Seit dem 1. Januar 2023 sind Steuerberater zur elektronischen Kommunikation mit den Finanzgerichten verpflichtet (§ 52d Satz 2 FGO). Die elektronische Kommunikation erfolgt über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach, kurz: beSt. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) wurde vom Gesetzgeber ermächtigt (§ 86f Nr. 2 StBerG), die Einzelheiten des beSt durch Rechtsverordnung zu regeln, woraufhin die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung (StBPPV) erlassen wurde, in der sich zahlreiche Detailregelungen von der Registrierung bis zur konkreten Anwendung finden.
Nach strenger Auffassung einiger BFH-Senate sind Eingaben eines Steuerberaters bei Gericht, die nach dem 31. Dezember 2022 erfolgt sind, unwirksam, wenn diese nicht elektronisch erfolgt sind. Dass der jeweilige Steuerberater sein beSt tatsächlich noch nicht habe nutzen können, weil er die Registrierungsunterlagen noch nicht erhalten habe, sei unbeachtlich. Dem Berufsträger stehe spätestens seit dem 1. Januar 2023 ein elektronischer Kommunikationsweg zur Verfügung; außerdem habe die Möglichkeit einer vorgezogenen Registrierung bestanden, sog. Fast-lane-Verfahren. Dementsprechend habe der Berufsträger im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags auch darzulegen, weshalb er nicht von der Möglichkeit der fast-lane Gebrauch gemacht habe (vgl. BFH v. 28. April 2023, XI B 101/22)
Am 10. Mai 2024 wurde ein Beschluss des X. Senats des BFH veröffentlicht, der einige kritische Fragen aufwirft, die die strenge Auffassung ins Wanken bringen könnte. Der X. Senat hat der Nichtzulassungsbeschwerde wegen einer Gehörsverletzung (keine Rücksichtnahme auf begründete Verspätung des Prozessbevollmächtigten am Tag der mündlichen Verhandlung) stattgegeben und die Vorentscheidung aufgehoben. Da das Finanzgericht die Klage mangels elektronischer Erhebung als unzulässig angesehen hatte, weist der X. Senat – ohne Bindungswirkung – auf folgende Punkte hin, mit denen sich das Finanzgericht wird befassen müssen (vgl. BFH v. 17. April 2024, X B 68 69/24):
Punkt 1: Ist die StBPPV überhaupt wirksam?
Der X. Senat hat sich die zeitliche Abfolge näher angeschaut und folgendes festgestellt: Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der StBPPV ist zwar schon am 1. August 2022 in Kraft getreten, anzuwenden ist sie indes erstmals nach Ablauf des 31. Dezember 2022 (§ 157e StBerG). Die StBPPV wiederum wurde am 25. November 2022 erlassen und am 30. November 2022 verkündet, beides mithin nach Inkrafttreten, aber vor der Anwendbarkeit ihrer formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Unter Zugrundelegung verfassungsrechtlicher Erwägungen zweifelt der X. Senat an der Wirksamkeit der StBPPV, weil die ermächtigende Norm noch gar nicht anzuwenden war, als die darauf gestützte Verordnung erlassen wurde. Ein solcher Fehler dürfte dann auch nicht durch die spätere Anwendbarkeit der Ermächtigungsgrundlage geheilt worden sein; die Verordnung müsste dann neu erlassen werden. Daran anknüpfend zweifelt der X. Senat nicht nur daran, dass es derzeit an einer Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Steuerberater zur Erstregistrierung fehlen könnte, sondern auch an einer aktiven Nutzungspflicht, die ohne den erforderlichen Unterbau einer Rechtsverordnung gar keinen Bestand haben könnte
Punkt 2: Rechtsschutzgewährende Auslegung geboten
Ungeachtet der ergebnisoffen formulierten Zweifel an der Rechtsgrundlage zur aktiven Nutzungspflicht des beSt könnte sich der X. Senat zudem vorstellen, die bislang vom BFH gestellten sehr hohen Anforderungen an Steuerberater in Bezug auf die erstmalige Registrierung etwas zurückzunehmen. In rechtsschutzgewährender Auslegung des § 52d Satz 2 FGO könnte davon auszugehen sein, dass dem Steuerberater ein sicherer Übermittlungsweg nicht bereits typisierend und unwiderleglich seit dem 1. Januar 2023 zur Verfügung steht, sondern erst dann, wenn der Steuerberater, der beim Registrierungsverfahren seine berufsrechtliche Sorgfaltspflicht erfüllt, tatsächlich über ein funktionsfähiges beSt verfügt. Dabei hegt der X. Senat Zweifel daran, ob es einem Steuerberater zur Last gelegt werden kann, nicht das (lediglich als optionales Angebot bezeichnete) Fast-lane-Verfahren gewählt zu haben.
Punkt 3: Überlegungen zur Wiedereinsetzung
Das Finanzgericht könne auch Überlegungen zur Wiedereinsetzung anstellen. Insbesondere seien die tatsächlichen Übergangsschwierigkeiten bei der Einführung des beSt zu berücksichtigen, die in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht vollständig Berücksichtigung gefunden hätten. Wegen dieser könnte es die prozessuale Fürsorge außerdem gebieten, entsprechende Hinweise zu § 52d Satz 2 FGO bereits zeitnah nach Eingang der Klagen zu erteilen.
Bedeutung für die Praxis
Auch wenn sich der X. Senat bislang nur unverbindlich geäußert hat, und zunächst die Entscheidung im zweiten Rechtsgang abzuwarten ist, haben die Aussagen des X. Senats erdrutsch-Charakter. Das betrifft in erster Linie den Bestand der aktiven Nutzungspflicht des beSt. Denn besteht eine solche – aufgrund Unwirksamkeit der StBPPV – derzeit gar nicht, muss das BMF schnellstmöglich (ggf. sogar vorsorglich) aktiv werden und die StBPPV neu erlassen. Gleichwohl wird man keinem Steuerberater ernsthaft dazu raten können, aufgrund der Entscheidung des X. Senats jetzt vorläufig nicht mehr über beSt mit Finanzgerichten zu kommunizieren, auch wenn das die Schlussfolgerung aus der in den Raum gestellten Argumentation des X. Senats wäre. Nutzen stiften kann die Entscheidung aber in all denjenigen noch nicht abgeschlossenen Verfahren, in denen um die Folgen eines Verstoßes gegen § 52d Satz 2 FGO gestritten wird. Entsprechende Verfahren könnten gerettet werden, weil tatsächlich gar keine aktive Nutzungspflicht bestanden hat oder weil in rechtsschutzgewährender Auslegung auf die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit abgestellt wird, ungeachtet der Frage, ob diese unter Inanspruchnahme des Fast-lane-Verfahrens erlangt wurde oder nicht.