Rapider Fortschritt bei Säule 1 – Besteuerung der Digitalwirtschaft nimmt konkrete Gestalt an

11.08.2020
Dr. Michael PulsDr. Nadia C. Altenburg      Christina Jagenburg

Die OECD arbeitet derzeit an ihrem finalen Bericht zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Dieser soll im Rahmen des nächsten Treffens der G20-Finanzminister am 15./16. Oktober 2020 verabschiedet und veröffentlicht werden. Die OECD arbeitet daher gerade mit Hochdruck an den technischen Details und versucht die Liste mit noch offenen und zu spezifizierenden Punkten weitestgehend zu reduzieren.

 

Seit der letzten öffentlichen Anhörung Ende 2019 hat die Säule 1 mittlerweile konkret an Gestalt gewonnen, so dass es sich für betroffene Unternehmen lohnt, sich damit zu befassen, wie sie sich bereits heute auf die anstehende Reform vorbereiten können. Die wichtigsten Aspekte schildern wir im folgenden Beitrag.

Grundzüge der Säule 1

Die Säule 1 konzentriert sich auf neue Anknüpfungs- und Gewinnverteilungsregeln. Ziel ist es sicherzustellen, dass Besteuerungsrechte in einem zunehmend digitalen Zeitalter nicht mehr ausschließlich an Formen physischer Präsenz anknüpfen. Des Weiteren soll durch umfassendere, multilaterale steuerliche Zusammenarbeit ein höheres Maß an Steuersicherheit und damit eine Entlastung der Ressourcen für Steuerpflichtige und Steuerverwaltungen angestrebt werden. Diese Ziele will die OECD durch die Einführung eines völlig neuen Systems zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft mit drei wesentlichen Bausteinen erreichen:

  1. Besteuerungsrecht der Marktstaaten (Staaten, in denen die Kunden oder Nutzer eines Konzerns (Multi-National-Enterprise „MNE“) am Residualgewinn über die sog. Amount A,
  2. Besteuerungsrecht auf Basis einer Standardvergütung für physische Vertriebsaktivitäten über die sog. Amount B und
  3. Verfahren zur Verbesserung der diesbezüglichen Steuerrechtssicherheit zur Vermeidung von Doppelbesteuerungskonflikten („Tax Certainty“).

Amount A soll ein Besteuerungsrecht der sog. Marktstaaten für automatisierte digitale Dienste (automated digital services – ADS) und verbraucherorientierte Dienstleistungen und Warenlieferungen (consumer facing businesses – CFB) auch ohne physische Präsenz begründen. Über Amount B soll eine standardisierte Vergütung zwischen verbundenen Parteien für Routine-Marketing- und Vertriebsaktivitäten erreicht werden; diese soll im Ergebnis bei Anwendung für den Steuerpflichtigen wie eine Safe-Harbour-Regelung wirken.

 

Die beiden Neuregelungen zu Besteuerung der digitalen Wirtschaft sollen durch ein verbessertes frühes Tax Certainty-Verfahren möglichst einvernehmlich eingeführt und durch einen verpflichtenden verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus abgesichert werden. Dabei sollen sich in dem Tax Certainty-Verfahren – ähnlich wie beim ICAP-Verfahren – die betroffenen Steuerverwaltungen und Steuerpflichtigen vor Anwendung der neuen Vorschriften über deren Anwendung abstimmen.

Neue steuerliche Herausforderung: Einführung des Amount A

Bei den Regelungen zu Amount A handelt es sich um rechtstechnisch komplexe Ausführungen, was nicht nur an der Neuartigkeit des Ansatzes, sondern an der rechtsträgerübergreifenden und globalen Anwendung der Systematik liegt. Dies führt dazu, dass eine Vielzahl von Rechtsträgern betroffen ist, wenn eine grenzüberschreitend tätige Unternehmensgruppe in den Anwendungsbereich der Amount A-Regelungen fällt.

 

Darüber hinaus sieht die Systematik der Besteuerung im Rahmen eines vorgestellten 10-Schritte-Plans auch die Vorabstimmung betroffener Jurisdiktionen und dem Steuerpflichtigen vor, um eine korrespondierende Besteuerung zu gewährleisten. Um in den Anwendungsbereich des Amount A zu gelangen, ist für ein MNE einerseits anhand der ausgeführten Tätigkeiten ein sog. „Activity Test“ durchzuführen. Andererseits müssen durch die ADS bzw. CFB-Tätigkeiten insbesondere bestimmte Schwellenwerte für den Umsatz auf konsolidierter Ebene sowie in einem ausländischen Markt (sog. „Threshold-Test“) überschritten werden.

 

Die Komplexität dieses Vorgehen soll einerseits dadurch abgeschwächt werden, dass die Schwellenwerte bei Einführung der neuen Vorschriften so hoch gewählt sind, dass zunächst nur eine sehr überschaubare Unternehmensanzahl in den Anwendungsbereich der neuen Vorschriften fällt. Andererseits müssen mögliche betroffene Jurisdiktionen – nämlich solche, die durch die Anwendung der neuen Regelungen in den Genuss eines Besteuerungsrechtes kommen könnten und solche, die auf Basis bereits vorhandener steuerlicher Anknüpfungspunkte ihr Besteuerungsrecht bewahren wollen – im Vorhinein eine individuelle Einigung zu Anwendung der neuen Regelungen finden. Dieser Ansatz erinnert in seinem Grundgedanken in mancherlei Hinsicht an aus dem Verrechnungspreisbereich bekannte Instrument der (multilateralen) Advance Pricing Agreements (APA) bzw. des seit 2018 bekannten ICAP-Verfahren zur systematischen Vermeidung von Doppelbesteuerungskonflikten.

 

Weiterhin betont der Bericht das Bestreben nach Vereinfachung, um dem komplexen Thema praktikabel (sowohl auf Ebene der Steuerverwaltungen als auch auf Ebene der MNE) begegnen zu können. Insbesondere soll für betroffene Unternehmensgruppen ein vereinfachtes Verwaltungsverfahren eingeführt werden, um sicherzustellen, dass entsprechend geschultes Personal mit ausreichend Kapazität sich mit den Fragestellungen der neuen Regelungen befasst.

Offene Fragen

Auch wenn die technische Ausarbeitungen mittlerweile weit vorangeschritten ist, sind insbesondere die folgenden entscheidenden Fragen noch offen und werden wohl Gegenstand einer politischen Konsensfindung sein:

  1. Genaue Ausprägung der Tatbestandsmerkmale für den Anwendungsbereich der Amount A-Bestimmung sowie Überlegungen zu einer Übergangsphase („transition period“) unter der Verwendung degressiver Schwellenwerte („thresholds“),
  2. Details zur Gewinnermittlung und Gewinnallokation für die Besteuerung unter Amount A (sog. Quantum),
  3. Reichweite des verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus („mandatory binding dispute resolution“) sowie die entsprechende rechtstechnische Umsetzung und
  4. Genaue Ausprägung der Tatbestandsmerkmale für den Anwendungsbereich der Amount B-Bestimmung sowie die Festlegung regionsspezifischer Ertragswerte, die im Ergebnis eine Safe-Harbor-Regelung bedeuten.

Sobald eine (politische) Einigung zu diesen Fragestellungen gefunden wurde, soll die Einführung durch entsprechende nationale Vorschriften und durch Anpassung der Doppelbesteuerungsabkommen durch Anwendung des MLI erfolgen.

Besteuerung der digitalen Wirtschaft – Welche Vorbereitungen müssen MNEs jetzt anstellen?

Im Fokus der Maßnahmen stehen Unternehmen, die entweder im Bereich der automated digital services (ADS) oder der consumer facing businesses (CFB) tätig sind.

 

Tätigkeiten, die als ADS qualifizieren können, sollen mit Hilfe einer Positiv- und Negativliste sowie einer generischen Beschreibung definiert. Diese soll in regelmäßigen Abständen angepasst werden, um den Bedürfnissen neuer bzw. sich dynamisch entwickelnder Geschäftsmodelle zu entsprechen. Die Positivliste wird wohl Onlinewerbung, den Verkauf und Handel mit Userdaten, Online-Suchmaschinen, Social Media Plattformen; Online-Vermittlungsplattformen, digitale Datenbankservices, Online-Gaming; standardisierte Online-Lernservices sowie Cloud Computing Services umfassen.

 

Als CFB werden solche Unternehmen erfasst, die Waren und Dienstleistungen – unmittelbar oder mittelbar – anbieten, die üblicherweise von Verbrauchern für deren Privatgebrauch erworben werden, sowie die Generierung von Einkünften aus der Nutzung von Intellectual Property (IP) im Zusammenhang mit dem Waren- und Dienstleistungsvertrieb. Demnach könnten auch Unternehmen, die typischerweise nicht direkt an Endkunden verkaufen, in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen.

 

Bei der Ausarbeitung der Reglungen zur Säule 1 ist die OECD bemüht, die praktische Anwendung zu vereinfachen und will hier verstärkt auf Informationen aus der internen Rechnungslegung und der Verrechnungspreisdokumentation zurückgreifen,  insbesondere für die Amount A-Bestimmung (z.B. bei der Setzung von Schwellenwerten anhand des tätigkeitsbezogenen Gesamtumsatzes oder der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage unter Berücksichtigung der Profitabilität bzw. Spartenprofitabilität). Diese werden somit zukünftig stark an Bedeutung gewinnen. Es ist daher empfehlenswert, eine GAP-Analyse der konzerninternen Rechnungslegung vor dem Hintergrund des potentiellen Anwendungsbereichs ADS- und CFB-bezogener Tätigkeiten als Grundlage der Gewinnallokation sowie damit verbundener Reporting-Tools zu erwägen.

 

Eine ausführliche Auseinandersetzung der Autoren mit dem Pillar 1 – Report-Entwurf finden Sie demnächst in der IStR.