Bisher größte EU-Zollreform bringt digitalen Ausbau der Zollunion

09.06.2023 | FGS Blog

Bei der Einfuhr von Waren in das Zollgebiet der EU müssen sich Importeure  mit teils komplizierten Zollanmeldungen und aufwendigen Abfertigungsverfahren auseinandersetzen. Ein umfassender Reformvorschlag der EU-Kommission sieht nun erhebliche Änderungen zur Vereinfachung vor. Ein intelligentes, datenbasiertes Verfahren soll Wirtschaftsbeteiligte sowie Zollbehörden entlasten und so dazu beitragen, das von Kommissionspräsidentin von der Leyen formulierte Ziel eines erheblichen Bürokratieabbaus in der Union zu erreichen.

Andererseits soll jedoch auch die Zoll-Freigrenze von 150 Euro entfallen, um möglichem Missbrauch den Boden zu entziehen.

Hintergrund und Ziele der Reform

Der EU-Binnenmarkt bzw. die Zollunion sieht sich heutzutage stetig wachsenden Herausforderungen gegenüber. Neben dem zunehmenden internationalen Handelsverkehr, von dem die EU im weltweiten Vergleich rund 15% trägt, gilt es verschiedenste Regelungen innerhalb der EU sowie zahlreiche geopolitische Konflikte und Begebenheiten zu beachten. Um trotz der Schnelllebigkeit der Wirtschaft, die nicht zuletzt durch den nahezu grenzenlosen elektronischen Handel entsteht, das Funktionieren eines wettbewerbsfähigen Binnenmarkts und auch die Sicherheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger zu gewährleisten, soll die Zollunion eine der größten Reformen seit ihrer Gründung im Jahr 1968 erfahren.

Die Digitalisierung des Zollverfahrens als Reaktion auf den Wandel der Zeit soll traditionelle Verfahren ersetzen und insbesondere für „vertrauenswürdige“ Händler vereinfachen. Einfuhrverfahren sollen teilweise ohne oder nur mit geringer Mitwirkung der Zollbehörden möglich sein, was zu erheblichen Zeitersparnissen führt. Doch nicht nur die Wirtschaftsbeteiligten sollen profitieren, auch neue Instrumente für die Zollbehörden sind vorgesehen. Durch einen verbesserten Austausch von Echtzeit-Daten in der gesamten EU soll die Abwehr von Gefahren insbesondere durch die Einfuhr illegaler bzw. reglementierter Güter effizienter gestaltet werden.

Neue EU-Zolldatenplattform als Kernelement

Den Mittelpunkt des neuen Systems stellt eine EU-Zolldatenplattform dar, die von einer hierfür neu geschaffenen EU-Zollbehörde betrieben werden und die bestehende IT-Infrastruktur im Zollbereich langfristig ersetzen soll. Man erhofft sich dadurch die Einsparung von Betriebskosten von bis zu 2 Mrd. Euro jährlich.

Geplant ist, dass Importeure alle relevanten Informationen über eingeführte Waren und Lieferketten zukünftig gebündelt in die EU-Zolldatenplattform einspeisen, die als einziges Kommunikationsmittel zwischen Zollbehörde und Wirtschaftsbeteiligten fungiert. Der bürokratische Aufwand wird damit auf ein Minimum reduziert werden. Auch die gleichzeitige Übermittlung von Daten mehrerer Lieferungen soll möglich sein. Die Plattform verarbeitet die Informationen dann mithilfe künstlicher Intelligenz und machine learning, sodass der gesamte Warenverkehr für die Zollbehörde transparent einsehbar ist und Risiken schnell erkannt werden können – noch bevor der Versand der Waren in Richtung EU begonnen hat. Auch die Behörden in den EU-Mitgliedstaaten sollen in Echtzeit auf die Daten zugreifen können, um Zollkontrollen in Zukunft gezielter durchführen zu können.

Ab 2028 soll die Datenplattform zunächst für Händler im Rahmen des elektronischen Handels zur Verfügung stehen, ab 2032 besteht das Angebot dann für alle Importeure – vorerst auf freiwilliger Basis. Eine verpflichtende Nutzung der Plattform für alle ist erst im Jahre 2038 vorgesehen.

Mehr Vorteile für vertrauenswürdige Händler

Schon derzeit kann unter bestimmten Voraussetzungen Wirtschaftsbeteiligten der Status eines sog. „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ (AEO) bewilligt werden, um Privilegien bei der Einfuhr von Waren zu genießen. Nachgewiesen werden muss dafür unter anderem die bisherige Einhaltung aller zoll- und steuerrechtlichen Vorschriften, eine zufriedenstellende Buchführung, aber auch die eigene Zahlungsfähigkeit. Diese Möglichkeit soll mit dem neuen System von „Trust & Check“-Händlern beibehalten und gestärkt werden.

Wer seine Lieferketten vollkommen transparent darlegt und sich stets an alle Regularien hält, kann eine Einstufung als vertrauenswürdiger Händler („Trust und Check“-Händler) erlangen. Ihnen ist es dann gestattet, Waren teilweise ohne aktive Mitwirkung der Zollbehörden in die EU einzuführen. Sind die „Trust and Check“-Händler in einem EU-Mitgliedstaat ansässig, können sie außerdem alle ihre Einfuhren bei der Zollbehörde dieses Mitgliedstaates abfertigen, unabhängig davon, wo die Waren in der EU eintreffen. Im Jahr 2035 soll geprüft werden, ob diese Möglichkeit zum verpflichtenden Start der Plattform ab 2038 grundsätzlich allen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden kann.

Online-Plattformen tragen Verantwortung im elektronischen Handel

Im momentanen Zollsystem liegt die Verantwortung für die Entrichtung des Zolls bei den Händlern – und im Zweifel sogar bei den einzelnen Verbrauchern. Nicht selten werden Letztere bei außereuropäischen Lieferungen mit versteckten Kosten überrascht, die möglicherweise im Vorhinein nicht korrekt angegeben wurden, oder müssen sich um unerwartete Formalitäten kümmern.

Zum Schutz der Verbraucher und auch zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sieht die Reform im Rahmen des elektronischen Handels eine Verlagerung der Verantwortung auf Online-Plattformen vor. Diese sollen in Zukunft als offizielle Einführer für die Zahlung der Zölle und Mehrwertsteuern zuständig sein. Dadurch wird sichergestellt, dass die entsprechenden Gebühren bereits beim Kauf eingepreist werden.

Um den Plattformen, aber auch den Zollbehörden, die Zollberechnung zu erleichtern, werden die bisher unzähligen Zollkategorien auf vier reduziert. Zu beachten gilt jedoch auch eine der wichtigsten Änderungen: Die Freigrenze für Waren mit geringem Wert, die bisher bei 150 Euro lag, wird gänzlich abgeschafft. Erfahrungswerte zeigen, dass sie ein zu hohes Missbrauchspotenzial durch Betrüger birgt, die einen zu geringen Warenwert angeben, um Einfuhrabgaben zu vermeiden. Jedoch wird dies zeitgleich dazu führen, dass es zu einem erheblichen Mehraufwand auch für die redlichen Importeure kommen wird. Dies hat bereits die Abschaffung der sog. 22-Euro-Grenze bei der Einfuhrumsatzsteuer gezeigt.

Bei dem bisherigen Entwurf handelt es sich um Vorschläge der EU-Kommission, die nun dem EU-Parlament und dem Rat der EU zugeleitet werden müssen.