Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg: § 9 Nr. 7 GewStG ist unionsrechtswidrig

24.09.2018

Hintergrund

Zur Vermeidung von Kaskadeneffekten werden Dividenden steuerlich begünstigt, indem diese ertragsteuerlich (teilweise) von der Steuer freigestellt werden. Voraussetzung ist oftmals eine gewisse  Beteiligungshöhe, weshalb sich der Betriff des sog. Schachtelprivilegs etabliert hat.

 

Gewerbesteuerlich werden Inlandsdividenden ab einer Beteiligung von 15% steuerfrei gestellt, wenn diese zu Beginn des Erhebungszeitraums bestanden hat. Für Beteiligungen an EU-Kapitalgesellschaften ist schon eine Beteiligung von 10% zu Beginn des Erhebungszeitraums ausreichend. Insofern spricht man vom sog. gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg. Stammt die Dividende hingegen von einer Gesellschaft aus einem Drittstaat, gelten hinsichtlich des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§ 9 Nr. 7 GewStG) strengere Kriterien. Neben der Beteiligungsschwelle von 15% muss zB eine aktive Tätigkeit iSd § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG vorliegen. Für das sog. Enkelprivileg -Dividenden von nachgeschalteten Auslandsgesellschaften - muss die Drittstaatengesellschaft außerdem als sog. Funktions- oder Landesholding fungieren.

 

Im Ergebnis gelten für Drittstaatendividenden andere, strengere Maßstäbe als in den übrigen Fällen.

Sachverhalt

Eine deutsche GmbH erzielte Dividenden von einer australischen Ltd. (100%-Beteiligung), die sich teilweise aus Gewinnausschüttungen einer philippinischen Inc. (100%-Beteiligung) speisten. Die GmbH beantragte gewerbesteuerlich die Kürzung aus dem Gewerbeertrag.

 

Nach Ansicht der Betriebsprüfung sowie des Finanzamts waren aber die Anforderungen des § 9 Nr. 7 GewStG (Kürzung) nicht erfüllt, weshalb die Dividenden nach § 8 Nr. 5 GewStG hinzugerechnet wurden (Sprichwort: „Rechne hinzu, wenn du nicht kürzen kannst.“). Dagegen erhob die GmbH Klage beim FG Münster, das Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 9 Nr. 7 GewStG hegte und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Entscheidung des EuGH zu § 9 Nr. 7 GewStG

Der EuGH bestätigte diese Zweifel und entschied, dass die strengeren Anforderungen desgewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs in § 9 Nr. 7 GewStG gegen EU-Recht verstoßen (EuGH vom 20.9.2018 - C-685/16, Rs. EV/Finanzamt Lippstadt).

 

Entscheidend war vorliegend, dass die fragliche Regelung mit einer Beteiligungsschwelle von 15% keinen sicheren Einfluss voraussetzt und damit am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen ist. Andernfalls wäre die Niederlassungsfreiheit einschlägig gewesen, die Drittstaatenfälle aber nicht schützt.

 

Die Ungleichbehandlung von Drittstaatendividenden beurteilte der EuGH auch als Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit. Insofern ist aber die sog. Stand-Still-Klausel zu beachten, nach der Beschränkungen gegenüberüber Drittstaaten unbeachtlich bleiben können. Dafür muss die betreffende Vorschrift die Kapitalverkehrsfreiheit beschränken, sich gegen Drittstaaten richten und seit dem 31.12.1993 existieren. Neben der Anhebung der maßgebenden Beteiligungsschwelle sah der EuGH auch in der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens einen Systemwechsel, sodass die Vorschrift nicht seit 31.12.1993 unverändert fortbestand. Mithin lag eine Beschränkung vor, die auch nicht aus Gründen der Abwehr von Missbrauch und Steuerflucht gerechtfertigt werden konnte.

Unmittelbare Praxisfolgen

Mit der vorliegenden Entscheidung steht fest, dass die Voraussetzungen für das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg nach § 9 Nr. 7 GewStG EU-rechtswidrig sind. Eine Differenzierung nach der Herkunft von Dividenden verbietet sich. Durch die Entscheidung bleibt § 9 Nr. 7 GewStG zwar weiterhin anwendbar. Es hat aber eine unionsrechtskonforme Auslegung zu erfolgen, womit dessen Reichweite erheblich begrenzt wird.

 

Für Drittstaatendividenden gelten nunmehr gleiche Voraussetzungen, wie für innerstaatliche Dividendenausschüttungen (§ 9 Nr. 2a GewStG). Damit sind weder die Aktivitätsanforderung für Drittstaatendividenden noch die Voraussetzungen für das sog. Enkelprivileg mehr zulässig.

Verbleibende Fragen: 10% oder 15%-Beteiligungsschwelle

Vor dem Hintergrund der Mutter-Tochter-Richtlinie gilt für Dividenden von EU/EWR-Gesellschaften eine Beteiligungsschwelle von 10%; für Inlandsdividenden von 15%. Damit stellt sich in Zukunft die Frage, ob für Drittstaatendividenden nunmehr die 15%- oder 10%-Beteiligungsschwelle gilt.

 

Im EU-Recht darf der reine Inlandsfall gegenüber EU-Sachverhalten diskriminiert werden. Würde das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg für Drittstaatendividenden erst ab 15%, für EU/EWR-Dividenden dagegen schon ab 10% gewährt, würden aber nicht Inländer diskriminiert, sondern Drittstaatenfälle gegenüber EU-Fällen. Die Kapitalverkehrsfreiheit schützt aber beide Konstellationen vor Beschränkungen, weshalb identische Beteiligungsschwellen gelten sollten.

Tochtergesellschaften versus Betriebsstätten und Hinzurechnungsbesteuerung

Nur beiläufig erwähnt der EuGH auch, dass Investitionen in eine gebietsfremde Tochtergesellschaft und eine ausländische Betriebsstätte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Mit anderen Worten sind unionsrechtlich Tochtergesellschaften und Betriebsstätten gleich zu behandeln. Dies gilt aber nicht in Bezug zu Drittstaaten, wie der EuGH feststellt, weshalb vorliegend auch nicht § 9 Nr. 3 GewStG in die Prüfung einbezogen wurde.

 

Dieser Hinweis ist vor dem Hintergrund der Änderungen durch das BEPS-Umsetzungsgesetz besonders bemerkenswert. Seither unterliegt nämlich der Hinzurechnungsbetrag nach § 7 Satz 7 GewStG der Hinzurechnungsbesteuerung. Daneben – u.a. – auch Einkünfte aus passiven Betriebsstätten (§ 7 Satz 8 GewStG iVm § 20 Abs. 2 AStG). Während die Hinzurechnungsbesteuerung einen Substanznachweis zulässt (§ 8 Abs. 2 AStG), wird dieser bei Betriebsstätten explizit ausgeschlossen. Die damit offensichtliche Ungleichbehandlung löst § 7 Satz 9 GewStG für die Gewerbesteuer. Im Rahmen der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer müsste nach der vorliegenden Entscheidung aber gleiches gelten: Der Substanznachweis muss ebenso für Betriebsstätten möglich sein!