Insiderinformationen: BaFin nimmt zur Ad-hoc-Pflichtigkeit von Zwischenschritten Stellung

29.04.2020

Die BaFin hat am 22. April 2020 das Modul C als weiteren Teil der fünften Auflage des Emittentenleitfadens veröffentlicht. In diesem Modul erläutert die BaFin ihre Verwaltungspraxis zu den Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR), also den Themenkomplexen Insiderinformationen, Ad-hoc-Publizität, Directors‘ Dealings, Marktsondierungen und verwandten Fragestellungen.

Einen entsprechenden Entwurf hatte die BaFin bereits am 4. Juli 2019 veröffentlicht und zur Konsultation gestellt (vgl. Blog-Beitrag vom 26.7.2019). Im Rahmen des Konsultationsverfahrens waren zahlreiche Stellungnahmen abgegeben worden, die verschiedene Kritikpunkte adressierten. Einige dieser Kritikpunkte werden in der nunmehr – mehr als sieben Monate nach Ablauf der Konsultationsfrist – veröffentlichen finalen Fassung dieses Moduls berücksichtigt.

Besonders hervorzuheben sind folgende hochgradig praxisrelevanten Änderungen gegenüber der Konsultationsfassung von Juli 2019:

Ad-hoc-Pflichtigkeit von Zwischenschritten

Die insiderrechtliche Beurteilung von gestreckten Sachverhalten stellt die Praxis vor große Herausforderungen. Grundsätzlich ist zwischen Ad-hoc-Pflichtigkeit des geplanten Endergebnisses als zukünftigem Ergebnis und – davon unabhängig – der Kursrelevanz des Zwischenschrittes selbst zu unterscheiden.

Modul C in der Konsultationsfassung von Juli 2019

In der Konsultationsfassung von Juli 2019 hatte die BaFin abstrakt ihr Verständnis der Geltl-Entscheidung des EuGH beschrieben und ausgeführt, dass ein Zwischenschritt bei ausreichendem Kursbeeinflussungspotential auch dann eine Insiderinformation sein könne, wenn der Eintritt des Endergebnisses zumindest nicht unwahrscheinlich sei. Ein ausreichendes Kursbeeinflussungspotential sei umso eher anzunehmen, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endergebnis ist und eine Gesamtbetrachtung der eingetretenen und zukünftigen Umstände unter Berücksichtigung der jeweiligen Marktsituation nahelegt, dass ein verständiger Anleger bereits diesen Zwischenschritt für sich nutzen würde. Ein Zwischenschritt könne also - bei hinreichendem Gewicht –auch dann als Ad-hoc-Information zu veröffentlichen sein, wenn das Endergebnis (noch) nicht hinreichend wahrscheinlich ist.

Diese Betrachtungsweise, die die BaFin auch schon vor Veröffentlichung der Konsultationsfassung von Modul C über verschiedene Kanäle kommuniziert hatte, führte zu erheblicher Rechtsunsicherheit und war daher Gegenstand von Kritik.

Nunmehr verabschiedete Fassung

In der nunmehr verabschiedeten endgültigen Fassung des Emittentenleitfadens ändert und konkretisiert die BaFin diese Verwaltungspraxis wie folgt:

Bei der Beurteilung der Ad-hoc-Pflichtigkeit von Zwischenschritten sei grundsätzlich zwischen Zwischenschritten, die ihre Qualifikation als Insiderinformation aus sich heraus beziehen, und solchen Zwischenschritten, die ihre Kursrelevanz von dem zukünftigen Endergebnis ableiten, zu unterscheiden.

  • Zwischenschritte, die bereits aus sich heraus eine Insiderinformation darstellen, seien nach den allgemeinen Regeln der MAR unverzüglich zu veröffentlichen, wenn nicht ein Aufschub in Betracht komme. Ein solcher Zwischenschritt weise eine eigenständige, von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Endergebnisses losgelöste insiderrechtliche Relevanz auf.
  • Zwischenschritte, die ihre insiderrechtliche Relevanz dagegen in erster Linie aus ihrer Bezogenheit auf ein zukünftiges Endergebnis beziehen, seien ebenfalls auf ihr Kursbeeinflussungspotential zu untersuchen. Grundsätzlich sei ein Kursbeeinflussungspotential umso eher anzunehmen, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endergebnis sei und je eher ein verständiger Anleger diesen Zwischenschritt bereits für sich nutzen würde. Dabei fehle es jedoch regelmäßig an der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung, wenn das Endergebnis noch unwahrscheinlich ist.

Als Beispiel für einen Zwischenschritt der ersten Kategorie (Zwischenschritt mit eigenständiger, von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Endergebnisses losgelöster insiderrechtlicher Relevanz) nennt die BaFin den Sachverhalt der Gelt-Entscheidung. Die Absicht des Vorstandsvorsitzenden, im Einverständnis mit dem Aufsichtsrat vorzeitig sein Amt niederzulegen, beschränke sich nicht im Hinweis auf ein zukünftiges Ereignis, sondern könne auch bedeuten, dass der Emittent die vom Vorstandsvorsitzenden verfolgte Geschäftspolitik nicht weiterverfolge (so schon die BGH-Entscheidung in Sachen Geltl vom 23. April 2013). Dieser Umstand könne sich daher – unabhängig vom zukünftigen Endereignis – zur erheblichen Kursbeeinflussung eignen.

Als Beispiele für einen Zwischenschritt der zweiten Kategorie (Zwischenschritte, der ihre insiderrechtliche Relevanz in erster Linie aus dem zukünftiges Endergebnis beziehe) nennt die BaFin den Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung in einem M&A-Kontext oder die Entscheidung, an einem Bieterverfahren als Erwerber teilzunehmen. In diesen Fällen sei es regelmäßig noch unwahrscheinlich, dass es zu dem Endergebnis kommen werde, so dass ein verständiger Anleger diese Informationen noch nicht als Grundlage seiner Anlegeentscheidung nutzen werden.

Demgegenüber könne der Umstand, dass im Falle einer Fusion bzw. Übernahme grundsätzliche Einigung über wichtige Eckpunkte erzielt sei, wegen der weitreichenden strategischen Bedeutung für die M&A-Partner grundsätzlich Kursbeeinflussungspotential haben, auch wenn noch nicht alle Einzelheiten wie z.B. der Angebotspreis oder das Umtauschverhältnis – und damit die Richtung der Kursreaktion – feststehen. Im Falle eines Übernahmeangebots oder eines Squeeze-Out würde ein verständiger Anleger die Information über den Zwischenschritt bereits für sich nutzen, auch wenn der (konkrete) Übernahmepreis noch nicht feststehe. Der Anleger könne nämlich vernünftigerweise erwarten, dass der Übernahmepreis vom aktuellen Aktienkurs abweicht, entweder weil eine Prämie auf den Aktienkurs gezahlt werde oder weil der Übernehmer nur den in der Regel vom Marktpreis abweichenden Mindestpreis zu zahlen bereit ist.

Bewertung

Grundsätzlich ist die Neufassung der Ausführungen zu Zwischenschritten zu begrüßen. Die BaFin ist erkennbar bestrebt, Emittenten weitere Hilfestellung dabei zu geben, wann von einer Kursrelevanz eines Zwischenschrittes auszugehen sei.

Auch die Unterscheidung zwischen Zwischenschritten mit eigenständiger, vom Endereignis losgelöster insiderrechtlicher Relevanz und solchen, die ihre insiderrechtliche Relevanz in erster Linie aus dem zukünftigen Ereignis ableiten, klingt auf den ersten Blick einleuchtend. Hilfreich wäre es, hier noch weitere Beispiele darzustellen und insbesondere typischerweise auftretende Konstellationen (wie z.B. Kapitalmaßnahmen oder M&A-Situationen) darauf zu beleuchten, wann eine eigene, vom Endereignis losgelöste insiderrechtliche Relevanz des Zwischenschrittes bestehen kann.

Im Hinblick auf die Kategorie der Zwischenschritte, die ihre insiderrechtliche Relevanz in erster Linie aus dem zukünftigen Ereignis ableiten, ist die (vergleichsweise) klare Aussage der BaFin, dass bei einer Wahrscheinlichkeit des Endergebnisses von weniger als 50% in der Regel keine Ad-hoc-Pflicht besteht, zu begrüßen. Diese klare Aussage dürfte es den Emittenten ermöglichen, in vielen Situationen erst zu einem späteren Zeitpunkt das Vorliegen einer Insiderinformation anzunehmen und – bei Vorliegen der Voraussetzungen – in die Selbstbefreiung zu gehen. Bislang musste häufig aus Vorsichtsgründen ein sehr früher Zeitpunkt für die Selbstbefreiungsentscheidung gewählt werden, was eine Reihe von Folgeproblemen (insbesondere bei geplanten Kapitalmaßnahmen, bei der Ausgabe von Aktienoptionen oder bei einer anstehenden Hauptversammlung) mit sich brachte.

Die von der BaFin angeführten Beispiele werfen jedoch weitere Fragen auf. Die Beispiele der geplanten Übernahme / Fusion bzw. des Squeeze-Out sollen offenbar illustrieren, in welchen Fällen auch bei einer Wahrscheinlichkeit des Endergebnisses von unter 50% dennoch von Kursbeeinflussungspotential und damit von einer insiderrechtlichen Relevanz ausgegangen werden soll.  Beiden Beispielen ist jedoch gemeinsam, dass für das „Ob“ des zukünftigen Ereignisses eine vergleichsweise hohe Wahrscheinlichkeit besteht. Wird im Zusammenhang mit einer Übernahme oder Fusion grundsätzliche Einigkeit über wichtige Eckpunkte erreicht (so das erste Beispiel der BaFin), dürfte in der Regel sogar von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses auszugehen sein und eine Insiderinformation schon aus diesem Grund vorliegen. Auch in dem zweiten Beispiel der BaFin scheint das „Ob“ der Übernahme oder des Squeeze-Out eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu haben. In diesem Beispiel bleibt aber unklar, welchen konkreten Zwischenschritt die BaFin vor Augen hat.

Es fehlt somit an Beispielen, wann der von der BaFin abstrakt geschilderte Fall des Kursbeein-flussungspotentials von Zwischenschritten bei noch wenig wahrscheinlichem Eintritt des End-ergebnisses vorliegen könnte. Auch in den an anderer Stelle platzierten Erläuterungen verschiedener Konstellationen (z.B. M&A-Transaktionen, Kapitalmaßnahme, Gerichtsverfahren) fehlen Aussagen zu dieser Abgrenzung. Insbesondere hätte sich der Abschnitt zu M&A-Transaktionen angeboten, um auf diese Frage nochmals anhand von konkreten Beispielen einzugehen. Wünschenswert wäre dabei die Aussage, dass Zwischenschritte im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen – von Sonderkonstellationen abgesehen – ihre insiderrechtliche Relevanz in erster Linie aus dem zukünftigen Endereignis ableiten.

Aufschubentscheidung des Aufsichtsrats

Die Konsultationsfassung von Juli 2019 enthielt erstmals Ausführungen zu der Frage, wer in Situationen, in denen der Aufsichtsrat involviert ist, für die Entscheidung über einen Aufschub der Ad-hoc-Veröffentlichung zuständig ist. Während die Entscheidung über einen Aufschub der Veröffentlichung grundsätzlich beim Vorstand liegt, soll in Fällen, die originäre Aufsichtsratszuständigkeiten betreffen (wie die Entscheidung über Vorstandsbestellungen) der Aufsichtsrat auch über den Aufschub einer entsprechenden Ad-hoc-Mitteilung entscheiden können. Dabei führte die Konsultationsfassung von Juli 2019 aus, dass diese Entscheidung im Rahmen eines Aufsichtsratsbeschlusses zu treffen sei.

 

Ein solcher Aufsichtsratsbeschluss über den Aufschub der Ad-hoc-Veröffentlichung dürfte gerade bei großen Aufsichtsräten kaum umsetzbar sein. Darauf haben verschiedene Stellungnahmen zu der Konsultationsfassung der BaFin hingewiesen.

In der überarbeiteten Fassung führt die BaFin nunmehr aus, dass der Aufsichtsrat diese Kompetenz auch auf ein untergeordnetes, vom Aufsichtsrat zu kontrollierendes Ad-hoc-Gremium oder ein ordentliches Mitglied des Aufsichtsrats delegieren kann. Bei der Entscheidung eines Gremiums solle ebenfalls mindestens ein ordentliches Aufsichtsratsmitglied mitwirken.

Gewährleistung der Vertraulichkeit während des Aufschubzeitraums

Neu sind auch detaillierte Ausführungen der BaFin dazu, wie vorzugehen ist, wenn während des Zeitraums einer aufgeschobenen Ad-hoc-Mitteilung (früher: Selbstbefreiung) Gerüchte über die zurückgehaltene Insiderinformation entstehen. Nach den Regelungen der MAR muss die Insiderinformation unverzüglich veröffentlicht werden, wenn die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet werden kann. Dies ist nach Ziffer 17 Abs. 7 Unterabsatz 2 MAR auch der Fall, wenn ein ausreichend präzises Gerücht entsteht.

Nach Auffassung der BaFin ist ein Gerücht dann ausreichend präzise, wenn es einen wahren Tatsachenkern enthält und einen konkreten Bezug zur Insiderinformation enthält. Dies sei dann der Fall, wenn Teile der der Insiderinformation zugrunde liegenden Umstände kolportiert oder Details der Information bekannt werden. Als Beispiel führt die BaFin an, dass Gerüchte über (tatsächlich geführte) Sanierungsverhandlungen mit dem Hauptaktionär bekannt werden und die Hausbank als Quelle angegeben wird. Dagegen sei die Verbreitung von Spekulationen oder von Gerüchten ohne Substanz sowie ein willkürliches Streuen diffuser Informationen ggf. in der Absicht, dem Emittenten richtigstellende Informationen zu entlocken, nicht als ausreichend präzise anzusehen mit der Folge, dass der Emittent sich auf eine „no-comment“-Politik beschränken könne.

Nach Ansicht der BaFin sollte es eher die Ausnahme als die Regel darstellen, dass ausreichend präzise Gerüchte im Umlauf sind.

Eigengeschäfte von Führungskräften (Directors‘ Dealings)

In die Ausführungen zu Eigengeschäften von Führungskräften (Directors‘ Dealings bzw. Managers‘ Transactions) hat die BaFin die Allgemeinverfügung vom 24. Oktober 2019 eingepflegt, wonach der Schwellenwert für die Meldepflicht mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020 von EUR 5.000 auf EUR 20.000 erhöht wurde.

Darüber hinaus hat die BaFin Musterbeispiele für die Meldungen nach Art. 19 MAR auf ihre Webseite eingestellt.