Nach dem EuGH-Urteil „Cadbury Schweppes“ (C-196/04) aus dem Jahr 2006 greifen die Rechtsfolgen der (deutschen) Hinzurechnungsbesteuerung in EU/EWR-Fällen nicht durch, wenn die betreffende Zwischengesellschaft tatsächlich einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (objektives Merkmal gegen die Annahme einer künstlichen Gestaltung). Die Möglichkeit zur Gegenbeweisführung gilt in mehrstufigen Strukturen auch für sog. nachgeschaltete EU/EWR-Zwischengesellschaften, deren passive, niedrig besteuerten Einkünfte nach § 14 AStG der Zwischengesellschaft als Obergesellschaft zugerechnet werden.
BFH zu Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 AStG
In der BFH-Entscheidung I R 94/15 war fraglich, ob Lizenzeinkünfte einer in Zypern ansässigen Ltd. der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen sind.
Die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Klägerin war mittelbar über eine niederländische B.V. an der zypriotischen Ltd. beteiligt. Diese vergab (Unter-)Lizenzen an Urheberrechten an andere Konzerngesellschaften in Russland und der Ukraine, die ihr diese zuvor vermittelt hatten. Für Zwecke der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung qualifizieren sich derartige Einkünfte als passiv. Zudem wurden sie in Zypern mit ca. 10% auch – im Sinne des AStG – niedrig besteuert.
Die entscheidende Frage ging nun dahin, ob die Lizenzierung durch die zypriotische Ltd. eine wirtschaftliche Tätigkeit mit der Folge darstellt, dass nach den Grundsätzen der Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung keine Hinzurechnungsbesteuerung erfolgen darf. Die Vorinstanz hatte den Nachweis einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht anerkannt.
Der BFH hat der – vom FG zugelassenen – Revision der Klägerin in den wesentlichen Punkten stattgegeben. Verfahrensgegenstand war insoweit der sog. „Zurechnungsbescheid“, der die Einkünfte der ausländischen Untergesellschaft (§ 14 AStG) der ausländischen Obergesellschaft zurechnet. Die Ermittlung der Einkünfte wird dort – wie immer bei der Hinzurechnungsbesteuerung – nach deutschen steuerlichen Maßstäben vorgenommen.
Bestätigung der Rechtsprechung zur vGA/vE in Dreiecksverhältnissen
Zu diesen Maßstäben gehört auch die Würdigung von verdeckten Einlagen und verdeckten Gewinnausschüttungen unter § 8 Abs. 3 KStG. Diese traten hier aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Urteilsfalls in einer Dreieckskonstellation auf. Dabei werden die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BFH aus dem Jahr 1987 zu der Thematik bestätigt: Die ausländische Gesellschaft, deren Einkünfte im Zurechnungsbescheid streitig waren, war Empfängerin einer verdeckten Einlage, die aus nicht fremdvergleichskonformen Leistungsbeziehungen zu ihren Schwestergesellschaften stammte. Die verdeckte Einlage war demnach nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG aus dem Hinzurechnungsbetrag zu eliminieren und minderte diesen entsprechend. Auch die hierbei anwendbaren Korrespondenzprinzipien konnten dieses Ergebnis nicht verändern.
Verfahrensrechtliche Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags
Neben der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach deutschen Grundsätzen zeigt die Entscheidung auch einen bemerkenswerten verfahrensrechtlichen Aspekt. Die (passiven) Einkünfte einer Untergesellschaft (§ 14 AStG) werden selbständig in einem Zurechnungsbescheid festgestellt. Im Urteilssachverhalt wurden dabei positive Einkünfte für die Untergesellschaft in Zypern mit Bindungswirkung für den Hinzurechnungsbescheid bei der niederländischen Obergesellschaft festgestellt (§ 171 Abs. 10 AO). Die Klage gegen den Hinzurechnungsbescheid als Folgebescheid war insoweit nicht aussichtsreich (§ 351 Abs. 2 AO; § 42 FGO).
Nichts Neues zum Substanztest
Die vorliegende Entscheidung spiegelt die langjährigen Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung wieder: Die Missbrauchsabwehr mithilfe einer Hinzurechnungsbesteuerung ist nur bei rein künstlichen Gestaltungen erlaubt. Künstlich meint, dass die gewählte Struktur nur steuerlich motiviert errichtet wurde (subjektiv) und die betreffende Gesellschaft keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (objektiv). Dabei sind die Anforderungen nicht besonders hoch: Eine wirtschaftliche Tätigkeit besteht nach jüngster EuGH-Rechtsprechung (EuGH in der Rs. Deister Holding, dazu Süß im Blog) auch in der bloßen Vermögensverwaltung. Zu bemerken ist aber, dass der sog. Substanztest derzeit nur in EU/EWR-Fällen zugelassen wird. Abzuwarten bleibt aber die Entscheidung zur Rs. X-GmbH (anhängig unter: C-135/17).
Auch bezüglich der Frage, wo der Substanztest zu führen ist, tendiert der BFH zu einer Spiegelung der verfahrensrechtlichen Verhältnisse. Die größere Sachnähe sei hier entscheidend dafür, dass diese Frage des Substanztests bei der Untergesellschaft und damit im Zurechnungsbescheid geprüft werde. Für den Hinzurechnungsbescheid als Folgebescheid wäre die so getroffene Entscheidung des Grundlagenbescheids dann bindend.
Unmittelbare Wirkung von EuGH-Entscheidungen
In praktischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass im vorliegenden Streitfall die Regelung des § 8 Abs. 2 AStG (Substanztest) – zeitlich – nicht anwendbar war. Gleichwohl übertrug der BFH die durch den EuGH in der Rs. Cadbury-Schweppes aufgestellten Grundsätze unmittelbar auf die für den Streitfall geltende Rechtslage. Im Ergebnis war deshalb unbeachtlich, worauf sich die Möglichkeit für einen Nachweis gegen eine künstliche Gestaltung stützen lässt: Konkret auf § 8 Abs. 2 AStG oder aber durch die unmittelbare Übertragung der Vorgaben des EuGH. Das BMF hatte die Anwendbarkeit auch in einem Schreiben vom 8.1.2007 bestätigt.
Für die Praxis zeigt die Entscheidung einmal mehr, wie relevant die Rechtsprechung des Gerichtshofes für den Rechtsanwender ist. Aus den Entscheidungen können teilweise unmittelbare Folgen für die Rechtspraxis gezogen werden; gegenwärtig ist insbesondere auf § 1 AStG (C-382/16) sowie § 9 Nr. 7 GewStG hinzuweisen (C-685/16).