Hat ein Steuerpflichtiger mehrere Wohnsitze in unterschiedlichen Staaten, ist der Sachverhalt nach nationalem sowie nach Abkommensrecht gründlich zu prüfen, um unerwünschten Steuereffekten vorzubeugen. Die Begründung eines Auslandswohnsitzes oder die Verlagerung des Lebensmittelpunkts sollte stets sorgfältig vorplant sein, um insbesondere sogenannte Steuerentstrickungsrisiken zu antizipieren und diesen gegebenenfalls vorzubeugen. Häufig liegt es daher im Interesse des Steuerpflichtigen, dass ein steuerlicher Wegzug nicht stattfindet. Das FG Baden-Württemberg hatte nunmehr jüngst über den umgekehrten Fall zu entscheiden, bei dem der Steuerpflichtige vermeintlich glaubte, weggezogen zu sein (Urteil vom 4. August 2022 – 1 K 2898/21 ).
Ausgangssachverhalt
Streitgegenstand war die Besteuerung von Gewinnausschüttungen von chinesischen Gesellschaften des Klägers in den Jahren 2013 bis 2018 im Inland. Der Kläger war bereits in den 90er Jahren nach Deutschland gekommen. Er wohnte mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in einem Haus im Inland, das ihm und seiner Ehefrau zu jeweils hälftigem Miteigentum gehörte. Der Kläger trug vor, im Jahr 2008 in sein Haus in China verzogen zu sein und seither getrennt von seiner Ehefrau, die weiterhin in seinem Haus in Deutschland wohnte, zu leben. Sein Wohnsitz befände sich seither ausschließlich in China, „da er dort lebe, arbeite, seine Familie empfange, seine persönlichen Dinge aufbewahre und von dort seine Firma leite.“ Das Haus in Deutschland sei für ihn lediglich ein „Rückzugsort im Falle einer Krise der Politik in China“. Bei gelegentlichen Aufenthalten in Deutschland übernachte er nur deshalb nicht im Hotel, sondern „an seinem ehemaligen Wohnsitz“, um Kosten einzusparen. Steuerlich bescheinigte die chinesische Finanzverwaltung dem Kläger ein „Chinese fiscal resident“ zu sein. Deshalb seien die Gewinnausschüttungen im Inland steuerfrei. Die Finanzverwaltung ging hingegen davon aus, der Kläger hätte seinen Wohnsitz in Deutschland nicht aufgegeben. Es sei anhand des vom Kläger eingereichten Reisepasses und Kreditkartenabrechnungen festgestellt worden, dass der Kläger mehr als 90 Tage im Jahr im Inland verweilte, Restaurants besuchte und Ärzte aufsuchte. Auch die Haushälterin bestätigte den regelmäßigen Aufenthalt des Klägers in seinem deutschen Wohnhaus.
Entscheidung des FG Baden-Württemberg
Das FG Baden-Württemberg folgte dem Finanzamt. Die Gewinnausschüttungen unterlägen im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers der Besteuerung im Inland. Der Kläger habe stets einen steuerlichen Wohnsitz im Inland innegehabt, denn ihm standen jederzeit Räumlichkeiten zur Verfügung, die über eine lediglich kurzfristige, vorübergehende oder eine bloß notdürftige Unterbringungsmöglichkeit weit hinausgehen. In dem deutschen Wohnhaus befanden sich ein speziell für seine Bedürfnisse gefertigtes Bett und persönliche Gegenstände des Klägers, weshalb es nicht glaubhaft sei, dass der Kläger lediglich aus Kostengründen in seinen ihm mitgehörenden Räumlichkeiten übernachtete.
Das Besteuerungsrecht Deutschlands würde auch nicht durch das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit China eingeschränkt. Aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland, sei er auch nach dem DBA-China im Inland ansässig. Die Tie-Breaker-Rule nach Art. 4 Abs. 2 DBA-China sei vorliegend nicht zu prüfen, denn ausgehend von den Ermittlungen zum ausländischen Recht sei festgestellt worden, dass der Kläger nicht unbeschränkt steuerpflichtig in China sei. Er unterliege dort nur einer beschränkten Steuerpflicht, nach der insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerfrei vereinnahmt werden können. Der Kläger gelte mithin als nach DBA ausschließlich in Deutschland ansässig.
Im Ergebnis seien die Gewinnausschüttungen der chinesischen Gesellschaften an den Kläger nach Artikel 10 Abs. 1 DBA-China in Deutschland voll zu besteuern. Eine Anrechnung einer chinesischen Steuer scheide aus, da China von seinem Quellensteuerrecht nach Art. 10 Abs. 2 DBA-China keinen Gebrauch macht.
Praxistipp
Die Entscheidung des FG Baden-Württemberg betrifft die sehr praxistypische Fragestellung nach dem DBA-Ansässigkeitsstaat. Voraussetzung hierfür ist zunächst eine unbeschränkte Steuerpflicht in zumindest einem DBA-Staat, was in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt voraussetzt.
Ob ein steuerlicher Wohnsitz im Inland besteht bzw. begründet wird, hängt insbesondere von der Eignung der Räumlichkeiten zum Wohnen sowie der sogenannte Schlüsselgewalt über die Räumlichkeiten ab. Soll ein steuerlicher Wohnsitz im Inland beenden werden, ist mithin die „Unbewohnbarkeit“ durch Räumung der Zimmer (insbes. keine Betten oder Schlafmöglichkeit) oder die Abgabe der Verfügung über die Räumlichkeiten durch den Verkauf oder die Vermietung derselben empfehlenswert. Das Urteil zeigt deutlich, über welche Instrumente die Finanzverwaltung zur Überprüfung eines (vermeintlichen) Wohnsitzes im Inland verfügt.
Ob eine Person auch in einem anderen Staat aufgrund eines Wohnsitzes, eines ständigen Aufenthaltes oder ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist und damit ebenfalls ansässig i.S. eines DBA wäre, ist nach ausländischem Recht aus inländischer Sicht zu prüfen. Liegt bereits keine unbeschränkte Steuerpflicht im Ausland vor, ist ein DBA-Ansässigkeitswechsel ausgeschlossen. In derartigen Fällen kann ein steuerlicher Wegzug aus Deutschland durch die Aufrechterhaltung der unbeschränkten Steuerpflicht vermieden werden.
Im Übrigen kann ein Ansässigkeitswechsel auch durch Inanspruchnahme von Sonderregelungen im Ausland vermieden werden (z.B. Remmitance Base Besteuerung in UK, Zypern, Malta und Irland; Non-Dom-Regime in Italien, Non-Habitual-Residence-Regime in Portugal und Spanien oder Expert Tax Relief in Schweden). Derartige Sonderregime stehen aber häufig nur für temporär geplante Auslandsaufenthalte zur Verfügung, können aber insbesondere vor dem Eingreifen einer Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG und betrieblicher Entstrickungsfolgen schützen.