Mit Datum vom 25. März 2021 hat der EuGH in der Rs. Q GmbH (Az. C-907/19) entschieden, dass die Mehrwertsteuerbefreiung auf Dienstleistungen in Form der Bereitstellung eines Versicherungsprodukts an eine Versicherungsgesellschaft keine Anwendung findet. Dies gilt nach Ansicht des EuGH ebenfalls für die Vermittlung des Produkts sowie die Verwaltung der geschlossenen Versicherungsverträge, sofern der BFH diese Leistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer als einheitliche Leistung einstuft.
Der Leitsatz überrascht zunächst nicht. Es scheint auf den ersten Blick ein „normales“ Abgrenzungsurteil zum Inhalt einer Steuerbefreiung sowie zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung zu sein. Zieht man jedoch die Vorlageentscheidung des BFH hinzu, erscheint das Urteil des EuGH in einem ganz anderen Licht. Darüber hinaus stellt sich wie so häufig die Frage, ob die Erwägungsgründe auch auf andere Sachverhalte, wie beispielsweise die steuerliche Behandlung von „White Label-Produkten“, übertragbar sind.
Die Vorlage des BFH
Warum halten wir die Entscheidung des EuGH also für interessant? Wie bereits erläutert hat dies mit der Vorlagefrage des BFH (Az. V R 58/17) zu tun.
Diese lautete nämlich lediglich: „Liegt eine zu den zu Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen dazugehörige Dienstleistung vor, die von Versicherungsmaklern und -vertretern iSv Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei erbracht wird, wenn ein Steuerpflichtiger, der für eine Versicherungsgesellschaft eine Vermittlungstätigkeit ausübt, dieser Versicherungsgesellschaft zusätzlich auch das vermittelte Versicherungsprodukt zur Verfügung stellt?“
Der BFH wollte also (nur) wissen, ob eine einheitliche Leistung, die aus mehreren zusammenhängenden (Einzel-)Leistungen besteht, insgesamt steuerbefreit ist, wenn dies für eine dieser Leistungen gilt – zumal, wenn diese nach Sicht des BFH als Nebenleistung qualifiziert. Anders ausgedrückt lautete die Frage: Infiziert eine steuerbefreite Nebenleistung ihre als Einheit zu betrachtende Gesamtleistung?
Die Antwort des EuGH
Die Antwort des EuGH lautete nicht etwa ‚ja‘ oder ‚nein‘. Vielmehr finden sich zunächst ausführliche an den BFH gerichtete Hinweise, warum seiner Ansicht, es handele sich um eine einheitliche Leistung, nicht unbedingt gefolgt werden müsse. Er möge dies – ohne es angefragt zu haben – doch bitte nochmals überprüfen.
Sollte er dennoch an dem bisherigen Ergebnis festhalten, so handelte es sich um keine von der Steuerbefreiung umfasste Leistung. Vielmehr müsste der Umsatz insgesamt der Mehrwertsteuer unterworfen werden, da bei der Bereitstellung eines Versicherungsprodukts (Lizenzvergabe) weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Verbindung zum Versicherten bestünde, welche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung ist. Darüber hinaus würde der Leistende mit diesem Produkt auch kein fremdes Risiko übernehmen.
Erkenntnisgewinn und Handlungsempfehlungen
Die Auslegung der Mehrwertsteuerbefreiung reiht sich in die bisherige Rechtsprechung des EuGH ein und verwundert insoweit nicht.
Mit den Ausführungen hierzu hat der EuGH sich jedoch nicht begnügt. Vielmehr hat er sich erstaunlicherweise ganz wesentlich mit der Frage der Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung beschäftigt, obwohl dies schlichtweg vom BFH nicht gefragt war. Dieser hatte seine Entscheidung zur Frage der Einheitlichkeit einer Leistung bereits getroffen. Und auch wenn der EuGH eine (nochmalige) Prüfung dieser Entscheidung anregt, so ist unwahrscheinlich, dass der BFH dieser „Aufforderung“ Folge leistet, sondern die Leistung nunmehr insgesamt als steuerpflichtig einstuft.
In Erinnerung sollte das Urteil dem deutschen Rechtsanwender jedoch gleichwohl bleiben. Offenbar interpretiert der EuGH die Abgrenzungskriterien einer einheitlichen Leistung gegenüber selbstständig zu betrachtenden Einzelleistungen nicht in gleicher Weise wie der BFH. Dies eröffnet möglicherweise einen gewissen Spielraum beispielsweise zur Gestaltung von Verträgen. Je nachdem, ob die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung sich positiv oder negativ für den Einzelnen auswirkt, kann überlegt werden, den jeweiligen Argumentationsspielraum für sich zu nutzen.
Alle im Bereich der Versicherungsvermittlung Tätigen, die neben der reinen Vermittlungstätigkeit auch Zusatzleistungen anbieten, sollten daher ihr Portfolio dahingehend untersuchen, ob die bisher getroffene Abgrenzungsentscheidung überdacht werden sollte – möglicherweise auch zu ihren Gunsten.
Übertragbarkeit auf andere Dienstleistungen / Branchen
Gleiches gilt für (andere) Finanzdienstleister, die „White-Lable-Produkte“ anbieten, beispielsweise bei der Auflage von Investmentfonds durch Kapitalverwaltungsgesellschaften. Hierbei bezieht die Kapitalverwaltungsgesellschaft in entsprechenden Konstellationen umfangreiche Dienstleistungen ihres „Partners“, der unter anderem sowohl den Vertrieb als auch die Portfolioverwaltung übernimmt. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft bringt ihre regulatorische Stellung in die Kooperation ein. Zwar kann es – je nach der konkreten Ausgestaltung der Kooperation – Unterschiede zum vorliegenden Sachverhalt geben, da der Partner der Kapitalverwaltungsgesellschaft „das Produkt“ nicht in Form einer Lizenz zur Verfügung stellt und auch die Portfolioverwaltung – als möglicher Hauptbestandteil einer einheitlichen Leistung – nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG steuerfrei sein kann. Gleichwohl dürfte es sich auch in diesem Bereich lohnen, entsprechende Sachverhalte im Lichte des neuen EuGH-Urteils zu betrachten.