Der Europäische Gerichtshof hat Beschränkungen des Vertriebs hochwertiger Waren über Internetplattformen gestützt. Die Aussagen des EuGH zum Drittplattformverbot haben für viele Hersteller von hochwertigen Markenartikeln in Deutschland und in der EU enorme Bedeutung. Entsprechend wurde das Urteil lange erwartet.

Der Fall Coty

Lange lag es in der Luft – das Verfahren von Coty Germany GmbH gegen Parfümerie Akzente GmbH (C-230/16) nahm seinen Anfang vor dem Landgericht Frankfurt. Coty verlangt, dass der Vertriebspartner es unterlässt, die Vertragsprodukte in Form von hochwertigen Parfümerieartikeln, über Drittplattformen zu vertreiben.

 

Coty führt u.a. die Marke Calvin Klein im Portfolio. Erlaubt war es der Parfümerie, die Produkte über ein eigenes „elektronisches Schaufenster“, das heißt einen eigenen Onlineshop zu vertreiben. Ausdrücklich verboten waren hingegen der Vertrieb unter einer anderen Firma und die Einschaltung einer dritten Partei, die nicht selbst ein autorisierter Vertriebspartner von Coty ist (Drittplattformverbot).

 

Diese Vereinbarung sollte als Zusatz zu dem Hauptvertrag gelten, der branchenüblich hohe Anforderungen an die Ausstattung des Ladengeschäfts stellte. So sollte sichergestellt werden, dass die Parfümartikel in einem angemessenen seriösen Umfeld ausgestellt und beworben werden. Die Parfümerie weigerte sich jedoch, diese Zusatzvereinbarung abzuschließen und begann die Produkte über amazon.de zu vertreiben.

 

Das Landgericht lehnte das hiergegen gerichtete Klagebegehren ab, das Oberlandesgericht Frankfurt entschied, dass es für ungeklärte Fragen des europäischen Kartellrechts der Vorlage an den EuGH bedurfte. Dieser entschied am 06.12.2017 die rechtlichen Gesichtspunkte im Wesentlichen zugunsten von Coty und gab das Verfahren zur Prüfung am Maßstab des Einzelfalls und für die abschließende Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück.

Selektive Vertriebssysteme und Kartellverbot

Die Hersteller verschiedenster Branchen organisieren ihren Absatz auf der Basis selektiver Vertriebssysteme. Das bedeutet, dass die Vertriebsverträge mit sogenannten Selektionskriterien festlegen, welche Anforderungen der Vertriebspartner erfüllen muss, damit er berechtigt ist, die Ware zu vertreiben. Der Hersteller verpflichtet sich im Gegenzug, nur autorisierte Vertriebspartner zu beliefern und geht – soweit möglich – auch gegen Ware auf dem „grauen Markt“ vor.

 

Selektionskriterien können beispielsweise vorsehen, dass der Vertriebspartner die Produkte gegenüber dem Kunden umfangreich bewirbt und ausführlich berät, dass er eine Werkstatt betreibt und Ersatzteile kurzfristig vorhält. Solche Vorgaben engen den Vertriebspartner naturgemäß ein, gelten aber dann nicht als Wettbewerbsbeschränkungen, wenn sie in der Sache erforderlich und angemessen sind, allen Verträgen zugrunde gelegt und auch tatsächlich in nicht diskriminierender Weise gehandhabt werden.

 

In diesem Zusammenhang war daher lange Zeit anerkannt, dass Hersteller von Luxusartikeln wie Parfüms, edlen Uhren und ähnlichem mehr berechtigt sind, ihren Vertriebspartnern Auflagen zu machen, die insbesondere das Umfeld des Warenangebotes (Ladenausstattung, Dekor, Portfolio, geschultes Personal usw.) betreffen. Damit soll nicht nur die „Aura“ des Luxuriösen aufrechterhalten werden. Auch soll der Kunde die Besonderheit des Produktes und dessen Unterscheidbarkeit von Artikeln aus niedrigeren Marktsegmenten anerkennen

Internetverbote problematisch

In der ebenfalls viel beachteten Entscheidung Pierre Fabre Dermo-Cosmétique (C-439/09) hatte der EuGH am 13.10.2011 einen Verstoß gegen das europäische Kartellrecht festgestellt. In diesem Fall ergab sich der Verstoß aus einer Vertragsklausel in einem selektiven Vertriebssystem, nach der der Verkauf von Kosmetika und Körperpflegeprodukten in einem physischen Raum und in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen musste und die ein Verbot der Nutzung des Internets für diese Verkäufe zur Folge hatte.

 

Hieraus hatten viele Beobachter gefolgert, dass die Einschränkung des Internetvertriebes zur Förderung der luxuriösen Aura von hochwertigen Markenartikeln nunmehr schwer durchzusetzen sein würde.

 

Die Kartellbehörden haben bereits zahlreiche Verfahren gegen Markenhersteller geführt, die zur Aufgabe von Restriktionen beim Internetvertrieb führten, wobei die prominenteren deutschen Fälle etwas profanere Produkte wie Gartengeräte (Gardena), Wasserhähne (Dornbracht) und Laufschuhe (Asics) betrafen.

Luxus-Image und Marktplatz verträgt sich nicht

Der EuGH setzt sich von der Entscheidung Pierre Fabre deutlich ab und verweist darauf, dass es dort um ein vollständiges Verbot gegangen sei. Hingegen sei der Vertrieb über das Internet in der nunmehr getroffenen Entscheidung nicht generell verboten, sondern nur auf das „elektronische Schaufenster“ beschränkt. Im Übrigen führt der EuGH im Einklang mit der langjährigen Praxis aus, dass ein selektives Vertriebssystem, welches objektiv erforderliche Kriterien aufstelle, die gleichmäßig in den Verträgen verankert und nicht diskriminierend angewendet würden, von vornherein keine Wettbewerbsbeschränkung herbeiführe.

 

Ausdrücklich begründet das Gericht dann recht ausführlich, dass es ein legitimes Ziel darstelle, Selektionskriterien aufzustellen, die die luxuriöse Charakteristik eines Produktes hervorheben. Die Beschädigung der luxuriösen „Aura“ solcher Produkte würde im Ergebnis das Produkt selbst negativ betreffen.

 

Die Vorgabe in den Zusatzvereinbarungen von Coty ist nach Auffassung des EuGH objektiv darauf gerichtet, das luxuriöse Image und Prestige der Parfümerieartikel zu wahren. Daher konnte der EuGH sich gleich der Frage zuwenden, ob die Vorgabe auch verhältnismäßig ist. Das Gericht sieht die Beschränkung des Vertriebs auf die autorisierten Vertriebspartner als Kernaussage des Drittplattformverbots. Es sei für den Hersteller wichtig, dass er sicher sein könne, dass der Vertrieb ausschließlich über die autorisierten Vertriebspartner erfolge. Nicht zuletzt weil gegenüber den Drittplattformanbietern keine Vertragsbeziehung bestehe und die online-Präsentation auch dann nicht beeinflusst werden könne, wenn sie der luxuriösen Anmutung des Produktes abträglich sei („Ein Online-Verkauf von Luxuswaren über nicht zum selektiven Vertriebssystem dieser Waren gehörende Plattformen, in dessen Rahmen der Anbieter nicht die Möglichkeit hat, die Bedingungen, unter denen seine Waren verkauft werden, zu überprüfen, birgt aber die Gefahr einer Verschlechterung der Präsentation dieser Waren im Internet, die ihr Luxusimage und somit ihr Wesen beeinträchtigen kann.“).

 

Ausdrücklich führt der EuGH auch das Argument an, dass das Umfeld auf solchen Plattformen nicht dem Sinn solcher Anbieter entspreche, weil diese einen „Verkaufskanal für Waren aller Art darstellen“. Daher sei es konsequent und verhältnismäßig, den Vertrieb über derartige Plattformen zu verbieten. Dabei wird auch berücksichtigt, dass der Vertriebspartner über die eigene Webseite ungehindert verkaufen könne. Das in diesem Zusammenhang vom Bundeskartellamt diskutierte Problem der „Auffindbarkeit“ – im Fall Asics hatte das Bundeskartellamt auch das Verbot der Verwendung von Preissuchmaschinen und von Suchwortwerbung zu prüfen – spielte für den EuGH keine Rolle. Schließlich hatte Coty seinen Vertriebspartnern die Werbung auf Drittplattformen und die Benutzung von Suchmaschinen nicht verboten. Dies dürfte für die Beurteilung von Restriktionen künftig Bedeutung haben.

Drittplattformverbot keine Kernbeschränkung

Nach diesem gerichtlichen Plädoyer für die Einschränkung des Internetvertriebs von hochwertigen, luxuriösen Artikel über Drittplattformen wie Amazon – das gleiche dürfte für Ebay gelten, auch wenn diese Plattform in der Entscheidung nicht erwähnt wird – geht der EuGH noch weiteren Aspekten nach. So untersuchte er auch, ob die Verkaufsbeschränkung auch als unzulässige Kundenkreisbeschränkung oder als unzulässige Beschränkung des Verkaufs an Endkunden durch Selektivhändler zu werten sein könnte. Damit sind zwei sogenannte Kernbeschränkungen angesprochen, die nach Maßgabe des Art. 4 der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen Nr. 330/2010 stets zum Ausschluss der Freistellung einer Vereinbarung vom Kartellverbot führen.

 

Diese Frage kann sich dem vorliegenden Oberlandesgericht noch stellen, wenn sich bei der Prüfung des konkreten Sachverhalts herausstellt, dass das Kartellverbot wegen einer unangemessenen Beschränkung des Vertriebspartners oder ungleichmäßiger Handhabung doch noch eingreift. Dieses Szenario scheint nach den rechtlichen Ausführungen des EuGH äußerst unwahrscheinlich. Es ist aber bemerkenswert, dass der EuGH entgegen mancher Stimmen in Literatur und Praxis das Drittplattformverbot nicht als Kundenkreisbeschränkung betrachtet, da nur eine bestimmte Vertriebsform betroffen sei. Außerdem liege keine Kundenkreisbeschränkung vor, weil nicht erkennbar sei, dass in dem weiten Feld der Kunden, die online einkaufen, eine bestimmte Gruppe von „Plattform-Kunden“ abgrenzbar sei

Praxisfolgen

Der EuGH räumt jedenfalls für den Bereich von Luxusartikeln, deren Hersteller sich seit langem gegen den Vertrieb über Drittplattformen wie Amazon und eBay wehren, die gegen Drittplattformverbote bestehenden Vorbehalte weitgehend ab. Ein Hersteller kann daher seinen Vertriebspartnern auferlegen, nicht mit Dritten beim Vertrieb zusammen zu arbeiten, wenn dadurch der vertriebliche Zusammenhang zu dem autorisierten Outlet verloren geht und die vom Hersteller durch Werbung und durch Errichtung eines selektiven Vertriebssystems aufwändig geschaffene Aura von Luxus und Prestige beschädigt wird.

 

Die Entscheidung ist aber kein Freibrief für weitgehende Internetverbote – hier kann die Uhr nicht zurückgedreht werden. Erforderlich ist zum einen, dass der Vertrieb über Plattformen, die als „Gemischtwarenladen“ daherkommen, dem grundsätzlich geschützten Vertriebskonzept des Herstellers, das durch die Eigenschaften der Waren gerechtfertigt sein muss, tatsächlich abträglich sind. Zum andern hat der EuGH Wert darauf gelegt, dass der Handelspartner jedenfalls einen eigenen Onlineshop betreiben und für diesen auch aktiv werden durfte.