kontrovers diskutiertes Thema ist die Frage, wann ein Grundstück für Zwecke des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG einer Personen- bzw. Kapitalgesellschaft „gehört“. Die neuen Erlasse beschränken sich in diesem Zusammenhang darauf, die bereits in dem bisherigen Erlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG aus dem Jahr 2018 enthaltenen Ausführungen zu wiederholen. Die Ausführungen lehnen sich dabei weitgehend an die BFH-Rechtsprechung an, welche erst kürzlich durch den BFH bestätigt wurde.

2. Fehlende Rangfolge zwischen § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG

Gemäß den Erlassen sind § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG gleichrangig und es besteht kein Vorrangverhältnis zwischen den beiden Normen. Diese Feststellungen der Finanzverwaltung lässt befürchten, dass die Finanzverwaltung es in für möglich hält, dass ein Grundstück zugleich einer Personengesellschaft und einer Kapitalgesellschaft zuzurechnen sein kann. Dies birgt insbesondere in Konzernstrukturen das Risiko einer mehrfachen grunderwerbsteuerlichen Erfassung von Anteilsübertragungen. Unter Berücksichtigung des kürzlich veröffentlichten BFH-Urteils II R 44/18 dürfte diese Auffassung jedoch nicht haltbar sein.

3. Klarstellung zur Erstanwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG bei mittelbaren Gesellschafterwechseln

Nach § 23 Abs. 23 GrEStG bleiben bei der Anwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG Übergänge von Anteilen vor dem 1.7.2021 unberücksichtigt. Die Erlasse zu den Übergangsvorschriften stellten zusätzlich klar, dass auch alle vor dem 1.7.2021 Beteiligten als Altgesellschafter für Zwecke des § 1 Abs. 2b GrEStG gelten.

4. Ende der „Ewigkeitsthese“

1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG stellen auf einen Zehnjahreszeitraum ab. Bisher vertrat die Finanzverwaltung, dass dieser Zeitraum nicht zur Anwendung komme, wenn geprüft wird, ob beteiligte Kapitalgesellschaften sog. Neugesellschafter sind. Stattdessen gelte für letztere Gesellschaften keine zeitliche Begrenzung (sog. Ewigkeitsthese). In den neuen Erlassen ist kein entsprechender Hinweis mehr enthalten, sodass der nun maßgebliche Zehnjahreszeitraum auch auf Ebene von beteiligten Kapitalgesellschaften anzuwenden sein sollte.

5. Vorerst keine Änderung der Treuhandgrundsätze

Die im bisherigen Erlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG enthaltenen Grundsätze zu Treuhandvereinbarungen sind unverändert in den neuen Erlassen zu § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG enthalten. Damit sind die Treuhandgrundsätze weiterhin nicht adäquat in die „neue grunderwerbsteuerliche Welt“ integriert, die der BFH durch die Einführung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geschaffen hat.

6. Formwechsel verschärft und inkonsistent geregelt

Der bisherige Erlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG enthielt spezielle Aussagen zur Behandlung von Formwechseln. Die Finanzverwaltung hat nun ihre bisherige Auffassung zu Formwechseln korrigiert und deutlich verschärft, da sie offenbar befürchtet, dass ihre bisherige Auffassung unerwünschte Gestaltungen begünstigt. Die neue Auffassung der Finanzverwaltung führt insbesondere dazu, dass durch einen Formwechsel kein Neulauf der Zählquotenberechnung erreicht werden kann. Im Ergebnis behandelt die Finanzverwaltung §1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG wie einen einheitlichen Tatbestand. Dies ist sachlich nachvollziehbar, widerspricht aber der Gesetzessystematik, in der bewusst zwei verschiedene Tatbestände nebeneinandergestellt wurden. Auffällig ist, dass die Auffassung der Finanzverwaltung insbesondere bei Formwechseln auf Ebene von beteiligten Gesellschaften vielfach inkonsistent zulasten des Steuerpflichtigen ist.

7. Signing/Closing-Problematik

Bei Einführung des § 1 Abs. 2b GrEStG kam die Diskussion auf, wie mit dem Umstand umzugehen ist, dass bei Abschluss eines Anteilskaufvertrags (Signing) über mind. 90 % der Anteile einer Grundstücksgesellschaft die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllt werden, während der § 1 Abs. 2b GrEStG erst beim Übergang der Anteile (Closing) verwirklicht wird. Die Verwaltung macht nun deutlich, dass sie Signing und Closing als zwei grunderwerbsteuerrechtliche Vorgänge ansieht. Durch bestimmte verfahrensrechtliche Abläufe soll jedoch sichergestellt werden, dass ein Grundstück nicht doppelt der Grunderwerbsteuer unterworfen wird. Steuerpflichtige müssen daran denken, sowohl beim Signing als auch beim Closing eine fristgerechte Grunderwerbsteueranzeige zu erstatten. Die Anzeigepflicht beim Signing ist nicht nur eine Compliancefrage, sondern ist auch für die Möglichkeit einer Rückabwicklung relevant.

8. Befreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG

Der Erlass zu § 1 Abs. 2b GrEStG bestätigt ausdrücklich, dass nach § 1 Abs. 2b GrEStG steuerbare Vorgänge in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 2 GrEStG fallen. Die Steuervergünstigungen nach §§ 5, 6 und 7 GrEStG sind hingegen erwartungsgemäß nach Verwaltungsauffassung nicht auf Kapitalgesellschaften anzuwenden.

9. Behandlung eigener Anteile

Eigene Anteile, die von der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft selbst gehalten werden, fließen nach der Verwaltungsauffassung nicht in die Zählquotenermittlung von § 1 Abs. 2b GrEStG mit ein, d.h. maßgebend ist, dass mindestens 90 % der nicht von der Kapitalgesellschaft selbst gehaltenen Anteile auf neue Gesellschafter übergehen.

10. Anteilsbegriff bei der KGaA

Im Erlass zu § 1 Abs. 2b GrEStG ist erstmals in einer Verwaltungsverlautbarung eine Aussage zur grunderwerbsteuerlichen Einordnung der besonderen Beteiligungsstruktur der KGaA enthalten. Danach dürften sowohl die Anteile der Kommanditaktionäre als auch die Vermögenseinlage des Komplementärs als „Anteile“ für Zwecke des § 1 Abs. 2b GrEStG zu werten sein. Allerdings sind die Aussagen des Erlasses missverständlich formuliert. Eine Klarstellung wäre wünschenswert.

Einen ausführlichen Beitrag zum Thema lesen Sie im kommenden Heft 33/2022 der DStR