Reform des Gemeinnützigkeitsrechts unter Dach und Fach

18.12.2020 | FGS Blog

Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist unter Dach und Fach. Nach dem Deutschen Bundestag am Mittwoch hat heute der Bundesrat dem Jahressteuergesetz 2020 zugestimmt. Darin vorgesehen sind zahlreiche, mitunter grundlegende Änderungen für gemeinnützige Organisationen und deren Förderer. Die meisten Änderungen werden am Tag nach Verkündung des Jahressteuergesetzes 2020 im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

Was ist neu?

Umgesetzt wurden viele der Vorschläge, die die Länder am 9. Oktober 2020 über den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hatten (Bundesrats-Drucksache 503/20 (Beschluss), dort Seiten 140 bis 155; dazu unser Blog-Beitrag vom 9. Oktober 2020). Im Gesetzgebungsverfahren neu hinzugekommen ist die Einführung eines „Zuwendungsempfängerregisters“, allerdings erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024.

Nicht ins Gesetz aufgenommen wurden hingegen eine Regelung zu den Möglichkeiten und Grenzen politischer Betätigung gemeinnütziger Organisationen sowie die Einführung einer pauschalen „Ausstiegsabgabe“.

Bei der Umsatzsteuer gibt es umfangreiche Änderungen unter anderem in den Befreiungsvorschriften § 4 Nr. 14, 16, 23 und 25 UStG.

Im Einzelnen stehen jetzt folgende Neuerungen im Gemeinnützigkeitsrecht an:

Funktionsleistungen, Servicegesellschaften

Eine Körperschaft ist nach dem neuen Gesetz auch dann „unmittelbar gemeinnützig“ tätig, wenn sie aufgrund ihrer Satzung planmäßig mit mindestens einer anderen gemeinnützigen Organisation zusammenwirkt (§ 57 Abs. 3 Satz 1 AO). Damit werden sogenannte Funktionsleistungen nunmehr als gemeinnützig anerkannt. Die Neuregelung wirft allerdings Fragen zur Satzungsgestaltung auf.

Reine Servicegesellschaften werden künftig insoweit „unmittelbar gemeinnützig“ agieren, als sie ihre Leistungen anderen gemeinnützigen Organisationen, etwa in einem Konzern, als Vorleistung für deren gemeinnützige Tätigkeiten erbringen. Für die Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft bedarf es allerdings einer gemeinnützigkeitskonformen Satzung. Diese muss für bereits bestehende Gesellschaften – vorbehaltlich einer Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung – bereits mit Wirkung zum Jahresanfang vorliegen (§ 60 Abs. 2 AO). Damit einher geht eine neue Beurteilung hinsichtlich des Erwerbs von Anteilen an Servicegesellschaften.

Ungeachtet der Neuregelung sollten gemeinnützige Kooperationspartner stets darauf achten, nicht ungewollt eine (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu begründen, die ein eigenständiges Gewerbesteuersubjekt und als solches nicht steuerbefreit ist. In diesem Kontext: Noch in dieser Legislaturperiode soll das Recht der Personengesellschaften umfassend novelliert werden (dazu unser Blog-Beitrag vom 23. April 2020); das Bundesjustizministerium hat am 19. November 2020 einen 350 Seiten starken Referentenentwurf vorgelegt.

Die Neuregelung wird durch den Zusatz ergänzt, dass entgeltlich erbrachte Funktionsleistungen einen Zweckbetrieb begründen, wenn sie und die Tätigkeiten einer anderen gemeinnützigen Körperschaft in der Zusammenschau die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs erfüllen (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AO). Damit werden viele Servicegesellschaften, insbesondere solche in einem gemeinnützigen Konzern, künftig in erheblichem Umfang ertragsteuerfrei tätig sein. Hingegen begründen entgeltliche Serviceleistungen an nichtgemeinnützige Dritte wie bislang einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

Konzernstrukturen

Für gemeinnützige Konzerne wird es zu einem sehr erfreulichen Paradigmenwechsel kommen. Eine Körperschaft soll nämlich auch dann „unmittelbar gemeinnützig“ tätig sein, wenn sie sich darauf beschränkt, Beteiligungen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften zu halten (§ 57 Abs. 4 AO). Damit sind reine Holdingkörperschaften an der Spitze eines gemeinnützigen Konzerns auch ohne eigene operative gemeinnützige Aktivitäten steuerbegünstigt. Diese gemeinnützigkeitsrechtliche Neuregelung ist speziell bei Stiftungen daraufhin zu prüfen, ob das reine Halten und Verwalten von Beteiligungen mit dem stiftungsrechtlichen Verbot der Selbstzweckstiftung in Einklang steht.

Dieser Paradigmenwechsel hat praktische Auswirkungen für die Finanzierung des Erwerbs von Beteiligungen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, insbesondere an gGmbHs. Im Kontext dieser Neuregelung stellen sich zahlreiche Folgefragen, auch wegen des Sphärenwechsels bereits bestehender Beteiligungen.

Die Neuregelungen führen auch zu einer neuen steuerrechtlichen Beurteilung von Serviceleistungen innerhalb eines gemeinnützigen Konzerns. Hierzu hatte sich die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen in einer Verfügung vom 18. Januar 2017 geäußert. Die darin niedergelegte Verwaltungsauffassung ist in einigen Gesichtspunkten recht restriktiv und im Lichte des neuen § 57 Abs. 3 AO überholt. Beispielsweise ist die Erhebung eines marktüblichen Entgelts nicht mehr erforderlich, namentlich nicht für Dienstleistungen für den „eigentlichen“ Zweckbetriebsbereich, meines Erachtens auch nicht für zentrale Dienstleistungen.

Zuwendung von Mitteln, Nutzungsüberlassung

§ 58 Nr. 2 AO wurde ersatzlos gestrichen. Damit sind die in dieser Vorschrift enthaltenen Restriktionen – Mittelweitergabe nur an in Deutschland gemeinnützige Organisationen und betragsmäßig nur „teilweise“ – entfallen. Künftig beurteilen sich laufende Mittelweitergaben allein nach § 58 Nr. 1 AO.

§ 58 Nr. 1 AO ist in einigen Punkten geändert worden:

  • Zuwendungen zu anderen steuerbegünstigten Zwecken als den eigenen Satzungszwecken sind fast in unbeschränkter Höhe zulässig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 AO). In der Satzung muss die Mittelweitergabe aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht nur dann explizit aufgeführt werden, wenn dies die einzige Aktivität der Körperschaft ist (§ 58 Nr. 1 Satz 4 AO) – und zwar als Art der Zweckverwirklichung und nicht mehr als Satzungszweck im engeren Sinne. Dessen ungeachtet sollte die Mittelweitergabe auch künftig aus zivilrechtlichen Gründen stets in der Satzung abgebildet werden.
  • Ausländische Körperschaften dürfen, sofern sie in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte erzielen, künftig nur noch gefördert werden, wenn sie in Deutschland wegen Gemeinnützigkeit steuerbegünstigt sind (§ 58 Nr. 1 Satz 3 AO) – praktisch also nur EU-/EWR-ausländische Körperschaften. Dies ist eine Verschärfung gegenüber der geltenden Gesetzeslage. Ausländische Körperschaften, die nicht in Deutschland steuerpflichtig sind – dies ist der praktische Regelfall –, dürfen nach wie vor gefördert werden, wenn sie die Fördermittel für steuerbegünstigte Zwecke nach deutschem Rechtsverständnis verwenden.
  • Erfreulich ist die nunmehr ausdrückliche Regelung, wonach Mittel, die Gegenstand einer Fördertätigkeit sein können, sämtliche Vermögenswerte sind (§ 58 Nr. 1 Satz 2 AO), also auch die Vermögenssubstanz. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch die unentgeltliche oder verbilligte Nutzungsüberlassung oder die unentgeltliche oder verbilligte Erbringung von Dienstleistungen eine Fördertätigkeit im Sinne des § 58 Nr. 1 AO. Der Kern der steuerbegünstigten Tätigkeit ist der Verzicht auf die Vereinnahmung eines (marktüblichen) Entgelts. Alternativ könnte auf den neuen § 57 Abs. 3 Satz 1 AO abgestellt werden, in Zusammenschau mit dem neuen § 57 Abs. 4 AO vor allem im Konzern. In beiden Fällen ist es meines Erachtens nur folgerichtig anzunehmen, dass eine gemeinnützige Körperschaft für die Erbringung derartiger Leistungen zeitnah zu verwendende Mittel aufbringen kann. Ungeachtet der genauen dogmatischen Anknüpfung und der sich hieraus ergebenden gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen an die Satzung sollte die unentgeltliche oder verbilligte Nutzungsüberlassung, sofern sie eine wesentliche Tätigkeit einer Körperschaft ist, in der Satzung abgebildet werden.

Im neuen § 58a AO wird der in der Praxis schon heute gewährte Vertrauensschutz für gemeinnützige Geberkörperschaften festgeschrieben. Eine Geberkörperschaft darf auf den „Steuerstatus“ der Empfängerkörperschaft sowie auf eine gemeinnützigkeitskonforme Mittelverwendung durch die Empfängerkörperschaft vertrauen (§ 58a Abs. 1 AO), wenn sie sich vor der Mittelzuwendung einen auf die Empfängerkörperschaft lautenden aktuellen Freistellungsbescheid, die „Anlage Gemeinnützigkeit“ zu einem aktuellen Körperschaftsteuerbescheid oder einen aktuellen Feststellungsbescheid nach § 60a AO hat vorlegen lassen (§ 58a Abs. 2 AO). Die Neuregelung gilt meines Erachtens für sämtliche Mittelzuwendungen, auch für Mittelzuwendungen auf Grundlage der Vermögensbindungsklausel.

Neue gemeinnützige Katalogzwecke, neue Zweckbetriebe

Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke wird um neue Zwecke erweitert (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, 10, 23 und 26 AO). Diese Erweiterungen haben teilweise konstitutive Wirkung (so hinsichtlich der Förderung des Freifunks, der Ortsverschönerung und der Unterhaltung von Friedhöfen), teilweise nur klarstellende Wirkung (so hinsichtlich der Förderung des Klimaschutzes, die nach hiesiger Auffassung unter Förderung des Umweltschutzes fällt).

Die Gesetzesbegründung führt dem Rechtsanwender das allgemeine Risiko vor Augen, dass manche Tätigkeiten einer gemeinnützigen Organisationen größtenteils, aber nicht vollständig auf ein Bündel mehrerer bereits bestehender gesetzlicher Katalogzwecke gestützt werden kann. Organisationen sollten stets im Auge behalten, ob ihre wesentlichen gemeinnützigen Tätigkeiten in der Satzung vollständig und zutreffend abgebildet sind.

Zudem sollen zwei neue Zweckbetriebsvorschriften im Bereich der Wohlfahrtspflege eingeführt werden. Zum einen die entgeltliche Versorgung, Verpflegung und Betreuung von Flüchtlingen unter Beachtung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AO („nicht des Erwerbs wegen“), zum anderen die entgeltliche Durchführung der Fürsorge für psychische und seelische Erkrankungen bzw. Behinderungen (§ 68 Nr. 1 Buchst. c und § 68 Nr. 4 AO). Diese Zweckbetriebe dürften nach hiesiger Rechtsauffassung in die sogenannte wohlfahrtspflegerische Gesamtsphäre einzubeziehen sein.

Partieller Dispens vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung

Kleine Organisationen mit Einnahmen von höchstens 45.000 Euro pro Jahr sind vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung befreit (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 AO). Hier stellen sich Fragen bei Organisationen mit schwankenden Einnahmen.

Steuerliche Gewinnermittlung

Die Bagatellgrenze, bei deren Überschreitung eine gemeinnützige Organisation ihr steuerliches Ergebnis (Gewinn/Verlust) in der ertragsteuerpflichtigen Sphäre ermitteln muss, wird von derzeit 35.000 auf 45.000 Euro angehoben (§ 64 Abs. 3 AO).

„§ 60a-Bescheid“

Im Gesetz wird künftig ausdrücklich festgeschrieben, dass ein Finanzamt berechtigt ist, die Erteilung eines Feststellungsbescheids nach § 60a AO zu verweigern oder einen bereits erteilten Bescheid zurückzunehmen, wenn es Anzeichen dafür sieht, dass die Organisation aufgrund ihrer tatsächlichen Geschäftsführung voraussichtlich nicht als gemeinnützig anerkannt werden kann (§ 60a Abs. 6 AO).

Förderung des Ehrenamts, Vereinfachung im Spendenrecht

Mit Wirkung zum 1. Januar 2021 wird die Übungsleiterpauschale von bislang 2.400 auf nunmehr 3.000 Euro, die Ehrenamtspauschale von bislang 720 auf 840 Euro angehoben (§ 3 Nr. 26 Satz 1 und § 3 Nr. 26a Satz 1 EStG).

Die betragsmäßige Grenze, bis zu der Spenden und Mitgliedsbeiträge auch ohne Vorlage einer Zuwendungsbestätigung abziehbar sind, wird von 200 auf 300 Euro angehoben (§ 50 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStDV). Die Neuregelung gilt für alle Zuwendungen, die nach dem 31. Dezember 2019 geleistet werden.

Neues „Zuwendungsempfängerregister“

Beim Bundeszentralamt für Steuern wird vom 1. Januar 2024 an ein „Zuwendungsempfängerregister“ eingerichtet (§ 60b AO, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 47 FVG). In dem Register werden unter anderem Name, Adresse, Satzungszwecke und Bankverbindung aller gemeinnützigen Körperschaften gespeichert. Das Register ist für jedermann einsehbar, das Steuergeheimnis ist insoweit abbedungen. Geplant ist, das Verfahren zum Abzug von Spenden und Mitgliedsbeiträgen vollständig zu digitalisieren und dabei das neue Register als elektronische Plattform einzubeziehen.

Politische Betätigung

Nach dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Januar 2019 (Az. V R 60/17, dazu unser Blog-Beitrag vom 27. Februar 2019) war zwischen den Regierungskoalitionen lange umstritten, ob die Möglichkeiten und Grenzen politischer Betätigungen gemeinnütziger Körperschaften im Gesetz festgeschrieben werden sollen. Zu diesem Themenkomplex hat sich der Gesetzgeber trotz zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Petitionen von Verbänden zu keiner gesetzlichen Regelung durchgerungen. Demnach beurteilen sich politische Betätigungen gemeinnütziger Organisationen auch künftig maßgeblich nach der BFH-Rechtsprechung, die einen verlässlichen Rahmen bildet.

Ausstieg aus der Gemeinnützigkeit

Ebenfalls nicht umgesetzt wurde der Vorschlag des Bundesrats, eine einmalige pauschale „Ausstiegsabgabe“ in Höhe von 30 % des dem Gebot der Vermögensbindung unterliegenden Vermögens einzuführen, durch die sämtliche steuerlichen Vorteile der Organisation sowie deren Förderer abgegolten gewesen wären. Es bleibt daher beim bisherigen Regime einer bis zu zehnjährigen Nachversteuerung (§ 61 Abs. 3 Satz 2 AO).

Ausblick

Die Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht werden dem Dritten Sektor zu neuem Schwung verhelfen. Dem Vernehmen nach arbeiten die Körperschaftsteuer-Referatsleiter des Bundes und der Länder bereits an einer Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung. Gespannt sein darf man insbesondere auf die Neuregelungen zu Funktionsleistungen, Servicegesellschaften und Konzernen sowie die Nutzungsüberlassung von Immobilien.

Es bleibt zu hoffen, dass den Neuerungen im Gemeinnützigkeitsrecht im nächsten Jahr die ebenfalls seit längerer Zeit geplante Reform des Stiftungsrechts folgt (dazu unser Blog-Beitrag vom 29. September 2020). Derzeit überarbeitet das Bundesjustizministerium den im September vorgelegten, in Wissenschaft und Praxis mitunter stark kritisierten Referentenentwurf. Die Vorlage des überarbeiteten Entwurfs ist für Ende Januar, Anfang Februar 2021 geplant.