Die neue Bundesregierung hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, die Betriebsprüfungen zu modernisieren und zu beschleunigen (s. Koalitionsvertrag, dazu taxtech.blog v. 09.12.2021). Der Beginn von Betriebsprüfungen erfolgt oftmals erst mehrere Jahre nach dem Ende eines Veranlagungszeitraums. Hinzu kommt, dass die Dauer von Betriebsprüfungen variieren kann, insbesondere bei größeren Unternehmen auch oftmals mehrere Jahre dauern kann.
Reformvorschläge des IDW und BDI
Der Koalitionsvertrag schweigt darüber, wie die Bundesregierung die Betriebsprüfung modernisieren will. An Vorschlägen mangelt es hingegen nicht. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat im November 2021 mehrere Positionspapiere veröffentlich, von denen eins Vorschläge zur Modernisierung der steuerlichen Betriebsprüfung in Form der veranlagungsnahen Betriebsprüfung enthält. Damit stößt das IDW in die gleiche Richtung wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der bereits im September 2019 Reformvorschläge für die steuerliche Betriebsprüfung veröffentlicht hat.
Treiber für Reformpotenzial
Im internationalen Vergleich und mit Blick auf die internationalen Entwicklungen zeigt sich, dass die aktuelle Ausgestaltung der Betriebsprüfung einen Standortnachteil für Deutschland darstellen kann. Dies deshalb, weil lange Betriebsprüfungszeiträume sich hierzulande negativ auf die Rechts- und Steuerplanungssicherheit auswirken. Zudem beeinflusst die Länge der Betriebsprüfung auch die Zinsbelastung. 2019 beruhten 16,7% des Mehrergebnisses aus den Betriebsprüfungen auf Zinsen (s. BMF, Monatsbericht Oktober 2020, S. 37).
Einige EU-Mitgliedsstaaten haben kooperative Betriebsprüfungsmodelle eingeführt (z.B. Österreich die begleitende Kontrolle), wodurch Betriebsprüfungen schneller abgeschlossen werden können. Das zu prüfende Unternehmen erklärt eine umfassende Kooperationsbereitschaft und erhält als Gegenleistung eine schnelle Rechts- und Planungssicherheit. Auf europäischer Ebene wurden die Mitgliedsstaaten mit der DAC7-Richtlinie zur Einführung von nationalen Vorschriften zur Ermöglichung von gemeinsamen (Betriebs-)Prüfungen („Joint Audits“) verpflichtet (s. Richtlinie (EU) 2021/514 v. 22. März 2021, ABl. L104/1). Vertreter von mehreren Staaten bilden dann ein gemeinsames Prüfungsteam, um grenzüberschreitende Sachverhalte in den betreffenden Staaten international abgestimmt zu würdigen. Sofern im Ausland eine schnelle Betriebsprüfung erfolgt, besteht die Gefahr, dass Joint Audits zwischen Deutschland und anderen Staaten problematisch werden, wenn z.B. in Deutschland ältere Jahre noch „offen“ sind.
Antragsgebundene veranlagungsnahe Betriebsprüfung
Während der BDI sich für die Einführung einer begleitenden Kontrolle nach dem Modell Österreichs ausspricht, schlägt das IDW eine veranlagungsnahe Betriebsprüfung für ein oder zwei Veranlagungszeiträume vor (s. IDW Positionspapier, Veranlagungsnahe Betriebsprüfung).
Voraussetzungen für eine veranlagungsnahe Betriebsprüfung
Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen
Zusätzlich zu dem Antragserfordernis müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Der Steuerpflichtige muss seine betrieblichen Steuererklärungen frühzeitig (bis zum 30.09. des Folgejahres) abgeben. Hinzu muss eine Bereitstellung sämtlicher steuerrelevanter Daten der Veranlagungszeiträume im Rahmen der Datenträgerüberlassung (Z3-Zugriff) der Finanzverwaltung erfolgen.
Diese beiden Voraussetzungen signalisieren eine Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen. Es wird sich erhofft, durch vorzeitige und freiwillige Bereitstellung wesentlicher Informationen des Veranlagungszeitraums einen Vorteil in Form von schnellerer Rechts- und Planungssicherheiten zu erhalten.
Steuerehrliches Verhalten
Die beiden weiteren Voraussetzungen lassen sich unter dem Stichwort Steuerehrlichkeit zusammenfassen. Einerseits erfordert die Inanspruchnahme der veranlagungsnahen Betriebsprüfung Steuerloyalität. Darunter versteht das IDW, dass sich der Steuerpflichtige „nichts zu Schulden“ kommen lassen hat. D.h. es dürfen keine Verfehlungen begangen worden sein, die steuerstraf- oder steuerordnungswidrigkeitsrelevant sind. Ferner muss der Steuerpflichtige auch seinen Steuerzahlungsverpflichtungen fristgerecht nachgekommen sein.
Des Weiteren macht das IDW den Nachweis über ein Tax Compliance Management System (Tax CMS) zur Voraussetzung für eine veranlagungsnahe Betriebsprüfung. Der Steuerpflichtig wäre demnach verpflichtet die Tax CMS-Beschreibung und durchgeführte Kontrolldokumentation einreichen. Der Steuerpflichtige muss der Finanzverwaltung zusätzlich eine Bescheinigung eines sachverständigen Dritten über die Wirksamkeit des Tax CMS vorlegen. Dies gilt aber nur im Falle der Beantragung der veranlagungsnahen Betriebsprüfung für einen Veranlagungszeitraum. Für die Erstellung solcher Bescheinigungen kommen neben Wirtschaftsprüfer auch Steuerberater in Betracht.
Die Etablierung eines Tax CMS soll in erster Linie eine Enthaftung des Vorstands bewirken. Im Kontext der steuerlichen Betriebsprüfung geht das IDW den nächsten Schritt und will diese Entlastungswirkung für eine schnellere Rechts- und Planungssicherheit fruchtbar machen.
Zeitnahe Erstbescheide & Beginn der Datenanalyse
Wird dem Antrag durch die Finanzverwaltung stattgegeben, soll sich die Finanzverwaltung verpflichten, innerhalb eines Monats entsprechende Bescheide für den erklärten Veranlagungszeitraum zu erlassen. Unmittelbar daran anknüpfend beginnt die Finanzverwaltung bereits mit der Datenanalyse. Auf Basis der Datenanalyse soll die Finanzverwaltung Prüfungsschwerpunkte bilden und entscheiden, ob wesentliche Prüfungshandlungen vor Ort oder „remote“ erfolgen sollten.
Verständigung zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen über „Spielregeln“
Parallel dazu soll eine Verständigung zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen abgeschlossen werden, wo sich die Beteiligten selbst Regeln für die Durchführung der Betriebsführung geben. Der Steuerpflichtige soll sich zu einer schnellen Beantwortung von Prüfungsanfragen verpflichten. Im Gegenzug verpflichtet sich die Finanzverwaltung die Prüfungshandlungen binnen eines Jahres nach Eingang der Steuererklärungen des letzten zu prüfenden Veranlagungszeitraums abzuschließen.
Effektivität durch kooperativen Betriebsprüfungsansatz
Der Vorschlag des IDW ist zu begrüßen, weil er den bestehenden Betriebsprüfungsansatz im Kern nicht gänzlich verändert, sondern durch kooperative Elemente und Offenlegungsbereitschaft ergänzt bzw. modifiziert. Zudem schlägt das IDW flankierend notwendige verfahrensrechtliche Gesetzesänderungen sowie Anpassung der Prüfungsorganisation und -prozesse vor.
Die Effektivität der veranlagungsnahen Betriebsprüfung könnte sich laut IDW insbesondere bei der Beantragung der Betriebsprüfung für zwei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen zeigen. Denn in diesem Fall könnten bereits während der Prüfung des ersten Veranlagungszeitraums auch eine Besprechung der wesentlichen Geschäftsvorfälle des aktuellen (zweiten) Veranlagungszeitraum erfolgen. Dies resultiert in der kooperativen Erarbeitung der Prüfungsplanung für den folgenden Veranlagungszeitraum während der Prüfung des ersten Veranlagungszeitraumes.
Qualitative Ausgestaltung der Voraussetzungen der veranlagungsnahen Betriebsprüfung
Datenqualität als nicht zu unterschätzender Faktor
Das IDW macht die freiwillige und vollumfängliche Überlassung der steuerrelevanten Daten zur Zugangsvoraussetzung für eine veranlagungsnahe Betriebsprüfung. Unklar bleibt in diesem Kontext, in welcher Qualität die Daten an die Finanzverwaltung übergeben werden müssen.
Die Datenüberlassung ist vom Grundgedanken richtig und auch wichtig, sodass die Finanzverwaltung auf Datenbasis Prüfungsschwerpunkte bilden kann. Im Idealfall würde eine reine „Remote“-Prüfung durch die Finanzverwaltung ausreichen. Entscheidend dürfte jedoch die Datenqualität sein. Denn eine umfangreiche Datenaufbereitung durch die Finanzverwaltung könnte den Effekt der vorzeitigen Datenüberlassung verpuffen lassen. Insofern wird es nicht nur auf die reine Verpflichtung zur Datenträgerüberlassung ankommen. Vielmehr dürfte es auch erforderlich werden, die qualitativen Anforderungen für die überlassenen Daten festzulegen. Die Finanzverwaltung (oder der Gesetzgeber) sollten sich an dieser Stelle nicht zurückhalten und ein klares Mindestmaß definieren, welche Daten in welcher Struktur benötigt werden.
Wirksamkeit & Entlastungswirkung eines Tax CMS
Das IDW geht in dem Konzept der veranlagungsnahen Betriebsprüfung davon aus, dass die Finanzverwaltung das Vorliegen eines Tax CMS als gewichtiges Indiz für steuerehrliches Verhalten sieht (s.o.). Eine externe Bescheinigung eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberater über die Wirksamkeit eines solchen Tax CMS ist jedoch nur einzureichen, wenn ein Antrag auf eine veranlagungsnahe Betriebsprüfung lediglich für einen Veranlagungszeitraum gestellt wird.
Es stellt sich daher die Frage, ob das IDW davon ausgeht, dass die Finanzverwaltung auf die indizielle Entlastungswirkung des Tax CMS vertraut. Jedenfalls finden sich in dem IDW-Konzept keine Anhaltspunkte, dass im Rahmen der veranlagungsnahen Betriebsprüfung auch das Tax CMS durch die Finanzverwaltung geprüft wird.
In diesem Kontext stellt sich ohnehin die Frage, wie die Finanzverwaltung zukünftig die Existenz eines Tax CMS würdigen möchte. Grundsätzlich findet sich in Ziff. 2.6 Satz 4 des AEAO zu § 153 AO, dass ein innerbetriebliches Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient ggfs. als Indiz gewertet werden kann, welches gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann.
Aus dieser Aussage könnte sich ableiten lassen, dass im Falle eines Tax CMS nicht jeder im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckte Fehler oder abgegebene Nacherklärung steuerordnungswidrigkeits- bzw. steuerstrafrechtlich zu würdigen ist. Jedoch ist aktuell das Gegenteil der Fall. Insbesondere Nacherklärungen während einer laufenden BP werden grundsätzlich unmittelbar an die Bußgeld- und Strafsachenstellte (BuStra) weitergeleitet (siehe Nr. 131 Abs. 1 Satz 2 AStBV, BStBl. I 2019, 1142).
Die grundsätzliche Weiterleitung an die „BuStra“ steht damit im Widerspruch zur indiziellen Entlastungswirkung eines Tax CMS. Zusätzlich widerspricht dieses Vorgehen der Aussage des AEAO, dass nicht jede objektive Unrichtigkeit gleich den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahelegt (Ziff. 2.5 Satz 4 AEAO zu § 153 AO). Der Gesetzgeber sollte daher (gemeinsam mit der Finanzverwaltung) überlegen, ob und wie er die Entlastungswirkung eines Tax CMS ibei durch Betriebsprüfung aufgedeckten Fehlern oder im Rahmen von Betriebsprüfung abgegebene Nacherklärungen in Zukunft würdigen möchte. Im direkten Vergleich dürfte an dieser Stelle ein akuterer Handlungsbedarf bestehen als bei einer Beschleunigung der Betriebsprüfung…
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