Bislang gibt es in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht. Unternehmen können sich deshalb weder strafbar machen, noch können sie Angeklagte in einer öffentlichen Hauptverhandlung sein. Eine juristische Person kann aber dennoch auf anderem Weg Prozessbeteiligte in einem Strafprozess werden. Der folgende Beitrag zeigt drei solcher Konstellationen auf. Einen vertiefenden Überblick über die einzelnen Fallgestaltungen geben wir in zeitnah erscheinenden Folgebeiträgen.
Das Unternehmen als Nebenbeteiligte
Trotz vieler politischer Bemühungen (vgl. hierzu Krause-Ablaß NZWiSt 2022, 377 ff.) sieht das deutsche Recht anders als viele andere Rechtsordnungen keine Unternehmensstrafbarkeit vor. Grund hierfür ist, dass das deutsche Strafrecht von der Leitlinie geprägt ist, dass sich die strafrechtlichen Sanktionen von Verfassungs wegen an der Höhe der „Schuld“ des Täters ausrichten. Als Schuld wird die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns verstanden. Eine juristische Person kann allerdings weder vorsätzlich noch fahrlässig handeln, so dass sie auch nicht Täterin einer Straftat sein kann.
Unternehmen können aber über § 30 OWiG durch die Justiz mit einer Verbandsgeldbuße belegt werden. In Wirtschaftsstrafverfahren machen die Staatsanwaltschaften immer häufiger Gebrauch von dieser Möglichkeit, da sie die einzige Möglichkeit bietet, Unternehmen für unternehmenstypische Straftaten haftbar zu machen. Voraussetzung für die Verhängung einer Geldbuße ist entweder, dass eine Leitungsperson des Unternehmens eine Pflicht verletzt hat, die die juristische Person trifft; alternativ reicht es aus, dass die juristische Person durch die Tat bereichert wurde. Neben der Verbandsgeldbuße bedarf es somit einer Anknüpfungstat einer natürlichen Person. Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage gegen diese Person erhebt, kann das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen die Nebenbeteiligung des Unternehmens anordnen (§ 444 StPO). Folge ist, dass das Unternehmen dann neben der natürlichen Person zur Prozessbeteiligten wird und grundsätzlich die Befugnisse eines Angeklagten erhält. Die Vertretung des Unternehmens erfolgt durch den jeweiligen gesetzlichen Vertreter. Wenn dieser der Hauptverhandlung fernbleibt, kann dennoch verhandelt werden.
Die Nebenbeteiligte hat die Befugnis, Beweisanträge zu stellen, um sich gegen die erhobenen Vorwürfe und das im Raum stehende Bußgeld zu verteidigen. Deshalb empfiehlt es sich, dem jeweiligen Vertreter des Unternehmens in der Hauptverhandlung anwaltlichen Beistand beiseitezustellen.
Das Unternehmen als Einziehungsbeteiligte
Darüber hinaus kann ein Unternehmen als so genannte Einziehungsbeteiligte zum Subjekt einer strafrechtlichen Hauptverhandlung werden. Durch die am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist die Einziehung von Taterträgen bei allen Straftaten obligatorisch. Die Einziehung folgt dem generalpräventiven Zweck „crime does not pay“, so dass jeglicher durch die Tat erlangte materielle Tatvorteil entzogen werden soll. Die Einziehung beschränkt sich insofern nicht auf den bereicherten Täter, sondern erstreckt sich auch auf straftatunbeteiligte Dritte. Selbst wenn ein Strafverfahren gegen einen potenziellen Täter wegen Verjährung nicht mehr durchgeführt werden kann, kommt ein selbständiges Abschöpfungsverfahren beim bereicherten Dritten in Betracht (s. auch Blogbeitrag). Im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ist es kein Randphänomen, dass die durch Straftaten erlangten Vermögenswerte einer juristischen Person zufließen und diese dann bei ihr abzuschöpfen sind. Praxisrelevant ist etwa die vom Geschäftsführer zum Vorteil der GmbH begangene Steuerhinterziehung. Die GmbH ist in diesem Fall als Einziehungsbeteiligte (§ 424 Abs. 1 StPO) Prozesssubjekt in der gegen den Geschäftsführer geführten öffentlichen Hauptverhandlung. Die GmbH hat im Prozess dann grundsätzlich dieselben Befugnisse wie der angeklagte Geschäftsführer und kann sich durch einen Rechtsbeistand vertreten lassen. Insbesondere, wenn das Unternehmen Einwendungen gegen den von den Behörden behaupteten Vermögenszufluss in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vorbringen möchte, sollte hiervon Gebrauch gemacht werden.
In Steuerstrafverfahren ist das Unternehmen nicht nur der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ausgesetzt, sondern wird regelmäßig auch von den Finanzbehörden auf Zahlung der hinterzogenen Steuerbeträge in Anspruch genommen (vgl. Krause-Ablaß, wistra 2023, S. 424 ff.). Die damit einhergehende Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme erfordert eine abgestimmte Verteidigung in der strafrechtlichen Hauptverhandlung und gegenüber den Finanzbehörden.
Das Unternehmen als Nebenklägerin
Führte die Nebenklage zumindest in Großverfahren lange ein Schattendasein, ist sie durch das NSU- und das Love-Parade-Verfahren wieder populär geworden. Durch die Nebenklage wird dem Geschädigten einer Straftat die Möglichkeit eingeräumt, aktiv auf den gegen den Täter laufenden Strafprozess Einfluss zu nehmen (vgl. zum Nebenklagerecht Weißer/Duesberg, Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2023, Vor § 395-402 StPO). Voraussetzung ist grundsätzlich, dass ein von § 395 StPO erfasstes Delikt verwirklicht ist. Für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts sind insbesondere die in § 395 Abs. 1 Nr. 6 StPO genannten Tatbestände zum Schutz des geistigen Eigentums bedeutsam. Beispielsweise der Geheimnisverrat nach § 23 GeschGehG ist regelmäßig neben „klassischen“ wirtschaftsstrafrechtlichen Tatbeständen wie der Untreue oder des (Computer-)betrugs mitverwirklicht. Darüber hinaus lässt die Rechtsprechung eine Nebenklage juristischer Personen mittlerweile auch ohne Beschränkung auf bestimmte Delikte bei allen Straftaten zu, durch die das Unternehmen „massiv geschädigt“ wurde oder wenn eine Verfahrensbeteiligung des Unternehmens „zur Abwehr gravierender Reputationsschäden“ geboten ist. Das geschädigte Unternehmen, das auf Antrag als Nebenbeteiligte zugelassen werden kann, hat in der Hauptverhandlung dann vor allem Frage-, Erklärungs-, Informations- und Beweisantragsrechte. Zudem hat der Nebenkläger das Recht, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, sofern er durch die Entscheidung beschwert ist. Die Nebenklage bietet sich bei wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhaltskonstellationen insbesondere dann an, wenn das Unternehmen zur Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen durch aktive Mitgestaltung des Strafprozesses eine Verurteilung des Täters erreichen möchte.