DBA-Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren verfolgen den Zweck, durch Verrechnungspreiskorrekturen eingetretene oder drohende Doppelbesteuerungen zu beseitigen. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ist grundsätzlich verpflichtet, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Es hat allerdings dann ein Ermessen, von der Einleitung des Verfahrens abzusehen, wenn ein empfindlich zu bestrafender Verstoß gegen Steuervorschriften (in Teilen) ursächlich für die Doppelbesteuerung ist. Meist geht es dabei um Steuerhinterziehung, leichtfertige Steuerverkürzung oder Steuerordnungswidrigkeiten.

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich nun zu der Einleitungspflicht und etwaigen Ermessensspielräumen des BZSt geäußert (Urteil vom 25.09.2019, IR 82/17).

Der Fall

Im entschiedenen Fall wurden einseitig in Deutschland im Rahmen einer Betriebsprüfung sowie im Wege einer tatsächlichen Verständigung Verrechnungspreiskorrekturen für Handels- und Marketingdienstleistungen zwischen einer deutschen AG und ihrer spanischen Schwestergesellschaft vorgenommen.

 

Der spanische Obergesellschafter wurde daraufhin rechtskräftig wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Das Steuerstrafverfahren gegen die Vorstandsvorsitzende der deutschen AG wurde hingegen gemäß § 153a StPO eingestellt.

 

Das BZSt lehnte es vor dem Hintergrund des Strafbefehls wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ab, die Einleitung eines Verständigungsverfahren gemäß EU-Schiedskonvention zu eröffnen. Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Daher landete der Fall in der Revision vor dem BFH.

Verständigungsverfahren im Regelfall obligatorisch

Der BFH unterstreicht ausdrücklich: Die Durchführung des Verständigungsverfahrens nach der EU-Schiedskonvention ist obligatorisch. Soweit alle inhaltlichen und formalen Antragsvoraussetzungen, insbesondere die Einhaltung der Antragsfrist, erfüllt sind, bleibt die Einleitung des Verfahrens gewährleistet. Dies beseitigt dann auch die eingetretene Doppelbesteuerung.

 

Soweit die Doppelbesteuerung aus einer Steuerstraftat oder einem -vergehen resultiert, wandelt sich die Einleitungspflicht ausnahmsweise jedoch in ein Wahlrecht. Das BZSt hat in diesen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung des Verfahrens zu entscheiden.

Verständigungsverfahren bei straf- und bußgeldbewährtem Verstoß

Der BFH konkretisiert die Anforderungen an den straf- oder bußgeldbewährten Verstoß nun gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen ist es nicht notwendig, dass der Täter selbst für den Verstoß verurteilt wird. Zum anderen ist es ausreichend, dass der gerichtlich festgestellte straf- oder bußgeldbewährte Verstoß nur einen Teil des beantragten Verständigungsverfahrens erfasst.

 

Damit senkt der BFH die Anforderung für das Einleitungswahlrecht. Denn nunmehr kann es dahingestellt bleiben, ob der straf- oder bußgeldbewährte Verstoß durch Verurteilung des Täters oder des Gehilfen festgestellt wird. Im konkreten Fall wurde nicht etwa das handelnde Organ (Vorstandsvorsitzende der AG) wegen Steuerhinterziehung verurteilt, sondern der Obergesellschafter wegen Beihilfe. Dessen Strafbefehl liegt nämlich zugleich die strafgerichtliche Feststellung zugrunde, dass eine Steuerhinterziehung als Haupttat gegeben ist.

 

Darüber hinaus stellt der BFH klar, dass es unerheblich sei, ob der Grund für die Doppelbesteuerung und der straf- oder bußgeldbewährte Verstoß mit Blick auf die Zeiträume und Steuerbeträge vollständig übereinstimmen. Im Ergebnis kann das BZSt auch bei nur teilweiser Übereinstimmung das Verständigungsverfahren insgesamt ablehnen.

Pflichtgemäßes Ermessen des BZSt bei Steuerhinterziehung

Sein Wahlrecht zur Eröffnung eines EU-Schiedsverfahrens muss das BZSt nach pflichtgemäßem Ermessen ausüben. Der BFH stellt vorab klar, dass der Ermessenspielraum des BZSt nicht schon allein durch eine mögliche steuerliche Doppelbelastung des Steuerpflichtigen auf null reduziert sei.

 

Im Gegenteil lässt der BFH ausdrücklich eine mögliche (Nicht-)Durchsetzbarkeit vorgenommener Verrechnungspreiskorrekturen als Abwägungskriterium zu. Im vorliegenden Fall argumentierte das BZSt, dass die Verhandlungsposition gegenüber der spanischen Finanzverwaltung aufgrund der abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung eingeschränkt sei. Die tatsächliche Verständigung würde dazu führen, dass eine mögliche deutsche Rücknahme der Korrekturen aufgrund eines Schiedsspruchs nicht umgesetzt werden könnte.

Fazit

Der BFH bestätigt, dass das BZSt im Regelfall Verständigungs- und Schlichtungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention einleiten muss. Es kann davon absehen, wenn ein straf- oder bußgeldbewährter Verstoß gegen steuerliche Vorschriften ursächlich für die Doppelbesteuerung ist. Dieser Verstoß muss laut BFH nicht vollständig mit dem zugrunde liegenden Doppelbesteuerungsfall übereinstimmen. Dem BZSt eröffnet das einen weiten Ermessensspielraum. Als Kriterium der Ermessensabwägung lässt der BFH auch die Durchsetzbarkeit der deutschen Position zu.

 

Für die Praxis folgt aus der Entscheidung: Einer durch etwaige straf- oder bußgeldbewährte Verstöße mitverursachten Doppelbesteuerung kann ein EU-Schiedsverfahren im Einzelfall nicht abhelfen. Insbesondere bei tatsächlichen Verständigungen ist zu prüfen, inwiefern diese die Einleitung von Verständigungsverfahren beeinflussen und damit die Beseitigung einer Doppelbesteuerung verhindern könnten.