Dr. Tobias Schwartz      Sabrina Faber

Zum 1. Januar 2023 ist die neue Regelung des § 153 Abs. 4 AO in Kraft getreten. Diese normiert eine erweiterte Anzeige- und Berichtigungspflicht für Prüfungsfeststellungen einer Außenprüfung, die auch in anderen Veranlagungszeiträumen zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen.

Konkret entsteht die Anzeige- und Berichtigungspflicht, wenn die den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte auch in einer anderen vom oder für den Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen. Voraussetzung ist, dass diese Prüfungsfeststellungen zuvor unanfechtbar in einem Steuerbescheid, einem Feststellungsbescheid oder einem Teilabschlussbescheid umgesetzt worden sind.

Die Regelung ist erstmals anwendbar für Steuern und Steuervergütungen, die nach dem 31. Dezember 2024 entstehen sowie für solche, die zwar vor dem 1. Januar 2025 entstehen, für die aber nach dem 31. Dezember 2024 eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben worden ist.

Der Umgang mit der Vorschrift wird bereits jetzt in der Literatur kontrovers diskutiert, da der Gesetzeswortlaut zu zahlreichen Auslegungsfragen führt. Für die Praxis bringt dies erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich.

Spannungsverhältnis zwischen Abs. 1 und Abs. 4

Ungeklärt ist derzeit die grundlegende Frage, ob der Gesetzgeber durch die Einführung des neuen Absatz 4 eine Spezialregelung für BP-Feststellungen schaffen wollte oder ob Absatz 4 neben die bestehende Anzeige- und Berichtigungspflicht nach Absatz 1 tritt. Die Gesetzesbegründung gibt darüber keinen Aufschluss. Je nach rechtlicher Bewertung führt diese Auslegungsfrage zu erheblichen Unterschieden im praktischen Umgang.  

Während eine vorrangige Anwendbarkeit des Absatz 4 als lex specialis den maßgeblichen Zeitpunkt für das Entstehen der Anzeige- und Berichtigungspflicht auf die Bestandskraft der jeweiligen Bescheide verlagert, könnte eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach Absatz 1 deutlich früher entstehen. Dies ist bereits dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der abgegebenen Steuererklärung erkennt.

Wenngleich gute Gründe dafür sprechen, dass Absatz 4 lex specialis für BP-Feststellungen ist, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Finanzverwaltung gegen den Anwendungsvorrang ausspricht.  

Absatz 1 ist aus diesem Grund nach wie vor – auch bei Sachverhalten, in denen eine Betriebsprüfung anhängig ist – im Blick zu behalten. Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anzeige- und Berichtigungspflicht im Zusammenhang mit BP-Feststellungen bereits dann entsteht, wenn der Steuerpflichtige Kenntnis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit abgegebener Steuererklärungen erhalten hat. In diesem Fall wäre jedoch sorgsam zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt diese erlangt wurde. Allein der Hinweis der Finanzverwaltung auf eine unzutreffende steuerliche Behandlung vermag eine solche Kenntnis nicht per se zu begründen. Für die in der Prüfungsanordnung vorgesehenen Steuerarten und Prüfungszeiträume ist nach dem Anwendungserlass zu § 153 AO eine Anzeige bei Fehlerfeststellungen durch die Betriebsprüfung in jedem Fall entbehrlich.

Umfang der Anzeige- und Berichtigungspflicht

Dem Wortlaut des § 153 Abs. 4 AO entsprechend betrifft die Anzeige- und Berichtigungspflicht alle „den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegende[n] Sachverhalte“.

Unstreitig sind vom Anwendungsbereich der Vorschrift konkret-individuelle Dauersachverhalte umfasst, wie zum Beispiel die Korrektur der anzusetzenden Nutzungsdauer bzgl. der Abschreibung eines Wirtschaftsgutes.

Ungeklärt ist hingegen, ob sich der Anwendungsbereich auch auf gleichgelagerte oder vergleichbare Sachverhalte erstreckt. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn von der BP aufgegriffene Geschäftsmodelle auch mit anderen Vertragspartnern umgesetzt wurden.

Der Gesetzeswortlaut deckt ein solch weites Verständnis nicht. Vergleichbare und gleichgelagerte Sachverhalten zu erfassen, hätte zudem eine ausufernde und unzumutbare Prüfpflicht des Steuerpflichtigen zur Folge. Die Beschränkung des neuen Absatz 4 auf konkret-individuelle Dauersachverhalte würde den Anwendungsbereich der Norm anderseits stark begrenzen. Aus diesem Grund erscheint es nicht fernliegend, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich auch auf gleichgelagerte oder vergleichbare Sachverhalte erstrecken könnte.

Praxisempfehlung

Zu beachten ist, dass die Verletzung der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO strafbewährt ist, da sie eine Erklärungspflicht im Sinne des § 370 AO darstellt.

Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten sollte im Blick gehalten werden, wie sich die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung zukünftig hinsichtlich der Anwendbarkeit des neuen Absatz 4 positionieren.

Ferner erscheint es ratsam, den Umgang mit einer Anzeige- und Berichtigungspflicht im Rahmen der Schlussbesprechung proaktiv anzusprechen. Zudem kann angeregt werden, im Prüfbericht zu dokumentieren, dass bzgl. konkreter Prüfungsfeststellungen keine Fortschreibungspflicht für Folgejahre besteht. Ein strafrechtlich relevantes Handeln kann dadurch ausgeschlossen werden. Dies gilt im Grundsatz auch dann, falls die Veranlagungsstelle später zu einer abweichenden Bewertung gelangen sollte.

Im Hinblick auf noch abzugebende Steuererklärungen kommen Prüfungsfeststellungen ebenfalls eine gewichtige Bedeutung zu. In der Praxis hat die Einleitung von Steuerstrafverfahren wegen wiederholter Prüfungsfeststellungen zuletzt deutlich zugenommen. Sollten Prüfungsfeststellungen in noch abzugebenden Steuererklärungen nicht umgesetzt werden – etwa weil der Steuerpflichtige die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nicht teilt – sollte hierauf unbedingt in einem Side-Letter zur Steuererklärung oder in dem Freitextfeld hingewiesen werden.

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