Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in der Corona-Krise

23.03.2020

Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) beschlossen. Es ist damit zu rechnen, dass das Gesetz noch diese Woche vom Bundestag verabschiedet und in Kraft treten wird.

 

Ziel des COVInsAG ist es, Unternehmen dann nicht in das Insolvenzverfahren zu zwingen, wenn sie ein stabiles Geschäftsmodell haben und die Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist. Diese Gefahren versucht das COVInsAG durch tiefgreifende Änderungen im Insolvenzrecht zu begegnen.

 

Das Gesetz besteht im Wesentlichen aus,

  1. der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten bis 30. September 2020 (Aussetzungszeitraum) bei durch das Coronavirus bedingter Insolvenz,
  2. der Einschränkung der Haftung der Geschäftsleiter für Zahlungen bei Insolvenzreife im Aussetzungszeitraum,
  3. die Einschränkung der Haftung und Anfechtungsgefahren für Kreditgeber und Gläubiger
  4. Aussetzung des Nachrangs für im Aussetzungszeitraum gewährte Gesellschafterdarlehen.

Diese insolvenzrechtlichen Änderungen werden flankiert durch ein im Bürgerlichen Gesetzbuch geregeltes allgemeines Vertragsmoratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmer, einer Kündigungssperre für Mietverträge sowie einer Zwangsstundung für Verbraucherdarlehen.

 

Im Einzelnen gestalten sich die Änderungen durch das COVInsAG wie folgt:

Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO ausgesetzt

Die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, wird nach dem CorInsAG grundsätzlich bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Nur wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruhen oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, greift die Aussetzung ausnahmsweise nicht (§ 1 S. 2 COVInsAG).

 

Die Aussetzung wird durch eine großzügigen Vermutungsregel flankiert: War der Schuldner nicht schon am 31. Dezember 2019 zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 S. 3 COVInsAG).

Geschäftsleiterhaftung wegen Zahlung bei Insolvenzreife eingeschränkt

Das COVInsAG schränkt auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Auszahlungen bei Insolvenzreife (§ 64 GmbHG, § 92 Absatz 2 Aktiengesetzes, § 130a Absatz 1 Satz 2 HGB und § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes) im Aussetzungszeitraum ein. Dies ist konsequent. Denn in der Praxis bestehen gerade bei diesen Haftungsnormen aufgrund der für den Insolvenzverwalter günstigen Darlegungs- und Beweislast für den Geschäftsleiter existenzgefährdende Haftungsgefahren.

 

Soweit die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist (s.o.), gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften vereinbar und lösen im Ergebnis keine Haftung des Geschäftsleiters aus (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG). Dies gilt insbesondere für solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.

 

Neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Aussetzung des Insolvenzantrags aus § 1 COVInsAG, das heißt insbesondere Kausalität der Folgen des Coronavirus und der Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, kommt es somit zusätzlich auf die Qualität der Zahlungen an, um die Haftungsprivilegierung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu erreichen.

Kreditgeberhaftung begrenzt

Darüber hinaus werden durch das COVInsAG Anreize geschaffen, den betroffenen Unternehmen neue Liquidität – insbesondere durch Sanierungskredite – zuzuführen. Dazu werden bisherige Haftungs- und Anfechtungsrisiken der Kreditgeber reduziert.

 

Durch die Corona-Krise ist es derzeit kaum möglich, verlässliche Prognosen und Planungen zu erstellen, auf welche sich die Vergabe von Sanierungskrediten stützen könnte. Folglich ist die Sanierungskreditvergabe auch mit Haftungs- und Anfechtungsrisiken verbunden, welche die Bereitschaft zur Kreditvergabe weiter hemmen.

 

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber für Neukredite die Anfechtung von Kreditrückführungen und Besicherungen sowie die Haftung wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) durch Kreditgewährung (sog. Kreditgeberinsolvenzverschleppung) ausgeschlossen, wenn die Kredite im Aussetzungszeitraum gewährt wurden und spätestens bis zum 30. September 2023 zurückgeführt werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG). Für Kredite, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungspartnern oder anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme gewährt werden, wird die Anfechtung und Haftung sogar gänzlich ausgeschlossen, d.h. privilegiert sind auch KfW-Kredite, die nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert werden und oder erst nach dem 30. September 2023 zurück gezahlt werden.

Gesellschafterdarlehen aufgewertet

Das COVInsAG gibt den Gesellschaftern einen erheblichen Anreiz, sich an der Finanzierung zur Überwindung der durch das Coronavirus bedingten Krise zu beteiligen. Gesellschafterdarlehen erhalten durch das COVInsAG in der Insolvenz eine deutliche Aufwertung.

 

Dies gilt zunächst dadurch, dass auch die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einen solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, von der Anfechtung ausgeschlossen sind. Vorausgesetzung: Sie wurden im Aussetzungszeitraum gewährt und werden bis 30. September 2023 zurückgezahlt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Nicht von der Anfechtung ausgeschlossen sind hingegen die Bestellung von Sicherheiten aus dem Vermögen der Gesellschaft zur Besicherung eines Gesellschafterdarlehens.

 

Auch der Nachrang von Gesellschafterdarlehen aus § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wird für Neugesellschafterdarlehen ausgeschlossen, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners bis zum 30. September 2023 beantragt wurde. Gleiches gilt für Sicherheiten des Gesellschafters (§ 44a InsO).

Insolvenzanfechtung eingeschränkt

Bei eingetretener Insolvenzreife besteht für Gläubiger und Vertragspartner das erhöhte Risiko, erhaltene Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren infolge einer Insolvenzanfechtung wieder herausgeben zu müssen. Das kann die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner gefährden.

 

Das COVInsAG schränkt daher generell die Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die der Gläubiger in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte (sog. kongruente Deckungen), aus (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 S.1 COVInsAG). Das Anfechtungsprivileg wird für bestimmte inkongruente Deckungen ausgeweitet.

Fortbestand Schuldneranträge, Aussetzung von Gläubigeranträgen

Trotz Aussetzung der Antragspflicht bleibt jedoch das Recht des Geschäftsleiters bestehen, für die Gesellschaft einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15 InsO). Es bleibt ihm somit die Option, die Gesellschaft im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens ggf. in Eigenverwaltung zu sanieren. Diese Option sollten Geschäftsleiter frühzeitig ins Auge fassen, wenn Zweifel bestehen, ob die Zahlungsunfähigkeit im Aussetzungszeitraum beseitigt werden kann.

 

Das Recht des Gläubigers, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 14 InsO), wird durch das COVInsAG jedoch eingeschränkt. Nach § 3 COVInsAG sind Insolvenzanträge von Gläubigern in den folgenden drei Monaten nach Inkrafttreten des COVInsAG nur erlaubt, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.

Sonstige Regelungen, insbesondere Kündigungssperre für Mietverträge

Ferner wurde für Verbraucher und Kleinstunternehmer im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 (ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36) ein Leistungsverweigerungsrecht eingeführt, wenn Schuldner, die wegen der COVID-19-Pandemie ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllen können (sog. Vertragsmoratorium).

 

Für Mietverträge gilt nun eine Kündigungssperre wegen Zahlungsrückständen (ähnlich wie in § 112 InsO). Für die Tilgung von Verbraucherdarlehen ist eine Zwangsstundung von sechs Monaten vorgesehen. Ein Verbraucher kann sich auf diese Zwangsstundung berufen, wenn er aufgrund von durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufene außergewöhnliche Umstände Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist.

Fazit

Mit dem Inkrafttreten des COVInsAG wird für die Unternehmen erheblich Druck genommen. Trotz der umfassenden Vermutungsregelungen sind Geschäftsleiter allerdings gut beraten, kontinuierlich zu überprüfen, ob die Liquiditätslage und Prognose es zulassen, von der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bis zum 30. September 2020 auszugehen.

 

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen wie Kredithilfen, Steuerstundungsanträge und sonstige Sanierungsmaßnahmen spielen im Rahmen dieser Prognose eine bedeutende Rolle.