Umsatzsteuerrechtliche Fehlbarkeiten bringen es bisweilen mit sich, dass an Finanzbehörden entrichtete Umsatzsteuerbeträge zurückgefordert werden müssen. Für Fälle, in denen ein solcher Erstattungsanspruch die von einem Vertragspartner abgeführten Steuerbeträge betrifft, hat die Rechtsprechung den sog. Reemtsma-Anspruch entwickelt. Die Reichweite dieses Direktanspruchs hat der EuGH nun in der Rs. Schütte (Urt. v. 07.09.2023, C-453/22) konkretisiert.

Der sog. Reemtsma-Anspruch gegen die Finanzbehörde

Stellt ein Unternehmer zu Unrecht Umsatzsteuer in Rechnung und wird dieser Fehler erst zu einem späteren Zeitpunkt bemerkt, hat der Unternehmer die ihm von seinem Leistungsempfänger gezahlte Umsatzsteuer nach zivilrechtlichen Grundsätzen zurückzuzahlen. Gegen das Finanzamt hat der Unternehmer sodann nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 UStG einen Erstattungsanspruch in Höhe der zu viel abgeführten Umsatzsteuer, wenn er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger berichtigt.

In Ausnahmefällen wird in der Rechtsprechung aber auch ein unmittelbarer Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers gegen die Finanzbehörde anerkannt, wenn die Erstattung der Umsatzsteuer andernfalls unmöglich oder übermäßig erschwert wäre. Insbesondere im Falle der Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers, der die Umsatzsteuer zu hoch ausgewiesen hat, kann der Leistungsempfänger seine Rückforderung auf dem Zivilrechtswege nicht mit Erfolg durchsetzen, sodass er hier auf einen Direktanspruch gegen den Fiskus zurückfallen kann.

Dieser sog. Reemtsma-Anspruch trägt dem umsatzsteuerlichen Grundsatz der Neutralität Rechnung, wenn ein Leistungsempfänger zu Unrecht Umsatzsteuerbeträge an seinen Vertragspartner gezahlt hat, diese Beträge aber später von diesem nicht mehr zurückbekommen kann.

EuGH-Vorlage durch das FG Münster

Das FG Münster legte mit Beschluss v. 27.06.2022 (15 K 2327/20 AO) dem EuGH einen Fall zur Vorabentscheidung vor, in dem der zivilrechtliche Rückzahlungsanspruch des Leistungsempfängers zwar nicht an der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden scheiterte, aber wegen der zivilrechtlichen Einrede der Verjährung nicht durchzusetzen war.

Konkret ging es um einen Land- und Forstwirt, dessen Holzlieferant Rechnungen mit 19 % Umsatzsteuer ausstellte. Der Land- und Forstwirt zahlte den Bruttopreis (inkl. Umsatzsteuer) an seinen Lieferanten, der den Steuerbetrag wiederum an sein Finanzamt abführte. Am Ende des finanzgerichtlichen Verfahrens stellte sich indes heraus, dass die Holzlieferungen dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterlagen und die darüber hinaus an den Holzlieferanten gezahlte Umsatzsteuer nicht gesetzlich geschuldet war – was zu einer entsprechenden Kürzung des Vorsteuerabzugs des Land- und Forstwirts (auf 7 %) führte.

Daraufhin forderte der Land- und Forstwirt seinen Lieferanten zur Rechnungsberichtigung und Rückerstattung der zu viel gezahlten Umsatzsteuer auf. Dieser Forderung wurde aber seitens des Lieferanten mit der zivilrechtlichen Einrede der Verjährung begegnet, sodass nur noch ein unmittelbarer Anspruch des Land- und Forstwirts gegen die Finanzbehörde in Betracht kam.

Das FG Münster hatte in diesem Fall Bedenken, einen Reemtsma-Anspruch anzuerkennen. Denn der Holzlieferant ist nach nationalem Recht jederzeit berechtigt, die Rechnung zu korrigieren und vom Finanzamt die Erstattung der zu viel abgeführten Umsatzsteuer zu verlangen. Hat aber auch der Land- und Forstwirt als Leistungsempfänger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Fiskus, besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass dieser doppelt belastet wird.

EuGH: Gefahr der doppelten Erstattung grundsätzlich ausgeschlossen

Der EuGH hat sich auf die Seite des Land- und Forstwirts gestellt und entschieden, dass der Reemtsma-Anspruch auch dann bestehe, wenn der Leistungsempfänger, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können, eine Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von seinem Lieferanten fordern könne. Dem stehe die formale Möglichkeit nicht entgegen, dass dieser Lieferant, nachdem er die Rechnung berichtigt habe, im Nachhinein von der Steuerbehörde ebenfalls die Erstattung des zu viel gezahlten Betrags verlangen könnte.

Eine Gefahr der doppelten Erstattung schließt der EuGH grundsätzlich aus, indem er den Erstattungsanspruch nach Rechnungsberichtigung einschränkt. Ein Lieferer, der gegenüber seinem Leistungsempfänger die Einrede der Verjährung erhoben und diesen dadurch dazu verleitet habe, den Reemtsma-Anspruch gegen den Fiskus geltend zu machen, handele missbräuchlich, wenn er sodann nachträglich seine Rechnung korrigiere und seinerseits eine Erstattung verlange. Der Anspruch des Leistenden nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 UStG kann demnach nicht geltend gemacht werden, wenn dadurch ein Steuervorteil erlangt wird, der gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt.

Fazit und Ausblick

Das jüngste Urteil des EuGH zur Reemtsma-Rechtsprechung hat nun weitere Klarheit geschaffen. Die Finanzverwaltung, die sich mit BMF-Schreiben vom 12.04.2022 noch sehr restriktiv geäußert hatte, wird ihre Auffassung entsprechend anpassen müssen. Wünschenswert wäre es, dass der nationale Gesetzgeber dies zum Anlass nimmt, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gesetzlich festzuschreiben.

Da auch der BFH mit Beschluss v. 03.11.2022 (XI R 6/21) weitere Fragen zum Reemtsma-Anspruch an den EuGH (C-83/23) gestellt hat, wird das Thema auch künftig weiter in Bewegung bleiben.