Einheitspatent ab 1. Juni 2023 – doch nicht so einheitlich?

01.06.2023 | FGS Blog

Fast 50 Jahre wurde zwischen den europäischen Staaten über das sog. Einheitspatent gerungen. Bereits seit 1978 gibt es ein zentrales Anmelde- und Erteilungsverfahren für europäische Patente. Die EU aber wollte mehr: einen unionsweiten Schutz und ein Verfahren, mit dem Patente nicht nur zentral angemeldet, sondern auch aufrechterhalten, verwaltet und durchgesetzt werden können. Zum 1. Juni 2023 wurden diese Ziele – teilweise – erreicht.

1. Patente und ihr bisheriger Schutz in Europa

Patente dienen dem Schutz von technischen Erfindungen. Geschützt werden können Erzeugnisse und Verfahren. Um einen (zeitlich begrenzten) Monopolschutz zu erhalten, muss die technische Erfindung

  • neu gegenüber dem bisherigen Stand der Technik sein,
  • auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und
  • gewerblich angewendet werden können.

Das europäische Patent – das neben dem Einheitspatent und rein nationalen Patenten bestehen bleibt – ist kein einheitliches Patent und wird dies auch durch die Reform nicht. Vielmehr handelt es sich um ein „Bündel“ von nationalen Patenten. Lediglich die Anmeldung ist vereinfacht, da europäische Patente zentral über oder beim Europäischen Patentamt („EPA“) angemeldet werden. Gerichtlich durchsetzen musste man sie jedoch stets einzeln vor den nationalen Gerichten.

2. Neues Europäisches Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht

a) Das (neue) Einheitspatent

Am neuen Schutzsystem zum Einheitspatent nehmen vorerst 17 EU-Staaten teil. Dazu gehören neben Deutschland etwa Italien, Frankreich, die Niederlande und Schweden. Nicht beteiligt sind etwa Spanien und Polen. Ein späterer Anschluss weiterer Staaten ist jedoch möglich.

In den Teilnehmerstaaten gewährt das Einheitspatent territorial umfassenden, „einheitlichen“ Schutz. Es kann nur einheitlich beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden.

b) Das Einheitliche Patentgericht

Zum 1. Juni 2023 nimmt auch das Einheitliche Patentgericht („EPG“) seine Arbeit auf. Mit vorerst 27 Richtern stellt Deutschland so viele Richter wie kein anderer Teilnehmerstaat. Die bisher in Deutschland aufgebaute Expertise, insbesondere der Gerichte in Düsseldorf und München, wird auf diesem Weg hoffentlich auch für europäische Entscheidungen genutzt. In erster Instanz umfasst das EPG eine Zentralkammer sowie mehrere Lokal- und Regionalkammern – in Deutschland in Düsseldorf, München, Mannheim und Hamburg. Das zentrale Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg. Die Entscheidungen wirken unmittelbar in allen Teilnehmerstaaten.

Neben den Einheitspatenten ist das EPG grundsätzlich auch für alle europäischen Patente zuständig. Es ist jedoch möglich, dem Einheitlichen Patentgericht die Zuständigkeit für europäische Patente zu entziehen. Von der Möglichkeit zum Opt-Out haben nach Berichten bereits über 400.000 Patentinhaber Gebrauch gemacht. Für Sie als Inhaber eines europäischen Patents ist daher nun wichtig zu entscheiden, ob Sie gerichtliche Entscheidungen durch das EPG oder durch einzelne nationale Gerichte wünschen. Diese Entscheidung kann zumindest bis Ende April 2030 getroffen werden, sofern noch keine Klage erhoben ist.

3. Vor- und Nachteile von Einheitspatent und europäischem Patent

Ob für Sie als Anmelder ein Einheitspatent vorzugswürdig ist oder „nur“ eine zentralisierte Anmeldung als europäisches Patent, muss jeweils im Einzelfall entschieden werden.

a) Anmeldekosten des Einheitspatents

Bei den Kosten kann den Ausschlag geben, für wie viele Staaten tatsächlich Schutz beansprucht werden soll. Im Rahmen der Anmeldung kostet ein Einheitspatent in etwa so viel wie ein europäisches Patent für vier Staaten.

Die Anmeldung eines Einheitspatents kann daher etwa vorteilhaft sein, wenn Produkte mit geringen Kosten kopiert werden können und Schutz in möglichst vielen Staaten sinnvoll ist. Bei Hochtechnologie oder bei kostenintensiver Produktion, die typischerweise nur in wenigen Staaten erfolgt, kann hingegen das europäische Patent kostengünstiger sein.

b) Abschreckende Wirkung einzelstaatlicher Klagen

Nachteil des staatsübergreifenden Schutzes ist, dass das Einheitspatent auch einheitlich angegriffen und zu Fall gebracht werden kann. Beim bisherigen europäischen Patent besteht immerhin die Chance, dass Klagen in einzelnen Staaten erfolglos sind und damit der Patentschutz dort fortbesteht. Uneinheitliche Entscheidungen können potenzielle Angreifer darüber hinaus davon abhalten, überhaupt zu klagen, da die Klagen vor verschiedenen nationalen Gerichten verfolgt werden müssten. Durch das Einheitspatent könnte also die Klagefreudigkeit erhöht werden, insbesondere diese sog. Patent-Trolle.

4. Fazit

Mit dem Einheitspatent schreitet die Europäisierung des gewerblichen Rechtsschutzes weiter voran. Es ist zu begrüßen, dass das EPG europäische Rechtsprechung im Patentrecht entwickeln und vereinheitlichen wird. Das Einheitspatent schafft zusätzliche Flexibilität und erleichtert die Rechtsdurchsetzung, da nicht mehr notwendig ist, eine Vielzahl einzelstaatlicher Verfahren zu führen.

Inhaber von europäischen Patenten sollten entscheiden, ob sie Klagen vor dem Einheitlichen Patentgericht oder vor nationalen Gerichten abwehren wollen. Ist Letzteres gewünscht, sollte ein „Opt-Out“ erklärt werden.

Die Bewertung der fachlichen Expertise des Einheitlichen Patentgerichts ist abzuwarten. Positiv ist, dass die deutschen Standorte Düsseldorf und München eingebunden sind und so ausgebildete Experten für die Regionalkammern zur Verfügung stehen. Insoweit dürfte auch die weitgehende Teilzeittätigkeit der Richter am Einheitlichen Patentgericht eher Vor- als Nachteil sein. Denn aus deutscher Sicht stehen damit Richter mit hoher fachlicher Expertise für beide Gerichtsstränge zur Verfügung.

Vor allem die Komplexität, die aus dem Nebeneinander verschiedener Patentarten, Rechtsquellen und Zuständigkeiten folgt, steht jedoch in der Kritik. Insofern ist zu hoffen, dass der nächste Meilenstein in der (Fort-)Entwicklung eines europäischen Patentrechts nicht weitere 50 Jahre auf sich warten lässt.