Mit Urteil vom 9.8.2023 – I R 54/19 hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit der Einkünftekorrektur bei einer Produktionsverlagerung auf eine Schwestergesellschaft im Ausland befasst. Unter anderem hat er über das Verhältnis von § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes (AStG) zu anderen Einkünftekorrekturvorschriften sowie über Streitfragen im Zusammenhang mit der Auslegung des Tatbestandes der Funktionsverlagerung entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Automobilzulieferunternehmen, wandte sich mit ihrer Revision gegen die Hinzurechnung von Gewinnen aus konzerninternen Materiallieferungen an eine Schwestergesellschaft in Bosnien-Herzegowina und aus dem Erwerb fertiger Produkte von dieser Gesellschaft. Die Klägerin hatte Fertigungsprozesse auf die Schwestergesellschaft ausgelagert und dieser das für die Produktion notwendige Material zum Selbstkostenpreis verkauft. Bis zum Jahr 2012 kaufte die Klägerin alle von der Schwestergesellschaft hergestellten Produkte zurück. Ab dem Jahr 2013 erzielte die Schwestergesellschaft auch eigene Umsätze mit einem ehemaligen Kunden der Klägerin. Streitig war die zutreffende Ermittlung der Verrechnungspreise für die Produkte, die die Klägerin von der Schwestergesellschaft erwarb, sowie für die Materiallieferungen von der Klägerin an die Schwestergesellschaft.

Entscheidung des BFH

Der BFH erachtete die Revisionen der Klägerin und des Finanzamts für begründet, hob die Vorentscheidung des Finanzgerichts (FG) München vom 26.11.2019 – 6 K 1918/16 auf und verwies die Sache zurück an das FG.

Subsidiarität des § 1 Abs. 1 AStG gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften

Als Rechtsgrundlage für die Einkünftekorrektur bei der Klägerin kam zum einen eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und zum anderen eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG in Betracht. Den Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 3 (für 2011, 2012) bzw. Satz 4 (für 2013) AStG, wonach „die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen“ sind, versteht der BFH dahingehend, dass § 1 Abs. 1 AStG grundsätzlich gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften zurücktritt und nur dann (subsidiär) zur Anwendung kommt, wenn die andere Norm Berichtigungen nur in einem geringeren Umfang zulässt. Diese Auslegung führte im Streitfall zur alleinigen Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, auf den bereits das FG München die Hinzurechnung gestützt hatte.

Kausalzusammenhang zwischen Funktionseinschränkung und Funktionsausübung

Neben den Fragen zur Höhe der fremdüblichen Verrechnungspreise für die Material- und Produktlieferungen beschäftigte sich der BFH auch mit der Frage einer Funktionsverlagerung ins Ausland. Das FG hatte das Vorliegen einer Funktionsverlagerung in der Vorinstanz auch deshalb verneint, weil die Funktionseinschränkung im Inland durch die Markt- und Wettbewerbssituation der Klägerin (keine Möglichkeit, wettbewerbsfähige Preise anzubieten) ausgelöst worden sei. Die Konjunktion „und dadurch“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 der Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) verlange jedoch einen kausalen Zusammenhang zwischen der Funktionseinschränkung beim abgebenden und der Funktionsausübung beim aufnehmenden Unternehmen. Der BFH äußert Zweifel an diesem Normverständnis. Für die Erfüllung des Tatbestandes der Funktionsverlagerung sei es zunächst unerheblich, ob die Funktion im Inland zukünftig uneingeschränkt weiter ausgeübt werden könnte. Im Rahmen des Fremdvergleichs sei nach dem Gesetzestelos lediglich von Bedeutung, ob ein fremder Dritter bereit gewesen wäre, für das inländische Steuersubstrat (Funktion als Ganzes) ein Entgelt zu bezahlen. Reserveursachen könnten nicht für die Tatbestandsverwirklichung, sondern allenfalls für die Preisbestimmung relevant sein.

Keine Funktionsverlagerung dem Grunde nach durch Übertragung des früheren Kunden

Von einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage hat der BFH im Streitfall jedoch abgesehen, da bereits dem Grunde nach keine Funktion im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG übertragen worden war. Denn § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV setzt voraus, dass die Funktion ein organischer Teil eines Unternehmens ist, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss. Die Auslegung des Funktionsbegriffs im Einzelfall ist streitig: Während in der Literatur ein tätigkeitsbezogenes Verständnis vorherrscht, wonach eine Funktion insgesamt (z.B. Produktionsfunktion, Vertriebsfunktion) verlagert werden muss, stellt die Finanzverwaltung auf ein tätigkeits- und objektbezogenes Verständnis ab. Für eine Funktionsverlagerung ist damit z.B. eine Verlagerung der Produktion oder des Vertriebs einzelner Produkte oder Produktgruppen ins Ausland ausreichend. Im Streitfall war aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Produktion für den früheren Kunden der Klägerin als eigenständige Produktion im Unternehmen der Klägerin und damit als organischer Unternehmensteil angesehen werden konnte.

Überlassung einer bestehenden Geschäftsbeziehung als vGA

Schließlich weist der BFH darauf hin, dass das FG hätte prüfen müssen, ob ein fremder Dritter für die Übertragung der Kundenbeziehung ein Entgelt verlangt hätte. Überlässt eine Gesellschaft ihrer Schwestergesellschaft eine bestehende Geschäftsbeziehung zu einem Kunden und verzichtet damit auf zukünftige Gewinne aus der Geschäftsbeziehung, kann darin eine vGA in Form der Überlassung einer Geschäftschance liegen.

Fazit

Das Urteil enthält praxisrelevante Aussagen zu mehreren Streitfragen im Rahmen der Prüfung einer Funktionsverlagerung, zu denen bislang eine gefestigte Rechtsprechung fehlte. Zum einen entscheidet der BFH, dass die Produktion für einen bestimmten Kunden nur dann eine Funktion im Sinne der Funktionsverlagerungsbesteuerung darstellen kann, wenn diese als organischer Unternehmensteil anzusehen ist. Zum anderen weist der BFH darauf hin, dass bereits in der Übertragung der Kundenbeziehung eine vGA liegen kann. Ob hingegen allein eine fehlende Kausalität zwischen der Funktionseinschränkungen im Inland und der Funktionsausübung beim aufnehmenden Unternehmen künftig ausreichen wird, um die Annahme einer Funktionsverlagerung abzuwenden, bleibt offen.