Juristische Personen können sich in Deutschland nicht strafbar machen (siehe Blogbeitrag). Das deutsche Strafrecht kennt kein Unternehmensstrafrecht, weil juristische Personen nicht schuldhaft handeln können. Folglich kann ein Unternehmen auch nicht Angeklagter im Strafprozess sein. Der vieldiskutierte Entwurf des Verbandssanktionengesetzes aus dem Jahr 2020, mit dem Unternehmen die Stellung eines Beschuldigten erhalten und dann – vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter – zum Verfahrensbeteiligten in der strafrechtlichen Hauptverhandlung werden sollten, ist in der vergangenen Legislaturperiode der Diskontinuität anheimgefallen. (D.h., die im Parlament eingebrachte Gesetzesvorlage wurde nicht mehr vor dem Ende der Legislaturperiode behandelt und muss neu eingebracht werden.)
Nichtsdestotrotz kann eine juristische Person auch nach geltendem Recht bei unternehmensbezogenen Straftaten zur Verfahrensbeteiligten im Strafprozess werden. § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, Unternehmen mit einer Verbandsgeldbuße zu belegen. Voraussetzung dafür ist entweder, dass eine Leitungsperson des Unternehmens eine Pflicht verletzt hat, die die juristische Person trifft oder dass die juristische Person durch die Tat der Leitungsperson bereichert wurde. Von der Möglichkeit, eine Verbandsgeldbuße zu verhängen bzw. beim Gericht zu beantragen, machen die Strafverfolgungsbehörden immer häufiger Gebrauch. Nach anglo-amerikanischem Vorbild möchten sie ein Unternehmen dafür haftbar machen, dass eine Leitungsperson eine unternehmensbezogene Straftat begangen hat, die entweder finanziell dem Unternehmen zugutegekommen ist (z. B. die Bildung einer schwarzen Kasse oder die Durchführung von Cum/Ex-Geschäften) und/oder die durch hinreichende (Compliance-)Vorkehrungen hätte verhindert werden können (z. B. Korruptionsstraftaten). Den handelnden Täter isoliert mit einer Individualstrafe zu belegen spiegelt in den Augen der Ermittlungsbehörden das eher in der Unternehmensorganisation anzusiedelnde Unrecht oftmals nicht ausreichend wider. Eine weitere Motivation für die Ermittlungsbehörden, eine Verbandsgeldbuße zu verhängen, liegt darin, Geld in die Staatskasse bringen zu können.
Anders als bei der Verfolgung von Straftaten von Individualpersonen, für die das Legalitätsprinzip gilt, liegt die Verhängung einer Verbandsgeldbuße im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Es gibt auch keine Mindestbußgeldhöhen. Das Unternehmen kann sich somit bereits im Ermittlungsverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer Geldbuße nach § 30 OWiG anstrebt, bemühen, die Sanktion abzuwehren oder zumindest zu minimieren. Hierbei zahlt es sich aus, bereits frühzeitig den Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufzunehmen und ihr uneingeschränkte Kooperation zu signalisieren.
Besteht die Staatsanwaltschaft auf eine Verbandsgeldbuße, kann sie diese entweder selbst als Bußgeldbehörde im Wege des selbstständigen Verfahrens verhängen. In diesem Fall kommt es dann nicht zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung; stattdessen erfolgt die Bebußung im schriftlichen nicht-öffentlichen Verfahren. Alternativ kann die Staatsanwaltschaft bei Gericht beantragen, dem Unternehmen eine Verbandsgeldbuße aufzuerlegen. In diesem Fall hat das Gericht die Wahl, ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen zu führen. Es kann aber auch im Strafprozess gegen den Individualtäter die Nebenbeteiligung des Unternehmens anordnen (§ 444 StPO). Dann wird das Unternehmen zur Prozessbeteiligten in diesem öffentlichen Hauptverfahren und erhält die Stellung eines Angeklagten. Wie der Individualangeklagte hat auch das Unternehmen dann die Befugnis, Beweisanträge zu stellen und Zeugen aktiv zu befragen, um sich bestmöglich gegen die erhobenen Vorwürfe und ein mögliches Bußgeld zu verteidigen.
In einem einheitlichen Verfahren kann es allerdings zu Interessenkonflikten zwischen der Leitungsperson und dem Unternehmen kommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Tat des Leitungsorgans gegen das Unternehmen richtet. Auch auf der Ebene der Bußgeldzumessung können unvereinbare Interessenlagen entstehen: Während es im Unternehmensinteresse liegen kann, durch Kooperation mit den Ermittlungsbehörden die Geldbuße zu minimieren, kann es aus Sicht des Individualangeklagten geboten sein, sich gegen den Vorwurf der Tatbegehung insgesamt zu wehren, weil aus seiner Sicht beispielsweise kein Vorsatz gegeben ist. Es bietet sich daher an, die Verteidigungsstrategie des Unternehmens von vornherein unabhängig von der der Leitungsperson aufzubauen. Eine gemeinschaftliche Vertretung der juristischen Person und des Angeklagten im Strafverfahren ist wegen des Verbots der Mehrfachverteidigung ohnehin unzulässig.
Für die Bemessung der Verbandsgeldbuße ist entscheidend, dass diese nicht nur dazu dient, den Rechtsverstoß zu ahnden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen auch unrechtmäßige wirtschaftliche Vorteile beim Unternehmen abgeschöpft werden. Die Höhe des Ahndungsteils der Verbandsgeldbuße orientiert sich an dem die Leitungsperson treffenden Vorwurf, aber auch daran, inwieweit die Unternehmensorganisation die vorwerfbare Handlung begünstigt hat. Kann das Unternehmen einwenden, dass es seiner Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt hat (z. B. durch ein intaktes Compliance-Management-System), ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sanktionsmildernd zu berücksichtigen. Für den darüber hinaus etwaig hinzutretenden Abschöpfungsteil der Verbandsgeldbuße spielt die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils, den das Unternehmen durch die Tat erlangt hat, eine Rolle. Kann das Unternehmen deshalb spätestens in der Hauptverhandlung nachweisen, den wirtschaftlichen Vorteil bereits ausgeglichen oder minimiert zu haben, wirkt sich auch dies sanktionsmildernd aus. Eine aktive Rolle des Unternehmens in der Hauptverhandlung reduziert auch einen etwaigen Reputationsverlust des Unternehmens. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Prozess medial begleitet wird.