BGH erleichtert Beschlüsse in der Wohnungseigentümergemeinschaft über bauliche Veränderungen für mehr Barrierefreiheit

27.02.2024 | FGS Blog

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwei Fälle (Fall 1), (Fall 2) zur Beschlussfassung in der Wohnungseigentümergemeinschaft über bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums, die der Barrierefreiheit dienen, entschieden. Erst im Dezember 2020 wurden im Rahmen der großen Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) veränderte Möglichkeiten für Beschlussfassungen im WEG implementiert siehe hierzu FGS-Blog. Der BGH legt die Regelungen im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses weit aus und vereinfacht damit die Beschlussfassung in der Wohnungseigentümergemeinschaft.

Beschlüsse über bauliche Veränderungen

Mit der WEG-Novelle wurde die Beschlussfassung von baulichen Veränderungen in der Wohnungseigentümergemeinschaft umfassend verändert. Seitdem bedarf es für Beschlüsse über bauliche Veränderungen grundsätzlich nur noch der einfachen Mehrheit (§ 25 Abs. 1 WEG). Der Gesetzgeber wollte damit die Wohnungseigentümergemeinschaft attraktiver machen. Es sollte erreicht werden, dass bauliche Veränderungen leichter durchgeführt und nicht mehr ohne Weiteres von einzelnen Wohnungseigentümern blockiert werden können.

Neben dieser allgemeinen Vereinfachung hat der Gesetzgeber sogenannte privilegierte Vorhaben definiert. Der einzelne Wohnungseigentümer hat das Recht, den Beschluss baulicher Veränderungen zu verlangen, die (1.) dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, (2.) dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge, (3.) dem Einbruchsschutz oder (4.) dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität dienen (§ 20 Abs. 2 WEG). Voraussetzungen sind jeweils, dass diese baulichen Veränderungen angemessen sind sowie die Wohnanlage weder grundlegend umgestalten noch einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen.

Das Recht des einzelnen Wohnungseigentümers, eine entsprechende bauliche Veränderung zu verlangen, ist mit den Kosten und Nutzungen dieser baulichen Veränderungen verbunden, wobei gilt: Wer einen Beschluss verlangt, hat grundsätzlich auch die Kosten der Maßnahme zu tragen, ist dann aber auch allein zur Nutzung berechtigt (§ 21 Abs. 1 WEG). Allerdings sieht das Gesetz die Möglichkeit einer nachträglichen Nutzungseinräumung gegen entsprechende Kostenbeteiligung vor (§ 21 Abs. 4 WEG).

BGH hebt das Regel-Ausnahme-Verhältnis hervor

In seinen Entscheidungen hebt der BGH das Regel-Ausnahme-Verhältnis der neuen gesetzlichen Regelungen hervor. Sofern ein privilegiertes Vorhaben vorliegt, ist nach den Entscheidungen des BGH in der Regel auch davon auszugehen, dass die begehrte bauliche Veränderung angemessen ist (vgl. § 20 Abs. 2 WEG) und keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage vorliegt oder einen übrigen Wohnungseigentümer unbillig benachteiligt (vgl. § 20 Abs. 4 WEG). Der einzelne Wohnungseigentümer hat damit in der Regel einen Anspruch auf Fassung des gestattenden Beschlusses.

Nur ausnahmsweise soll eine bauliche Veränderung unangemessen sein. Dabei hat eine wertende Gesamtbetrachtung zu erfolgen, die sich insbesondere auf die Nachteile richtet, die alle Wohnungseigentümer betreffen. Solche Nachteile, die typischerweise im Rahmen des privilegierten Vorhabens eintreten, reichen für eine Unangemessenheit allerdings nicht aus. Offengelassen hat der BGH dabei die spannende Frage, ob lediglich das mildeste Mittel angemessen ist (bspw. Einbau eines Treppenlifts statt eines Aufzugs).
 

Ähnlich argumentiert der BGH zur Frage, ob es durch die bauliche Veränderung zu einer grundlegenden Umgestaltung der Immobilie kommt oder diese eine unbillige Benachteiligung eines einzelnen Wohnungseigentümers begründen könnte (vgl. § 20 Abs. 4 WEG). Dies ist nach dem BGH nicht der Fall, wenn die baulichen Veränderungen typischerweise mit der Umsetzung eines privilegierten Vorhabens zusammenhängen bzw. einhergehen wie z.B. optische Veränderungen, Platzverbrauch oder Schattenwurf bei der Errichtung eines Aufzugs an einer Wohnanlage.

Nicht erforderlich für ein privilegiertes Vorhaben ist es, dass der betroffene Wohnungseigentümer selbst von dem privilegierten Vorhaben profitiert, weil er beispielsweise in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Entscheidend ist allein die rechtliche Wertung des Gesetzgebers, der die jeweiligen privilegierten Maßnahmen vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisses geschaffen hat.

Der BGH hat klargestellt, dass im Rahmen eines solchen Beschlusses ein einzelner Wohnungseigentümer eine ausschließliche Nutzungsbefugnis über die umgesetzte bauliche Veränderung erhalten kann. Dies ist die Regel, wenn er allein die Kosten trägt. Eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer diesbezüglich – welche die Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer voraussetzen würde – ist nicht erforderlich. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, außerhalb des Grundbuchs (und ohne Vereinbarung) Nutzungsbefugnisse einzelner Wohnungseigentümer zu beschließen.

Steigerung der Attraktivität von Wohnungseigentum?

Die immer wieder schwierigen Abstimmungen mit anderen Wohnungseigentümern sind als grundsätzliches Manko des Wohnungseigentums anzusehen. Gerade bei Bestandsimmobilien, für die in naher Zukunft Modernisierungsmaßnahmen anstanden, war stets auch die die Frage der Durchsetzbarkeit der Maßnahmen zu stellen. Die WEG-Novelle wollte entsprechende Beschlüsse in diesem Zusammenhang erleichtern, um Wohnungseigentum attraktiver zu machen. Die Entscheidungen des BGH zeigen nun, dass insbesondere bei privilegierten Vorhaben eine tatsächliche Erleichterung geschaffen wurde und zumindest in diesem Bereich die Schwierigkeiten der Auseinandersetzung mit den übrigen Wohnungseigentümern entschärft ist. Zu begrüßen ist, dass eine subjektive Betroffenheit der Wohnungseigentümer nicht erforderlich ist, sondern der Fokus auf der Abstraktheit des Katalogs privilegierter Vorhaben liegt.

Dabei hat die erleichterte Beschlussfassung zwei Seiten: Zwar wird es leichter, eigene bevorzugte bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum durchzusetzen. Zugleich steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, von anderen Wohnungseigentümern verlangte bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum mitbeschließen und hinnehmen zu müssen. Beteiligt man sich nicht an den Kosten der Veränderungen, so ist man zur Nutzung nicht berechtigt, wobei die vom Gesetzgeber vorgesehene nachträgliche Beteiligungsmöglichkeit gegen Kostenbeteiligung verbleibt, die jedoch ihrerseits Auseinandersetzungspotenzial birgt.

Im Rahmen des Erwerbs einer Eigentumswohnung gewinnt die sorgfältige Prüfung der Historie der Wohnungseigentümergemeinschaft einmal mehr an Bedeutung, insbesondere die Durchsicht der Beschlusssammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft. Denn in der Vergangenheit gefasste Beschlüsse sind auch für Erwerber bindend. Es ist im Kontext der Gesetzesänderung nicht auszuschließen, dass der einzelne Wohnungseigentümer z.B. zur Nutzung des im Rahmen eines privilegierten Vorhabens errichteten Aufzugs gar nicht berechtigt ist. Für die Wohnungseigentümergemeinschaft und die Verwaltung gewinnt daher eine gut geführte Beschlusssammlung einmal mehr an Bedeutung.