Yannick Barbu LL.M., Licencié en droit

Betriebsstätten bzw. deren (Nicht-)Vorhandensein sind ein häufiger Streitpunkt zwischen Finanzverwaltungen und Steuerpflichtigen und beschäftigen daher in regelmäßigen Abständen die deutschen Finanzgerichte. Im vergangenen Jahr hatte der BFH sich bspw. mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen die Beauftragung einer inländischen Dienstleistungsgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte des ausländischen Auftraggebers führt (BFH, Urteil v. 23.3.2022 – III R 35/20, s. auch FGS-Blog). Im zweiten Rechtsgang hatte das FG Berlin-Brandenburg nun insb. die Frage zu klären, ob die ausländische Klägerin durch die Einschaltung der inländischen Dienstleistungsgesellschaft über eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte verfügte. Diese Frage hat das FG in seiner Entscheidung v. 28.6.2023 (11 K 11108/17) bejaht. Hierzu im Einzelnen:

Hintergrund

Eine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO ist eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche, die für eine gewisse Dauer besteht, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die es eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Nach der Rechtsprechung des BFH können die Geschäftsräume einer eingeschalteten Dienstleistungsgesellschaft grundsätzlich auch eine Betriebsstätte des Auftraggebers bilden – dies selbst dann, wenn kein vertragliches Nutzungsrecht an den Geschäftsräumen vereinbart wurde. Außerdem enthält § 12 Satz 2 AO einen Katalog von Betriebsstätten, der u.a. die Stätte der Geschäftsleitung nennt.

Sachverhalt

Im Urteilsfall war umstritten, ob die Klägerin ihr Gewerbe durch eine inländische Betriebsstätte ausübte und deshalb gewerbesteuerpflichtig war. Ihr alleiniger Geschäftsführer hatte seinen Wohnsitz in Luxemburg. Die Gesellschaft verfügte über eine inländische, fremdvermietete Immobilie und hatte für deren Verwaltung eine deutsche Dienstleistungsgesellschaft beauftragt. Hierzu hatte sie der Dienstleistungsgesellschaft eine umfassende Hausverwaltungsvollmacht erteilt, die u.a. zur Vertretung gegenüber Behörden und zur Einschaltung von weiteren Dienstleistern berechtigte. Die Dienstleistungsgesellschaft räumte der Klägerin kein Nutzungsrecht für ihre in Deutschland belegenen Geschäftsräume ein. Da die Klägerin der Auffassung war, dass sie im Inland somit über keine Betriebsstätte verfüge, klagte sie gegen die ergangenen Gewerbesteuerbescheide für das Streitjahr 2013.

Bisheriger Verfahrensgang

Im ersten Verfahrensgang vertrat das FG Berlin-Brandenburg die Ansicht, dass die Klägerin trotz des fehlenden (vertraglichen) Nutzungsrechts durch die Einschaltung der Dienstleistungsgesellschaft über eine inländische Betriebsstätte verfügt habe und daher gewerbesteuerpflichtig gewesen sei.

Die dagegen gerichtete Revision hatte Erfolg. Der BFH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Außerdem präzisierte der BFH die Voraussetzungen, unter denen die Einschaltung einer Dienstleistungsgesellschaft zu einer Betriebsstätte des Auftraggebers führen kann (für weitere Einzelheiten, s. FGS-Blog). Daneben gab der BFH dem FG weitere Prüfungspunkte für den zweiten Rechtsgang mit auf den Weg:

  • So sollte das FG einerseits Feststellungen dazu treffen, ob die vermietete inländische Immobilie ausnahmsweise eine inländische Betriebsstätte der luxemburgischen Gesellschaft begründete.
  • Außerdem sollte das FG prüfen, ob die Klägerin möglicherweise eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO hatte.

Betriebsstätte bei Übertragung des „Tagesgeschäfts“ auf die Dienstleistungsgesellschaft

In der nun veröffentlichten Entscheidung verneint das FG zunächst eine inländische feste Geschäftseinrichtung der Klägerin in der vermieteten Immobilie. Außerdem habe die Klägerin auch keine Betriebsstätte in den Räumlichkeiten der Dienstleistungsgesellschaft begründet, indem sie diese beauftragt hatte. Denn hierzu fehle es an der vom BFH in der Revisionsentscheidung geforderten „Personenidentität der Leitungsorgane“, bzw. einem eigenen Tätigwerden der Klägerin vor Ort (bspw. in Form von Überwachungstätigkeiten).

Allerdings erkennt das FG eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO i.V.m. § 10 AO) der Klägerin. Nach § 10 AO ist die Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Bei dessen Bestimmung stellt das FG entscheidend darauf ab, an welchem Ort die „Tagesgeschäfte“ der Klägerin tatsächlich wahrgenommen wurden:

  • "Tagesgeschäfte" sind in diesem Zusammenhang diejenigen Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes (hier: der Klägerin) mit sich bringt, sowie die organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft (hier: die Klägerin) gehören. Das FG stellt außerdem klar, dass die Veräußerung der (einzigen) Immobilie kein „Tagesgeschäft“ sei.
  • Im Streitfall konnte die Dienstleistungsgesellschaft aufgrund der umfassenden Hausverwaltungsvollmacht die täglichen, mit der Immobilienvermietung verbundenen Geschäfte ausführen. Sie hatte hierbei außerdem eine weitreichende eigene Entscheidungskompetenz.
  • Zulasten der Klägerin wertete das FG, dass sie ihren Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO) nicht nachkam. So konnte sie ihren Vortrag, dass die geschäftsleitenden Entscheidungen tatsächlich in Luxemburg getroffen worden wären, nicht durch entsprechende Nachweise (bspw. Korrespondenz) untermauern.
  • Außerdem lässt sich nach Auffassung des Gerichts aus der Tatsache, dass der Geschäftsführer der Klägerin seinen Wohnsitz in Luxemburg hatte, nicht schließen, dass er dort automatisch eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte unterhalte.

Praxisfolgen

Die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg ist insb. für ausländische Immobiliengesellschaften und bei Investitionen mittels sog. „No PE-Strukturen“ sehr relevant. Sie bestätigt, dass eine (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte in fremden Räumlichkeiten nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist. Außerdem unterstreicht das FG die Bedeutung einer zweckmäßigen Dokumentation. Dies betrifft zum einen den Nachweis, dass die Geschäftsleitung durch den Auftraggeber ausgeübt wird (bspw. in Form von E-Mails, SMS- oder WhatsApp-Nachrichten, Briefen oder Faxnachrichten) und zum anderen den Nachweis, an welchem Ort dies erfolgt. Unternehmen, die zur Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit (konzerninterne) Dienstleister eingeschaltet haben, sollten daher darauf achten, dass die entsprechenden Dienstleistungsverträge und Vollmachten klarstellen, dass die Entscheidungen, die das „Tagesgeschäft“ betreffen, nicht von dem inländischen Dienstleister getroffen werden dürfen. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass entsprechende Nachweise existieren.