Dieser Blog-Beitrag ist in Zusammenarbeit mit unserer französichen Kollegin Marie Clever von Arsene Taxand entstanden.
Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften, die in anderen Ländern als der Gesellschafter ansässig sind, unterliegen regelmäßig der Quellensteuer. Bei einer Tochtergesellschaft in Deutschland schlagen beispielsweise Kapitalertragsteuern von 25% zubuche (§ 32d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 43 EStG (KapESt)). Sofern sich die Quellensteuer nicht durch die Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) oder ein Doppelbesteuerungsabkommen auf 0% reduziert, wird der Gesellschafter die ausländische Quellensteuer auf die Steuerlast in seinem Ansässigkeitsstaat anrechnen wollen. Bei der Anrechnung gibt es verschiedene Fragestellungen, die auch in Deutschland bereits vom Bundesfinanzhofes (BFH) untersucht wurden, zuletzt durch das Urteil v. 17. August 2022, I R 14/19 im Zusammenhang mit Lizenzgebühren.
In Frankreich setzte sich der Conseil d’Etat in seinem Urteil vom 8. März 2023 mit der Frage auseinander, ob ein in Frankreich ansässiger Gesellschafter einen auf ausländischer KapESt beruhenden Anrechnungsbetrag in nachfolgende Veranlagungszeiträume vortragen kann, wenn der Gesellschafter im aktuellen Jahr Verluste macht.
Sachverhalt
Die in Frankreich ansässige Gesellschaft Natixis bezog in den Jahren 2008 bis 2011 ausländische Einkünfte (Dividenden), die doppelt besteuert wurden: in Frankreich unterlag ein Teil der Dividenden der Körperschaftssteuer, in den Quellenstaaten unterlagen die Dividenden der KapESt.
In den Jahren 2008 bis 2011 erlitt die Gesellschaft Verluste und konnte daher die einbehaltene ausländische KapESt nicht anrechnen. Ab 2012 erzielte die Gesellschaft Gewinne und beantragte die Anrechnung der ausländischen Steuer ab 2012 (EUR 41m). Die französischen Steuerbehörden verweigerten dies.
Anwendbares französisches Steuerrecht
Nach französischem Steuerrecht kann eine Gesellschaft, die sich in einer Verlustsituation befindet, die im Ausland gezahlte Steuer nicht von seinem Ergebnis abziehen, wenn diese im Einklang mit einem Doppelbesteuerungsabkommen erhoben wurde.
Bereits 2016 hatte der Conseil d‘Etat entschieden, dass der Anrechnungsbetrag nicht erstattet wird, wenn er nicht angerechnet werden kann (Conseil d‘Etat, 27. Juni 2016, n°388984 und 392534, SA Faurecia).
Das französische Verfassungsgericht („Conseil constitutionnel“) hatte bereits 2017 den Grundsatz aufgestellt, dass es verfassungskonform und daher theoretisch möglich sei, wenn eine aufgrund von Verlusten nicht anrechenbare Steuergutschrift nicht vorgetragen werden könne (Entscheidung vom 28. September 2017, Nr. 2017-654 QPC).
Entscheidung des Conseil d’Etat
Mit seiner Entscheidung vom 8. März 2023 erweiterte der Conseil d'Etat seine Rechtsprechung, indem er klarstellte, dass die Anrechnungsbeträge hinsichtlich der ausländischen Steuer nicht vorgetragen werden können und somit für eine Gesellschaft, die in diesem Jahr Verluste macht, verloren sind.
Auf dem Gebiet des französischen Steuerrechts und der Doppelbesteuerungsabkommen
Weder das französische Recht noch die Bestimmungen der anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen legen fest, dass eine Gesellschaft, die Verluste erzielt, die ausländische Steuer bis zu dem Jahr, in dem sie zu besteuernde Gewinne erzielt, vortragen kann.
Da die Gesellschaft Natixis in den Jahren 2008 bis 2011 Verluste erlitt, war sie aufgrund dessen in diesen Jahren in Frankreich nicht körperschaftssteuerpflichtig. Daher lag keine Doppelbesteuerung vor (die Staaten üben ihre Steuerhoheit nicht aufgrund desselben Steuertatbestands und für nicht identische Zeiträume aus).
Der Conseil d’Etat entschied, dass diese Regeln nicht dazu führen, dass der Steuerpflichtige unrechtmäßig einer Doppelbesteuerung unterliegt, da er in diesem Fall nur im Quellenstaat besteuert wird und nicht in Frankreich (aufgrund seiner Verlustsituation).
Die Lösung ist, gemäß dem Conseil d’Etat, gerechtfertigt, da die Doppelbesteuerungsabkommen den Vortrag der Anrechnung der ausländischen Steuer nicht ausdrücklich vorsehen.
Auf dem Gebiet des EU-Rechts
Außerdem stellte er klar, dass die fehlende Möglichkeit der Übertragung nicht gegen EU-Recht verstößt (Kapitalverkehrsfreiheit), weil die Situationen der beiden Gesellschaften unterschiedlich sind (Gewinn- oder Verlustsituation).
Bedeutung und deutsche Sicht
Es bestand lange Unklarheit in Frankreich, inwieweit defizitäre Gesellschaften, die ausländische Steuer vortragen können, auch wenn bereits entschieden war, dass eine Erstattung nicht möglich ist. Die Entscheidung des französischen Verfassungsgerichtes verschaffte keine Klarheit, machte aber die letztendlich getroffene Entscheidung des Conseil d’Etat umso wahrscheinlicher, da dieser bereits im Vorhinein wusste, dass diese Lösung nicht verfassungswidrig ist. Trotzdem handelt es sich um eine sehr strenge und für betroffene Gesellschaften nachteilige Lösung, deren Folgerichtigkeit hinterfragt werden kann.
Aus deutscher Sicht ist anzumerken, dass § 34c Abs. 2 EStG grundsätzlich zwar den Abzug der ausländischen Steuer von den Einkünften zulässt, wenn die Voraussetzungen einer Anrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG grundsätzlich gegeben sind. Davon wird u.a. Gebrauch gemacht bei Inlandsverlusten im relevanten Jahr, da die Anrechnung mangels Steuerlast keinen Effekt hätte, über den Verlustvortrag aber zumindest in Zukunft davon profitiert werden kann. Bei Kapitalgesellschaften als Dividendenempfänger, die von der Steuerfreistellung von § 8b Abs. 1, 5 KStG profitieren, dürfte eine Anrechnung jedoch schon dem Grunde nach ausgeschlossen sein, sodass in diesem Fall auch der Abzug nicht möglich wäre.