Der am 17. Juli veröffentlichte Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) enthält weitreichende Änderungen auch zum Umsatzsteuerrecht. Weil das Gesetzgebungsverfahren erst begonnen hat, sind diese noch nicht abschließend. Viele Gesetzesanpassungen sind allerdings Ergebnis zwingend umzusetzenden EU-Rechts. Daher dürften sich grundsätzliche Änderungen in Grenzen halten.
Wichtige Änderungen betreffen die Umsetzung des sog. Mehrwertsteuer-Digitalpakets. Darüber hinaus haben jedoch auch Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerausfällen und sonstige Regelungen Eingang in den Referentenentwurf gefunden.
Grundlegendes zum Digitalpaket: OSS ersetzt MOSS
Nach dem Referentenentwurf ersetzt der sogenannte One-Stop-Shop (OSS) den Mini-One-Stop-Shop (MOSS). Gleichzeitig wird der Anwendungsbereich erheblich erweitert:
- Unternehmer, die an Nichtunternehmer in EU-Mitgliedstaaten umsatzsteuerbare Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie elektronische Dienstleistungen erbringen, können eine Registrierung in diesen Mitgliedstaaten bereits jetzt gegebenenfalls vermeiden, indem sie die geschuldete Umsatzsteuer zentral in einem Mitgliedstaat über das MOSS-Verfahren erklären.
- Der neue OSS soll für in der EU ansässige Unternehmer (§ 18j UStG-E) und für im Drittland ansässige Unternehmer (§ 18i UStG-E) nunmehr auf alle sonstigen Leistungen an Nichtunternehmer Anwendung finden. Dazu gehören auch Fernverkäufe (auch als Versandhandel bezeichnet). Auch Umsätze, die der neuen Lieferkommissionsfiktion (§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG-E) unterliegen, können über OSS gemeldet werden.
- Werden Fernverkäufe mit einem Wert von höchstens EUR 150 über OSS bzw. IOSS (Import-One-Stop-Shop) erklärt (§ 18k UStG-E), ist die Einfuhr von Waren nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG-E unter weiteren Voraussetzungen umsatzsteuerfrei.
- Das OSS-Verfahren kann nur einheitlich in allen Mitgliedstaaten für alle sonstigen Leistungen an Privatpersonen genutzt werden. Eine Wahlmöglichkeit, OSS nur für Leistungen in bestimmte Mitgliedstaaten zu nutzen, existiert nicht.
Zwar ist ein Inkrafttreten des Digitalpakets zum 1. Januar 2021 vorgesehen, jedoch ist eine Verschiebung aufgrund der Conronavirus-Pandemie auf EU-Ebene bereits beschlossen. Mit einer Umsetzung ist erst ab 1. Juli 2021 zu rechnen.
Praxishinweis: Unternehmer, die nach der Neuregelung grundsätzlich in den Anwendungsbereich des neuen OSS fallen, sollten ihre Prozesse nicht nur auf eine künftige Nutzung von OSS prüfen, sondern auch die umsatzsteuerliche Handhabung von Umsätzen in der Vergangenheit hinterfragen. Bei erstmaliger Nutzung von OSS sollte man auf Rückfragen zur Handhabung in der Vergangenheit vorbereitet sein.
Digitalpaket im Einzelnen
Fiktive Lieferung von und an Betreiber elektronischer Marktplätze
Betreiber von elektronischen Marktplätzen werden durch die Neuregelung des § 3 Abs. 3a UStG-E zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen Steuerschuldner für Lieferungen der auf dem elektronischen Marktplatz aktiven Händler.
In bestimmten Fällen wird durch § 3 Abs. 3a UStG-E eine Lieferkommission zwischen Onlinehändler, Betreiber der elektronischen Schnittstelle und Endkunde fingiert. Unter den Begriff der „elektronischen Schnittstelle“ fallen insbesondere elektronische Marktplätze, Plattformen und Portale. Nach dieser Fiktion werden Unternehmer, die Lieferungen von Gegenständen durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle unterstützen, so behandelt, als hätten sie selbst Gegenstände erhalten und geliefert.
§ 3 Abs. 3a UStG-E umfasst folgende Anwendungsfälle:
- Lieferungen eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an eine Privatperson (§ 3 Abs. 3 a Satz. 1 UStG-E).
- Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 an eine Privatperson (§ 3 Abs. 3 a Satz. 2 UStG-E).
Bei Überschreiten der Lieferschwelle von EUR 10.000 oder Verzicht auf deren Anwendung, kann der Betreiber der elektronischen Schnittstelle diese Umsätze im One-Stop-Shop erklären.
Die Neuregelung tritt neben die weiter bestehende Haftung des Betreibers eines elektronischen Marktplatzes nach § 25e UStG, die durch § 25e UStG-E modifiziert wird. Im Rahmen von § 25e UStG-E kann der Betreiber der Haftung gemäß § 25e Abs. 2 UStG-E entgehen, wenn er über eine gültige inländische USt-Id-Nr. des liefernden Unternehmers verfügt. Das Vorhalten von Bescheinigungen des Finanzamts über die umsatzsteuerliche Erfassung entfällt somit. Die Aufzeichnungspflichten des Betreibers werden allerdings erweitert (§ 22f UStG-E).
Praxishinweis: Betreiber von elektronischen Marktplätzen sollten ihre Prozesse bereits jetzt auf die anstehende Neuregelung anpassen. Das gilt sowohl für die erweiterten Aufzeichnungspflichten als auch für die Fiktion eigener Warenlieferungen.
Versandhandel wird zum Fernverkauf
Der häufig als Versandhandelsregelung bezeichnete § 3c UStG verlagert den Ort der Lieferung an Privatpersonen bei grenzüberschreitenden Lieferungen im Gemeinschaftsgebiet an das Ende der Warenbewegung, sofern mitgliedstaatspezifische Lieferschwellen überschritten sind oder der Unternehmer auf die Anwendung der Lieferschwelle verzichtet. Das Überschreiten der Lieferschwelle in einem Mitgliedstaat führt bislang regelmäßig dazu, dass sich der Unternehmer in diesem Mitgliedstaat umsatzsteuerlich registrieren lassen muss, um die dort geschuldete Umsatzsteuer zu erklären und abzuführen.
§ 3c UStG-E verwendet für die Ortsregelung nunmehr den Begriff Fernverkauf. Anstelle der je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Schwellenwerte wird eine einheitliche Geringfügigkeitsschwelle in Höhe von EUR 10.000 eingeführt, auf deren Anwendung weiterhin verzichtet werden kann. Da diese Geringfügigkeitsschwelle für alle Lieferungen in andere Mitgliedstaaten gilt, entfällt die derzeit erforderliche Überwachung der unterschiedlichen Lieferschwellen der jeweiligen Zielländer.
Bei Überschreiten der recht niedrig angesetzten Geringfügigkeitsschwelle kann eine Registrierung in anderen Mitgliedstaaten gegebenenfalls durch Meldung über den neuen One-Stop-Shop vermieden werden.
Praxishinweis: Betroffene Unternehmer sollten bereits überlegen, ob die Geringfügigkeitsschwelle von EUR 10.000 künftig überschritten wird. Sofern dies der Fall ist, sollte die Anwendung des OSS geprüft werden.
Besonderes Verfahren für die Einfuhr von Sendungen bis zu EUR 150
Mit § 21a UStG-E wird ein besonderes Verfahren für die Einfuhr von Waren mit einem Wert von bis zu EUR 150 eingeführt. Es soll die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer vereinfachen, wenn
- das besondere Besteuerungsverfahren nach § 18k UStG-E nicht genutzt wird,
- die Einfuhr nicht im Normalverfahren erfolgt und
- die Gegenstände im Mitgliedsstaat des Verbrauchs eingeführt werden.
Bisher sind Einfuhren mit einem Wert von bis zu EUR 22 von der Einfuhrumsatzsteuer nach § 1a EUStBV befreit. Die Vorschrift soll ersatzlos gestrichen und die Einfuhrumsatzsteuer bei jeder Einfuhr erhoben werden. Die gestellende Person (insbesondere Paketdienstleister), kann die Einfuhranmeldung unter bestimmten Voraussetzungen im Namen und für Rechnung des Empfängers der Waren abgeben, bei dem er die Einfuhrumsatzsteuer einfordern muss.
Weitere relevante Änderungen des Umsatzsteuergesetzes
Preisnachlässe in Unternehmerketten
Nachträgliche Preisnachlässe führen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage der Lieferungen des den Preisnachlass gewährenden Unternehmers. Bei steuerpflichtigen Lieferungen muss der den Preisnachlass empfangende Unternehmer gleichermaßen seinen Vorsteuerabzug kürzen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs unterbleibt nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG, wenn der Unternehmer von der Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt ist.
Möglich sind Konstellationen, in denen der Rabatt vom rabattgewährenden Unternehmer nicht unmittelbar an seinen Abnehmer, sondern erst an dessen Abnehmer (zweiter Abnehmer) gewährt wird. Führt in diesen Fällen der erste Abnehmer an den rabattempfangenden zweiten Abnehmer eine Leistung aus, die im Inland nicht steuerpflichtig ist, soll nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG-E keine Änderung der Bemessungsgrundlage des rabattgewährenden Unternehmers vorliegen. Damit wird verhindert, dass der rabattgewährende Unternehmer die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer mindert, korrespondierend jedoch keine Vorsteuer gekürzt wird. Denn der Abnehmer des rabattgewährenden Unternehmers muss die Vorsteuer nicht kürzen, weil er nicht wirtschaftlich begünstigt ist. Der zweite Abnehmer hat einen Vorsteuerabzug aus einer Rechnung nicht geltend gemacht, der korrigiert werden könnte, wenn z.B. die Lieferung an ihn eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ist.
Die Regelung soll am Tag nach der Verkündung wirksam werden.
Praxishinweis: Unternehmer, die Preisnachlässe nicht an ihren direkten Abnehmer, sondern einem diesem nachfolgenden Abnehmer gewähren, sollten sich bereits jetzt auf die Neuerung einstellen. Es sollte insbesondere geprüft werden, inwieweit Prozesse sicherstellen können, dass zur umsatzsteuerlich zutreffenden Behandlung bekannt ist, ob die Leistung des nachfolgenden Abnehmers an den rabattbegünstigten Abnehmer im Inland umsatzsteuerpflichtig ist.
Reverse-Charge-Verfahren bei Telekommunikationsdienstleistungen
Für umsatzsteuerpflichtige Telekommunikationsdienstleistungen ist bislang der leistende Unternehmer Steuerschuldner und weist Umsatzsteuer in seinen Rechnungen aus.
Dies hat in der Vergangenheit insbesondere im Bereich der Voice over IP-Telefonie (VoIP) zu signifikanten Umsatzsteuerausfällen geführt. Denn sogenannte Missing Trader haben zwar Umsatzsteuer auf ihren Rechnungen an Wiederverkäufer von Telekommunikationsleistungen ausgewiesen und vom Leistungsempfänger vereinnahmt, aber nicht an das Finanzamt abgeführt. Der Leistungsempfänger hat aus den Rechnungen den Vorsteuerabzug geltend gemacht, sodass ein Steuerschaden in Höhe der vom Missing Trader nicht abgeführten Umsatzsteuer entstanden ist.
Nunmehr soll zur Missbrauchsverhinderung bei Wiederverkäufern von Telekommunikationsleistungen das Reverse-Charge-Verfahren Anwendung finden (§ 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG-E). Steuerschuldner ist somit nicht der leistende Unternehmer, sondern der Leistungsempfänger. Da der leistende Unternehmer keine Umsatzsteuer auf seiner Rechnung ausweisen und der Leistungsempfänger keinen Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen geltend machen darf, kann dem Umsatzsteuerausfall effektiv entgegengewirkt werden.
Die Regelung soll am 1. Januar 2021 wirksam werden.
Rechnungsberichtigung kein rückwirkendes Ereignis
Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen von anderen Unternehmern ist, dass diese Rechnungen den Vorgaben des Umsatzsteuergesetzes entsprechen. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass fehlerhafte Rechnungen unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend berichtigt werden können.
§ 14 Abs. 4 Satz 4 UStG-E stellt klar, dass die Berichtigung einer Rechnung um fehlende oder unzutreffende Angaben kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 233 Abs. 2a AO darstellt. Demnach können Veranlagungszeiträume, für die bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist, nicht nach § 175 Abs. 1 AO aufgrund einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung als rückwirkendes Ereignis geändert werden.
Es kann insoweit zu einem endgültigen Verlust des Vorsteuerabzugs kommen. Auch der bei rückwirkenden Ereignissen abweichende Zinslauf nach § 233 Abs. 2a AO kommt nicht zur Anwendung, wonach der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Eine Verzinsung zugunsten oder zuungunsten erfolgt somit bereits 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Rechnung erstmals erhalten worden ist (§ 233 Abs. 2 AO).
Die Änderung soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Inwieweit Sie vor dem Hintergrund des Neutralitätsgrundsatzes Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Der EuGH hat entschieden (z.B. Urteil vom 21. März 2018, C-533/16, Volkswagen AG), dass das Unionsrecht unter Umständen einer Regelung entgegenstehen kann, nach der Unternehmern der Vorsteuerabzug aus berichtigten Rechnungen aufgrund einer Ausschlussfrist versagt wird.
Zu dieser Thematik wird in Kürze auch ein BMF-Schreiben erwartet, ein Entwurf wurde hierzu bereits am 15. Oktober 2018 veröffentlicht.
Dezentrale Besteuerung von Bund und Ländern
Auch Gebietskörperschaften (z.B. Bund, Länder, Gemeinden) können umsatzsteuerbare Umsätze bewirken. Dabei sind die Umsätze nicht ihren handelnden Organen (z.B. Behörden) zuzurechnen, sondern den Gebietskörperschaften als juristische Personen des öffentlichen Rechts selbst. Nur diese können umsatzsteuerlich Unternehmer sein und müssen den umsatzsteuerlichen Pflichten für alle ihre unselbständigen Organe nachkommen.
Nach der Begründung des Referentenentwurfs wäre dies für den Bund und die Länder aufgrund der Vielzahl an Organen mit erheblichen praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Nach § 18 Abs. 4f UStG-E wird dem Bund und den Ländern daher ermöglicht, jeweils Organisationseinheiten zu bilden, denen die umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten selbst obliegen.
Bei der Bildung der Organisationseinheiten wird Bund und Länder ein Spielraum zugebilligt, den es auch zu nutzen gilt.
Sanktionen für nicht rechtzeitig entrichtete Umsatzsteuer
Nach derzeitiger Rechtslage wird mit einer Geldbuße von bis zu EUR 50.000 geahndet, wenn in einer Rechnung nach § 14 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt vorsätzlich nicht entrichtet wird (§ 26b UStG). Ziel der Regelung ist die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug durch systematische Nichtentrichtung von Umsatzsteuer, insbesondere von Umsatzsteuerkarussellen.
Auf das Tatbestandmerkmal „in einer Rechnung im Sinne von § 14 ausgewiesene Umsatzsteuer“ wird im Zuge der Neufassung (nunmehr in § 26a Abs. 2 UStG-E) verzichtet. Hierdurch sollen Umsetzungsschwierigkeiten des § 26b UStG wie Nachweisprobleme und strittige Rechtsfragen zum Rechnungsbegriff vermieden werden. Die bloße vorsätzliche Nichtentrichtung zum Fälligkeitszeitpunkt kann für § 26a Abs. 2 UStG-E ausreichen. Die Geldbuße soll sich nach § 26b Abs. 3 UStG-E auf bis zu EUR 30.000 belaufen.