Secondment in London

Unsere Frankfurter Kollegin Ruth Junius-Morawe hat im Rahmen eines Secondments drei Monate bei Charles Russell Speechlys (CRS) in London gearbeitet und gemeinsam mit ihrer Familie für eine Weile in England gelebt. Im Interview gibt sie Einblicke in den Arbeitsalltag in einer britischen Kanzlei und berichtet von Anknüpfungspunkten für die länderübergreifende Zusammenarbeit.

Flick Gocke Schaumburg: Frau Junius-Morawe, Sie waren von Februar bis Mai Teil des “Tax Trust and Succession Teams” von CRS in London. Welche Unterschiede zu deutschen Kanzleien haben Sie in dieser Zeit festgestellt? 

Ruth Junius-Morawe: Zunächst einmal beginnen die Londoner etwas später mit der Arbeit, was ich persönlich sehr angenehm finde. Und natürlich sprechen sich alle mit Vornamen an. Während in Deutschland die Büros relativ groß sind und oft jeder Mitarbeiter ein eigenes Büro hat, ist das in London ein unvorstellbarer Luxus. Aber natürlich hat ein geteiltes Büro auch viele Vorteile, vor allem wenn man neu im Team ist und durch den Austausch mit den Kollegen in kurzer Zeit viel lernen kann. Auch mein Arbeitsweg hat sich erheblich von dem in Frankfurt unterschieden – London scheint einfach immer voller Menschen zu sein, die irgendwo hin wollen. Das ist eine beeindruckende und gleichzeitig nervenaufreibende Erfahrung.  

"Besonders beeindruckt hat mich die Verbindung von hoher fachlicher Professionalität mit einem ungezwungenen persönlichen Umgang."

Dr. Ruth Junius-Morawe

Was waren Ihre Aufgaben im Londoner CRS-Büro? Wie sah Ihr typischer Arbeitstag aus? 

Ich habe zunächst meine Kinder in der Kita abgegeben (die Betreuung ist in London extrem teuer, war aber in unserem Fall auch sehr gut). Anschließend bin ich über sehr belebte Radwege zur Arbeit gefahren – ein aufregendes Unterfangen. Die meisten Kollegen sind gegen halb zehn im Büro angekommen und mit einem Kaffee oder Tee in den Tag gestartet. Meine Arbeit war inhaltlich sehr vielfältig: Neben rein britischen Mandaten habe ich eine große Zahl britisch-deutscher Fälle bearbeitet, bei denen ich den deutschen Part übernommen und mich entsprechend mit CRS-Kollegen und auch einigen FGS-Kollegen abgestimmt habe. Die eigentliche Arbeit hat sich aber wenig von der in Frankfurt unterschieden und bestand hauptsächlich aus E-Mails, Telefonaten, dem Erstellen und Überarbeiten von Dokumenten, Teamsitzungen usw. Was bei CRS jedoch eine größere Rolle spielt, sind interne Schulungen für die jüngeren Kollegen und sehr professionelle, breit angelegte Compliance- und IT-Schulungen für alle Berufsträger. Mein Bürotag endete damit, dass ich die Kinder wieder aus der Kitaabgeholt habe. Die restliche Arbeit musste dann nach dem Zubettgehen der Kinder von zu Hause erledigt werden – selbst in London ist das Leben als berufstätige Mutter also zuweilen etwas anstrengend.

Was können wir uns in Deutschland von britischen Kanzleien abschauen? 

Was mir sehr gut gefällt, ist die offene Kommunikation über Unternehmenskennzahlen, abrechenbare Stunden, Recruiting und Akquisition. Mein Eindruck ist, dass man hier schon als Associate viel über die unternehmerische Seite unseres Geschäfts lernen kann. Auch das Networking wird intensiver und professioneller betrieben und nachgehalten, nicht nur mit Mandanten und anderen Beratern, sondern zum Beispiel auch gezielt mit Alumni. Was das Thema Diversity angeht, ist man hier ebenfalls viel weiter. Ich finde London sehr vorbildlich und horizonterweiternd, gerade in dieser Hinsicht. Mit ethnischer, kultureller und persönlicher Vielfalt wird sehr offen und selbstverständlich umgegangen. Das zeigt sich etwas bei kanzleiweiten Grüßen zu verschiedenen religiösen Feiertagen oder dem Bewusstsein für Themen wie Elternzeit oder andere nebenberuflichen Verpflichtungen. 

Haben Sie Unterschiede in der Beratung von Private Clients zwischen Deutschland und England feststellen können? 

Ich habe in meinen drei Monaten bei CRS natürlich keinen vollständigen Überblick gewonnen, mein Eindruck ist aber, dass die Mandate in beiden Ländern sehr breit gefächert sind. Bei CRS scheinen sich die Partner aber sehr stark auf gewisse Marktbereiche spezialisiert zu haben – sei es geografisch (z.B. Inland, Übersee, mittlerer oder ferner Osten) oder inhaltlich (z.B. Nachfolgeplanung, Immobilien, Steuern).

After-Work-Kultur

Die Terrasse im 5. Stock des Büros von Charles Russell Speechlys wurde gerne für den Wochenausklang bei einem Feierabendgetränk genutzt.

In welchen Bereichen können wir starker zusammenarbeiten? Wo bestehen Anknüpfungspunkte? 

Nach einigen Gesprächen und internen Präsentationen haben sich eine ganze Reihe von Themen herauskristallisiert, die CRS und FGS nun gemeinsam bearbeiten. Ausgangspunkt ist häufig die internationale Mobilität unserer Private Clients. Doppelte Staatsbürgerschaften, grenzüberschreitende Eheschließungen, Vermögen in verschiedenen Ländern, berufliche und private Auslandsaufenthalte oder Umzüge – all das sind Beratungsfelder. Darüber hinaus spielt natürlich auch die gezielte Nutzung der Vorteile, die die andere Jurisdiktion bietet, eine Rolle (steuerlich bedeutsam ist zum Beispiel die UK Remittance Base).

Können Sie uns Beispiele für grenzüberschreitende Fälle nennen, an denen Sie mitgearbeitet haben?

Das Spektrum ist sehr breit und abwechslungsreich. Es ging beispielsweise um komplizierte Erbschaftsfälle mit Vermögen in Deutschland, Nachfolgeplanungen, bei denen ein separates Testament für deutsche Vermögenswerte erstellt wurde, deutsch-britische Eheverträge oder auch Anträge auf einen deutschen Reisepass, der lange Zeit nicht genutzt wurde, nun zum Reisen innerhalb der EU aber wieder benötigt wird. An all diesen Themen habe ich mit verschiedenen tollen Kollegen bei CRS gearbeitet.

Ihr Secondment ist vor einigen Tagen zu Ende gegangen. Was werden Sie in Deutschland vermissen?

Mich hat in London besonders die Verbindung von hoher fachlicher Professionalität mit einem ungezwungenen persönlichen Umgang beeindruckt. Beispielhaft dafür ist die tolle Kantine bei CRS. Sie wird täglich von Mitarbeitern aller Ebenen gemeinsam genutzt und verwandelt sich sogar alle zwei Monate in einen Pub, wo lustige Abende unter Kollegen stattfinden. Auch der unverwechselbare britische Humor und das hohe Maß an Liberalismus werden mir sicher fehlen.