Am 20.7.2023 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Entwurf für einen neugefassten Anwendungserlass zum Außensteuergesetz (AEAStG) veröffentlicht.

Nachfolgend werden die aus Sicht der Beratungspraxis besonders relevanten Aussagen zu der durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATADUmsG) ab 1.1.2022 reformierten Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) anhand von Beispielen dargestellt:

Tatbestand und Rechtsfolgen

Beispiel 1: N ist Alleingesellschafter einer deutschen GmbH, deren Aktivvermögen fast ausschließlich aus in Deutschland belegenen Immobilien besteht.

  • Zieht N unter Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach Österreich (Ausgangsfall), wird nach Tz. 80 eine Wegzugsteuer i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG ausgelöst, obwohl das deutsche Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen erhalten bleibt (Art. 13 Abs. 2 DBA-Österreich). Verliert Deutschland später das Besteuerungsrecht (z.B. aufgrund des Verkaufs der Immobilien), kommt die Wegzugsteuer aber nicht erneut zur Anwendung, da § 6 Abs. 1 S. 1 AStG auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist (u.a. Tz. 72). 
  • Bleibt N in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, wird er aber nach dem DBA in Österreich abkommensrechtlich ansässig, wird keine Steuer ausgelöst (Tz. 78).
  • Wird N unter Beibehalt der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland in einem Nicht-DBA-Staat (z.B. Brasilien) normal einkommensteuerpflichtig, wird voraussichtlich Wegzugsteuer gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG ausgelöst, da Deutschland bei abstrakter Betrachtungsweise zum Steuerabzug nach § 34c Abs. 3 EStG verpflichtet sein würde (vgl. Tz. 88, Tz. 89 a.E.). In diesem Fall steht die sog. Rückkehrregelung nicht zur Verfügung, da kein „Ausschluss“ des deutschen Besteuerungsrechts vorliegt (Tz. 159). Das ist kein sachgerechtes Ergebnis und durch den Gesetzgeber zu lösen.

Beispiel 2: Die V hält Anteile an der deutschen D-GmbH, die aufgrund einer Einbringung nach § 20 UmwStG sperrfristverhaftet sind (§ 22 Abs. 1 UmwStG). V verzieht vorübergehend in einen EU-Staat.

  • § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG führt zu einer „fiktiven Veräußerung“ der Anteile. Ob dies auch zu einer schädlichen Veräußerung i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG führen kann, behandelt der AEAStG-Entwurf bedauerlicherweise nicht ausdrücklich.
  • Wenn aber der an eine „Veräußerung“ anknüpfende § 11 Abs. 4 AStG bei § 6 AStG keine Anwendung finden soll (Tz. 101), kann man im Umkehrschluss aber annehmen, dass nach Verwaltungsauffassung die „fiktive Veräußerung“ auch an anderer Stelle keine tatbestandliche „Veräußerung“ darstellen soll.

Rückkehrerregelung

Die sog. Rückkehrregelung (§ 6 Abs. 3 AStG) soll ermöglichen, eine Wegzugsteuer rückwirkend zum Entfallen zu bringen, vor allem wenn der Steuerpflichtige oder der Rechtsnachfolger innerhalb von sieben (verlängerbar auf zwölf Jahre) wieder nach Deutschland zurückkehrt.

Beispiel 3:  L, alleinige Aktionärin der deutschen D-AG, zieht nach Frankreich in der Absicht, nie mehr deutschen Boden zu betreten. Die nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG ausgelöste Wegzugsteuer zahlt sie auf einen Schlag. Nach sechs Jahren entschließt sie sich reumütig, wieder nach Deutschland zurückzukehren.

  • Begründet L die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland unter (zeitnaher) Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Frankreich, entfällt die Wegzugsteuer rückwirkend und ist zu erstatten. Auf eine bei Wegzug bestehende Rückkehrabsicht kommt es für den Siebenjahreszeitraum nicht an (Tz. 129). Will L später wieder wegziehen, gelten für sie die persönlichen Voraussetzungen des § 6 AStG als erfüllt (§ 6 Abs. 2 S. 4 AStG). Das soll auch für Anteile gelten, die L bspw. erst während des Aufenthalts in Frankreich neu erworben hat (Tz. 121).
  • Begründet L die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland und wird das deutsche Besteuerungsrecht erst nach sechs Monaten wieder begründet (z.B. weil L noch eine Zeit doppelansässig bleibt bis die Kinder das Schuljahr beendet haben und die Familie umziehen kann), soll die Rückkehrregelung gesperrt sein (Tz. 156). Dies ist eine nicht hinnehmbare Ansicht, die unbedingt abgeändert werden muss.
  • Schenkt L vor ihrer Rückkehr ihre Anteile an eine ausschließlich in Deutschland steueransässige Person, sollte man meinen, dass dies ebenfalls zum Entfall der Wegzugsteuer führt. Das Beispiel in Tz. 178 zeigt aber, dass die Finanzverwaltung hierin eine schädliche Anteilsübertragung sieht, so dass die Wegzugsteuer nicht mehr entfallen kann, sondern definitiv wird.

Beispiel 4: Der in Deutschland lebende Q schenkt 10% seiner Anteile an der US Inc. an Tochter T, die in Deutschland einen Nebenwohnsitz i.S.v. § 8 AO hat, aber mit ihrer Familie in den Niederlanden lebt. T will die nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG ausgelöste Wegzugsteuer durch rechtzeitige Rückkehr nach Deutschland zum Entfallen bringen. Der Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 3 S. 4 AStG ist nicht erfüllt (keine vorübergehende Abwesenheit des Q). Tz. 157ff. äußern sich hierzu nicht, was nachgeholt werden sollte.

Stundung bei vorübergehender Abwesenheit

Von hoher praktischer Bedeutung ist die gesetzliche Möglichkeit, bei nur vorübergehender Abwesenheit und späterer Inanspruchnahme der Rückkehrerregelung (s.o.) auf Antrag eine zinslose Stundung der Steuer zu erlangen (§ 6 Abs. 4 S. 7 AStG). 

Beispiel 5: H, Alleingesellschafter der deutschen D-GmbH, verzieht für fünf Jahre nach Österreich und möchte, dass die Wegzugsteuer für diese Zeit gestundet wird.

  • In der Praxis verlangen die Finanzämter auch bei Wegzügen in EU-Staaten nach bisherigen Erfahrungen eine Sicherheitsleistung, die nach dem Gesetz „in der Regel“ verlangt werden kann. Die wegzugsteuerrelevanten Anteile werden meist nicht als Sicherheit akzeptiert. Der AEAStG-Entwurf verweist insoweit bedauerlicherweise lediglich auf §§ 241ff. AO, so dass weiterhin frühzeitig vor einem Wegzug Kontakt zur Finanzverwaltung in Sachen Sicherheitsleistung aufgenommen werden muss.

Erzielt H die Stundung, ist im Anschluss Vorsicht geboten:

  • Kommt er seinen jährlichen anlassunabhängigen Mitteilungspflichten über Anschrift und Zurechnung der Anteile (§ 6 Abs. 5 S. 3 AStG) auch nur einmal nicht rechtzeitig nach, wird die Stundung automatisch aufgehoben (Tz. 197).
  • Verstirbt H, müssen der oder die Erben innerhalb eines Monats dem zuständigen Finanzamt den Erbfall melden (anlassbezogene Mitteilungspflicht, § 6 Abs. 5 S. 1 AStG), ansonsten endet die Stundung automatisch (Tz. 188 i.V.m. 196).
  • Ein Entfallen der Steuer durch rechtzeitige Rückkehr (§ 6 Abs. 3 AStG) bleibt in den vorgenannten Beispielen aber grundsätzlich möglich.

Bewertung

Die Ausführungen im AEAStG-E enthalten Licht (z.B. keine Anwendung auf beschränkt Steuerpflichtige, keine Rückkehrabsicht erforderlich bei Rückkehr innerhalb von sieben Jahren) und Schatten (z.B. Handhabe der Rückkehrregelung bei verzögerter Wiederherstellung des deutschen Besteuerungsrechts, keine praxistaugliche Lösung des Erfordernisses einer Sicherheitsleistung, keine Milderung der „schädlichen“ Ereignisse).

Angesichts der weiter zunehmenden Mobilitätsbedürfnisse wäre es wünschenswert, wenn der AEAStG diesen noch ein Stück mehr gerecht werden würde.