Wieviel Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung verträgt die Gemeinnützigkeit?

27.02.2019

In einer heute veröffentlichten Entscheidung hat der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass die Verfolgung politischer Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung keinen gemeinnützigen Zweck im Sinne der Abgabenordnung erfüllt (Urteil vom 10. Januar 2019, Az. V R 60/17).

 

Anders als in den Medien teilweise dargestellt wird, hat der BFH dem Attac Trägerverein e.V. nicht die Gemeinnützigkeit aberkannt. Er hat vielmehr die Sache zur weiteren Aufklärung an das Hessische Finanzgericht in Kassel zurückverwiesen. In der Sache hat der BFH die Auffassung des beklagten Frankfurter Finanzamts geteilt, dem Attac Trägerverein e.V. die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Im Lichte der Urteilsbegründung des BFH liegt es nahe anzunehmen, dass das Hessische Finanzgericht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bestätigen wird.

Finanzamt erkennt Attac Gemeinnützigkeit ab

Dem Attac Trägerverein e.V. war im Jahr 2014 vom örtlich zuständigen Frankfurter Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. In erster Instanz hatte das Hessische Finanzgericht dem Attac Verein die Gemeinnützigkeit wieder zuerkannt (Urteil vom 10. November 2016, Az. 4 K 179/16). Das Hessische Finanzgericht war der Auffassung, dass die Aktivitäten des Vereins in den drei Streitjahren (2010 bis 2012) auf die Förderung der politischen Bildung und damit auf die Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks gerichtet seien – wobei sich die Gemeinnützigkeit politischer Bildungsarbeit aus einer Schnittmenge von zwei im Gesetz verankerten gemeinnützigen Zwecken ergibt, nämlich der Förderung der Volksbildung und der Förderung des demokratischen Staatswesens, gemeinnützige Zwecke nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und Nr. 24 AO. Dagegen richtete sich die nunmehr erfolgreiche Revision des Finanzamts vor dem BFH.

 

Die BFH-Entscheidung erörtert die mitunter schwere Abgrenzung, in welcher Art und in welchem Umfang sich eine gemeinnützige Körperschaft in gemeinnützigkeitsrechtlich zulässiger Weise zu tagespolitischen Themen äußern darf – bspw. im Rahmen einer wissenschaftlich-forschenden Tätigkeit oder im Rahmen politischer Bildungsarbeit – und wann die Grenze zu einer nichtgemeinnützigen politischen Tätigkeit überschritten werden. Hinsichtlich dieser Abgrenzungsfrage hat der BFH keine grundlegend neuen Kriterien aufgestellt, sondern vielmehr Leitsätze aus mehreren früheren Entscheidungen zusammengetragen.

Kernthesen des BFH

Die Kernthesen des BFH lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Politische Statements – auch zu tagespolitischen Fragestellungen – sind gemeinnützigkeitsrechtlich erlaubt, sofern sie im inhaltlichen Kontext des Satzungszwecks stehen und in der Sache objektiv-neutral sind; nicht zulässig sind hingegen allgemeinpolitische Statements ohne Bezug zum Satzungszweck sowie einseitige Agitation.
  • Gemeinnützigkeitsrechtlich zulässig sind – jeweils im Rahmen der satzungsmäßigen, d.h. auf die Verfolgung des Satzungszwecks gerichteten Geschäftsführung – die Äußerung von Kritik (bspw. an Gesetzesvorhaben) sowie die Erarbeitung von Lösungs- und Verbesserungsvorschlägen – auch mit dem Ziel, diese Überlegungen der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern näher zu bringen.
  • Jede Betätigung oder Äußerung mit (tages-)politischem Bezug bedarf der „geistigen Offenheit“; nicht zulässig ist es hingegen, auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung in dem Sinne Einfluss zu nehmen, dass die eigene (und sei es die im Rahmen des Satzungsauftrags entwickelte) Auffassung „mittels weiterer Maßnahmen durchgesetzt“ wird.

Natürlich sind die Grenzen fließend, in manchen Fällen bestehen Grauzonen. Entscheidend sind, wie gerade der „Fall Attac“ zeigt, die Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich ist eine wertende Gesamtbetrachtung. Vor allem geht es um das Wording von Statements und das äußere Gesamterscheinungsbild der Organisation, wie es sich bspw. aus ihrem Webauftritt ergibt.

Leitfaden für gemeinnützige Körperschaften

Für gemeinnützige Körperschaften, die sich im Bereich der politischen Willensbildung betätigen, bietet die Begründung des BFH-Urteils vom 10. Januar 2019 einen Leitfaden. Der BFH hat dem Hessischen Finanzgericht für den nun fortzuführenden Prozess eine enge Marschroute vorgegeben, sodass eine Entscheidung zugunsten von Attac unwahrscheinlich ist. Vor diesem Hintergrund werden schon erste Rufe nach dem Gesetzgeber laut, dieser möge den Katalog gemeinnütziger Zwecke in § 52 Abs. 2 AO erweitern. Im Urteil vom 10. Januar 2019 wurde an mehreren Stellen erkennbar, dass die Tätigkeit vergleichbarer Organisationen nur schwer unter die vorhandenen steuerbegünstigten Zwecke zu fassen ist.

Folgen in Sachen Gemeinnützigkeit für andere Organisationen

Betroffene Organisationen müssen insbesondere auf zwei Dinge achten:

  • Die Satzungszwecke müssen klar und nah am Zweckkatalog der Abgabenordnung definiert sein und zu erkennen geben, dass die Körperschaft mehr als nur eine (tendenziell selbstzweckhafte) tagespolitische Einflussnahme zum Ziel hat.
  • Im Rahmen der tatsächlichen Geschäftsführung ist darauf zu achten, dass sich Zweckverfolgungsmaßnahmen nicht auf die politische Einflussnahme beschränken dürfen. Kampagnen und sonstige Einflussnahmen dürfen der eigentlichen Zweckverfolgung dienen, müssen dieser aber nach Art und Umfang untergeordnet sein.

Wie sehr die Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom 10. Januar 2019 zum Anlass nehmen wird, gegen andere gemeinnützige Organisationen vorzugehen, wird sich erst im Laufe der nächsten Wochen und Monate zeigen. In der Presse werden bereits jetzt namentlich einige Vereine erwähnt, die demnächst in den näheren Fokus der Finanzverwaltung geraten könnten. Doch Bangemachen gilt nicht! Der BFH hat gemeinnützigen Organisationen – dies im Einklang mit seinen früheren Entscheidungen – einen vernünftigen Handlungsmaßstab mit Beurteilungsspielraum an die Hand gegeben. Diesen gilt es nun korrekt umzusetzen.