Ein Verwaltungsakt, der am Mittwoch zur Post aufgegeben wird, gilt regelmäßig am kommenden Samstag als bekanntgegeben. Für die routinemäßige Berechnung der Rechtsbehelfsfrist ist entscheidend, ob sich der Tag der Bekanntgabe dann auf den nächsten Werktag verschiebt oder nicht. Die Finanzgerichte interpretieren die maßgeblichen Vorschriften aus der Abgabenordnung (AO) anders als die allermeisten Verwaltungsgerichte die maßgeblichen Vorschriften aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Das hat praktische Bedeutung für die Berechnung der Rechtsbehelfsfrist: Die Widerspruchsfrist kann zwei Tage früher enden als die Einspruchsfrist!
Unterschiedlicher Bekanntgabetag führt zu Unterschieden in der Fristberechnung
Steuerrecht ist streitanfällig. Außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren haben in der Praxis große Bedeutung. Oftmals können bestehende Streitfragen bereits hier befriedet werden. Dazu kommt es aber nur, wenn fristgerecht Einspruch beim Finanzamt bzw. Widerspruch bei der Gemeinde (soweit nach Landesrecht nicht direkt geklagt werden muss) eingelegt worden ist. Die Fristberechnung ist ein Routinevorgang.
Genauer hinschauen sollte man aber immer dann, wenn die Gemeinde einen Steuerbescheid erlässt. Das ist insbesondere bei der Gewerbe- und Grundsteuer hinsichtlich selbstständiger Streitfragen (vgl. § 351 Abs. 2 AO), aber auch bei bestimmten Kommunalsteuern wie z.B. der Zweitwohnungsteuer der Fall. Obwohl die Gemeinde diese Steuern festsetzt, finden im weiten Umfang die Vorschriften der AO Anwendung. Das gilt auch hinsichtlich der für den Tag der Bekanntgabe maßgeblichen Vorschriften. Kommt es jedoch zum Streit, ob der Widerspruch fristgerecht eingelegt worden ist, wird diesen nicht das Finanzgericht, sondern das Verwaltungsgericht entscheiden. Das Verwaltungsgericht wird dann geneigt sein – obwohl es über die Vorschriften aus der AO zu befinden hat – die zu den Vorschriften aus dem VwVfG entwickelte abweichende Interpretation zugrunde zu legen (so z.B. VG München, Beschluss v. 7. Dezember 2021 – M 10 S 21.4517).
Für den Steuerpflichtigen bzw. dessen Berater bedeutet dies, dass er sich in diesen Fällen hinsichtlich der Fristberechnung an den abweichenden Vorgaben aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit orientieren muss, obwohl die maßgeblichen Vorschriften aus der AO stammen. Anderenfalls droht die Verfristung des Widerspruchs und infolgedessen auch die Beraterhaftung. Aufgrund der besonderen Gemengelage kann im Fall der Fälle aber auch noch ein Wiedereinsetzungsgesuch Aussicht auf Erfolg haben (so z.B. VG München, Beschluss vom 23. November 2010 – M 10 S 10.4524).
Fazit
Erlässt die Gemeinde einen Steuerbescheid, ist bei der Berechnung der Widerspruchsfrist Vorsicht geboten: Auch wenn die maßgeblichen Vorschriften aus der AO stammen, sollten die abweichenden – zu den maßgeblichen Vorschriften aus dem VwVfG entwickelten – Grundsätze beachtet werden. Aus Vorsichtsgründen und zur Vermeidung von Haftungsrisiken ist ohnehin stets vom ungünstigsten Fall auszugehen, d. h. als Fristablauf ist der Tag vorzumerken, an dem die Frist frühestens ablaufen kann.
Ausblick
An Relevanz gewinnt die Problematik mit Beginn der Versendung der Grundsteuerbescheide. In den Flächen-Bundesländern erfolgt die Festsetzung der Grundsteuer durch die Gemeinden. In Berlin, Hamburg und in der Stadtgemeinde Bremen (zusätzliche Besonderheiten gelten für die Stadtgemeinde Bremerhaven) erfolgt die Festsetzung hingegen durch die Landesfinanzbehörden. Trotz taggleicher Aufgabe zur Post kann es dann in den genannten Fällen zu einem Auseinanderfallen der Rechtsbehelfsfristen kommen: Die Bürger in den Flächen-Bundesländern müssen – soweit erforderlich – schneller handeln als diejenigen in Berlin, Hamburg und in der Stadtgemeinde Bremen.