In steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren richtet sich die Durchsuchung häufig auch gegen nicht verdächtigte Dritte, insbesondere Unternehmen (z.B. Kreditinstitute, Provider, Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien), wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich bei diesen Unterlagen befinden, die den Verdacht einer Steuerstraftat des Tatverdächtigen erhärten könnten. Um Beweismittel und Tatspuren aufzufinden, sind die Ermittlungsbehörden befugt, sowohl auf die Geschäfts- und Nebenräume als auch auf die digitale Infrastruktur des Nichtverdächtigen zuzugreifen. Für das Unternehmen, das verpflichtet ist, diese Maßnahmen zu dulden, stellt dies – jenseits des Image-Schadens – einen schwerwiegenden, rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff dar, wie der Bundesgerichtshof (BGH) erneut bestätigt hat (Urteil v. 6.9.2023 – StB 40/23).

(Verfassungs-)rechtliche Rahmenbedingungen der Durchsuchung

Die Strafprozessordnung (StPO) trägt diesem Umstand zum einen dadurch Rechnung, dass es zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung konkrete und tatsachenbasierte Gründe dafür geben muss, dass ein hinreichend individualisierter Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Nichtverdächtigen gefunden werden kann (§ 103 StPO). Zum anderen ist es von Gesetzes wegen grundsätzlich dem Richter vorbehalten, als unabhängige und neutrale Instanz über die Voraussetzungen für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses sowie seine angemessene inhaltliche Begrenzung zu entscheiden. Bei nicht verdächtigen Personen, deren Verhalten aus Sicht der Ermittlungsbehörden keinen Anlass zu den Ermittlungen gegeben hat, zwingt der drohende Grundrechtseingriff (Art. 13 GG) nach Ansicht des BGH zudem dazu, erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit – sowohl bei Anordnung als auch bei Durchführung der Durchsuchung – zu stellen. Zwar entscheiden die Ermittlungsbehörden grundsätzlich eigenständig darüber, welche Maßnahmen zweckmäßig und wann diese anzuwenden sind. Nicht erforderlich kann eine Durchsuchung jedoch sein, wenn es gleich geeignete und mildere Mittel gibt, zum Beispiel indem der Nichtverdächtige zur Herausgabe des Beweisgegenstandes aufgefordert (§ 95 StPO) oder ihm eine Abwendungsbefugnis eingeräumt wird. Eine Durchsuchung hat unter diesen Prämissen zwingend zu unterbleiben.

Landgericht Köln verneint Abwendungsbefugnis des Nichtverdächtigen

Ob und inwieweit diese verfassungsrechtlichen Maßgaben im Steuerstrafverfahren weiterhin Gültigkeit besitzen, muss seit dem Beschluss des Landgerichts (LG) Köln vom 13. Mai 2020 (112 Qs 4/20) ernsthaft bezweifelt werden. Im Fall einer im Zusammenhang mit cum/ex-Geschäften durchsuchten, nicht verdächtigen Kanzlei hat das LG die Auffassung vertreten, dass die Strafermittlungsbehörden sich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen müssen, bei Dritten zunächst um die Herausgabe von Gegenständen zu bitten, um (unangekündigt) durchsuchen zu können. Eine derartige verfassungsrechtliche Vorgabe existiere nicht, selbst wenn Berufsgeheimnisträger von der Durchsuchung betroffen seien. Der strafverfolgende Staat müsse sich nicht auf eine Redlichkeit verweisen lassen, von der er nicht wisse, ob sie besteht; zumal eine Darlegungslast des Staates für das Gegenteil mit den Prinzipien effizienter Strafverfolgung nicht vereinbar wäre.

Herausgabeverlangen/Abwendungsbefugnis laut BGH verfassungsrechtlich geboten

Die Ansicht des LG steht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung diametral entgegen, die der BGH zuletzt mit Urteil vom 6.9.2023 bekräftigt hat. Danach ist von Verfassungs wegen in allen Phasen des Ermittlungsverfahrens das jeweils mildeste Mittel anzuwenden. Ob die Durchsuchung beim Nichtverdächtigen verhältnismäßig ist, ist danach in zwei Schritten zu prüfen:

1) Eine Durchsuchungsanordnung darf nicht erlassen werden, wenn angesichts der Kooperationsbereitschaft oder -pflicht des Nichtverdächtigen von ihm die Herausgabe der Unterlagen verlangt werden kann. Hierfür muss sich der Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich des Unternehmens befinden, ein Überraschungseffekt zu seiner Erlangung nicht nötig sein, die Durchsuchung Erfolg versprechen, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegenstehen und weder ein Verlust des Gegenstands noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu befürchten sein.

2) In die andernfalls zu erlassende Durchsuchungsanordnung ist eine Abwendungsbefugnis aufzunehmen, wonach der Nichtverdächtige vor Vollstreckung Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des Gegenstands haben soll. Eine Ausnahme gilt hiervon nur, wenn Tatsachen darauf schließen lassen, dass das Unternehmen zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit und mit Verdunkelungsmaßnahmen zu rechnen ist.

Praxis wendet bei Steuerstraftaten Grundsätze des LG Köln an

Gründe dafür, dass diese gefestigte Rechtsprechung, die im Urteilsfall zu Ermittlungen des Generalstaatsanwalts u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ergangen ist, für Steuerstraftaten keine Gültigkeit besitzen soll, sind nicht ersichtlich. Das LG Köln scheint sich gleichwohl darüber hinwegzusetzen, indem es dem Nichtverdächtigen – entgegen der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung – Verdunkelungsmaßnahmen pauschal unterstellt und dadurch ein Herausgabeverlangen bzw. eine Abwendungsbefugnis zu seinen Gunsten obsolet macht.

In der Praxis scheint sich unter Berufung auf den Beschluss des LG Köln de facto ein „Sonderrecht“ für Steuerstraftaten herauszubilden. Denn der Beschluss wurde in die Anweisungen für das Straf- & Bußgeldverfahren aufgenommen (Ziffer 56 (1) Nr. 2 Satz 3 AStBV) und ist damit für die Finanzbehörden faktisch bindend. In der Praxis wird die Entscheidung zudem vermehrt in Durchsuchungsanordnungen zitiert, um eine Abwendungsbefugnis zu versagen. Für herausgabewillige Nichtverdächtige ist das eine missliche Situation, da sie nur im Anschluss an die Durchsuchung Rechtsmittel einlegen können, um deren Rechtmäßigkeit zu rügen. Zwar dürfte sich an der allgemeinen Beratungsempfehlung nichts ändern, wonach es im Regelfall angezeigt ist, sich während einer Durchsuchung gegenüber den Ermittlungsbehörden grundsätzlich kooperativ zu zeigen. In Anbetracht des dargestellten Widerspruchs zwischen BGH- und LG-Rechtsprechung sollten jedoch im Einzelfall die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels gegen die vollzogene Maßnahme sorgfältig geprüft werden.