„Konkreter Finanzierungsbedarf“ als Gemeinnützigkeitskriterium

27.03.2018 | FGS Blog

Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sind nur dann (ertragsteuerfreie) Zweckbetriebe, wenn sie nicht „um des Erwerbs willen“ tätig werden (§ 66 Abs. 2 Satz 1 AO). Die entsprechenden Ausführungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung, haben bei den betroffenen Einrichtungen zu erheblicher Unruhe geführt. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 wollte das Bundesfinanzministerium „nachbessern“. Dies ihm ihm aber nur teilweise gelungen.

Auf den ersten Blick soll das BMF-Schreiben die Anwendung des Rettungsdienst-Urteils des Bundesfinanzhofs vom 27. November 2013 (Az. I R 17/12) in der Praxis erleichtern. Das BMF-Schreiben geht allerdings deutlich über das BFH-Urteil hinaus. Es nimmt dieses stattdessen zum Anlass, um mit dem „konkreten Finanzierungsbedarf“ ein neues Gemeinnützigkeitskriterium einzuführen. Damit verkompliziert die Finanzverwaltung das Gemeinnützigkeitsrecht. Einrichtungsträger müssen sich hierauf einstellen. Denn bei Nichterfüllung des neuen Kriteriums droht der Verlust der Zweckbetriebseigenschaft einzelner Einrichtungen, im schlimmsten Fall sogar der Verlust der Gemeinnützigkeit des Trägers.

Nicht nur klassische Wohlfahrtsbetriebe betroffen

Hintergrund für das BMF-Schreibens vom 6. Dezember 2017 dürfte sein, dass die Finanzverwaltung gegen gewinnstarke Wohlfahrtsunternehmen vorgehen möchte. Es ist ihr offenbar ein Dorn im Auge, dass einzelne Wohlfahrtsbetriebe durch Zahlungen des Staates bzw. der Sozialversicherungen „zu hohe“ Gewinne erzielen. Das BMF-Schreiben betrifft im Ergebnis aber nicht nur klassische Wohlfahrtsbetriebe, die unter § 66 AO fallen. Ausdrücklich erfasst sind auch Zweckbetriebe im Sinne des § 68 AO, soweit sie zugleich die Voraussetzungen des § 66 AO erfüllen, beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und Inklusionsbetriebe.

Zur Beantwortung der Frage, ob die Tätigkeit um „des Erwerbs willen“ ausgeführt wird, muss nun der „konkrete Finanzierungsbedarf der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre“ des Einrichtungsträgers als Referenzgröße ermittelt werden. Wird dieser Finanzbedarf in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen überschritten, wird nach dem BMF-Schreiben eine zweckbetriebsschädliche Gewinnerzielungsabsicht widerlegbar vermutet.

Gewinn darf „konkreten Finanzierungsbedarf“ nicht überschreiten

Der „konkrete Finanzierungsbedarf“ wird definiert als der Gewinn, der für den Betrieb und die Fortführung der Einrichtung notwendig ist, insbesondere zum Inflationsausgleich, zur Finanzierung von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie zur Bildung von projektgebundener Rücklagen (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 AO) und Wiederbeschaffungsrücklagen (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 AO). Unklar ist, ob lediglich der zusätzliche Finanzierungsbedarf gemeint ist, der nicht mit den geplanten Einnahmen der folgenden Veranlagungszeiträume gedeckt werden kann. Unklar, m.E. aber zu bejahen ist, inwieweit auch Erweiterungsinvestitionen Finanzierungsbedarf begründen können. Da der Erlass auf die Rücklagenbildung abstellt, diese aber die Bildung von Rücklagen für Erweiterungsinvestitionen umfasst, bleiben diese erlaubt. Dies betrifft ggfs. auch den Erwerb von Anteilen an einer gGmbH, der unverändert schwierige Rechtsfragen aufwirft.

Rücklagenbildung ausschöpfen

Auf der sicheren Seite sind Einrichtungsträger, wenn sie den konkreten Finanzierungsbedarf nachweisen, indem sie die gesetzliche Möglichkeit zur Rücklagenbildung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO voll ausschöpfen. Im Idealfall ist dann – wie vom BMF offenbar gewünscht – kein weiterer Gewinn mehr vorhanden, für den ein konkreter Finanzierungsbedarf begründet werden muss.

Es fällt auf, dass das BMF-Schreiben die freie Rücklage nach § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht nennt. Für die freie Rücklage müsste demnach eigentlich eine weitere Begründung vorgetragen werden, warum diese konkreten Finanzierungsbedarf abbildet. Ein Begründungszwang widerspricht allerdings der Idee der „freien“ Rücklage, die gerade keine Bezugnahme auf geplante Ausgaben erfordert. Warum dies bei Wohlfahrtsbetrieben nunmehr anders sein soll, erschließt sich nicht. Das Verhältnis des neuen Kriteriums zu den Regelungen der zeitnahen Mittelverwendung erscheint nicht vollständig durchdacht.

Abfrage in Anlage „Gem1“

Angaben zu ihrem konkreten Finanzierungsbedarf für 2015 bis 2017 müssen Einrichtungsträger bereits in der Steuererklärung 2017 in der Anlage „Gem1“ machen. Da der konkrete Finanzierungsbedarf insbesondere durch die Rücklagenbildung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO nachgewiesen werden kann und sollte, wird neben der Prüfung des konkreten Finanzierungsbedarfs auch die Überprüfung der Voraussetzungen der Rücklagenbildung ins Zentrum von Betriebsprüfungen rücken. Es sollte daher auf die sorgfältige Begründung der Rücklagenbildung geachtet werden.