Antitrust Law

OLG Naumburg (ver-)schärft Bedingungen für Inhouse-Vergaben

17.04.2023 | FGS Blog

Der Kreativität Grenzen gesetzt: Oberlandesgericht setzt (neue) Leitplanken für Inhouse-Vergaben. 

Durch das Prinzip der sog. Inhouse-Vergabe (§ 108 GWB) können öffentliche Auftraggeber innerhalb ihrer Strukturen Leistungen „vergaberechtsfrei“ – d.h. ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens –beauftragen.

Das Gesetz gibt ihnen dabei jedoch keinen Freibrief für die Inhouse-Vergabe, denn diese ist nur zulässig, wenn neben dem sog. Kontrollkriterium auch das Wesentlichkeits- sowie das Beteiligungskriterium erfüllt sind.

Mit den Entscheidungen vom 03.06.2022 hat nun erstmals seit der Vergaberechtsreform 2016 ein Oberlandesgericht zu verschiedenen praxisrelevanten Fragen dezidiert Stellung genommen.

Kontrollkriterium als grundlegende Voraussetzung

Grundlegende Voraussetzung für alle Varianten der Inhouse-Vergabe ist, dass ein „Kontrollverhältnis“ besteht. Dieses ist bei der „klassischen“ Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 1 GWB besonders stark ausgeprägt: Ein einziger öffentlicher Auftraggeber kontrolliert den Auftragnehmer wie eine eigene Dienststelle (bspw. als Alleingesellschafter einer GmbH).

Daneben sieht das Gesetz (§ 108 Abs. 4 GWB) vor, dass auch eine gemeinsame Kontrolle mehrerer öffentlicher Auftraggeber ausreichen kann, wenn jeder Einzelne ausreichende Einflussmöglichkeiten besitzt.  

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob auch im Fall einer solchen gemeinsamen Kontrolle auf sog. inverse bzw. horizontale Inhouse-Vergabe (geregelt in § 108 Abs. 3 GWB) zurückgegriffen werden kann. Das betrifft beispielsweise die Frage, ob eine direkte Beauftragung zwischen gemeinsam kontrollierten Tochtergesellschaften (“Geschwistern“) zulässig ist oder – darüber hinausgehend – gar zwischen „Halbgeschwistern“ Leistungsbeziehungen vergaberechtsfrei begründet werden können.

Letzteres war Gegenstand des ersten Streitfalls: Ein Betriebsführungsvertrag wurde zwischen einer gemeinsam kontrollierten Person (einem Zweckverband mit fünf Mitgliedskommunen) und einer städtischen Gesellschaft geschlossen, an der ausschließlich einer der „gemeinsam Kontrollierenden“ (mithin nur eine der Mitgliedskommunen) beteiligt ist.

Das OLG Naumburg (7 Verg 1/22) ordnete diese direkte Beauftragung als unzulässig ein. Die Anwendung der horizontalen Inhouse-Vergabe (nach § 108 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 GWB) scheiterte bereits daran, dass es sich bei den beiden Vertragspartnern nicht um juristische Personen handelt, die von ein und derselben Person kontrolliert wurden. Darüber hinaus hatte das OLG Naumburg grundsätzliche Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit einer horizontalen Inhouse-Vergabe in den Fällen „gemeinsamer Kontrolle“.

Das Gericht bezweifelte – anders als die herrschende Meinung in der Kommentarliteratur –, dass die in den Absätzen 4 und 3 enthaltenen Rechtsfiguren (Inhouse-Vergabe bei gemeinsamer Kontrolle und horizontale Inhouse-Vergabe) über den Normwortlaut hinaus miteinander kombiniert werden dürfen. Damit nimmt das Gericht eine restriktive Haltung ein. Die Vergabekammer Rheinland stand in der Vergangenheit einer solchen Vorgehensweise hingegen tendenziell offen gegenüber, solange die Beauftragung – wenn auch „über mehrere Ecken“ – innerhalb der Verbandsstruktur bleibt (siehe Vergabekammer Rheinland, Beschluss vom 20. Februar 2019 – VK - 52/2018 – L).

Wesentlichkeitskriterium: OLG Naumburg legt einen wettbewerbsorientierten Ansatz zu Grunde

In der zweiten Entscheidung musste das OLG Naumburg – in dieser Angelegenheit allerdings als Kartellsenat (Az.: 7 U 6/22 Kart) – über die Wirksamkeit einer Trinkwasserkonzession befinden. Die Klage hatte der ehemalige Konzessionsnehmer mit dem Ziel der Nichtigkeitsfeststellung angestrengt.

Da die Trinkwasserkonzession direkt und nicht auf Grundlage eines transparenten und wettbewerblichen Verfahrens eingeräumt worden war, musste in dem Rechtsstreit geklärt werden, ob die Voraussetzungen für eine Inhouse-Vergabe erfüllt waren.

Das Kartellvergaberecht gilt nicht für den Abschluss von Trinkwasserkonzessionen. Maßstab war hier daher nicht § 108 GWB, sondern die EuGH-Rechtsprechung zu Inhouse-Vergaben. Entscheidungserheblich war die Frage, ob der Konzessionsnehmer überwiegend, d.h. zu mehr als 80 Prozent, für den Konzessionsgeber tätig ist. Hier ist bei Inhouse-Konstellationen danach zu fragen, in welchem Umfang der Auftrag-/Konzessionsnehmer für den Auftrag-/Konzessionsgeber einerseits („inhouse-freundlich“) und andererseits für Dritte („inhouse-schädlich“) tätig ist. Auftrag-/Konzessionsgeber, die inhouse vergeben wollen, ordnen solche Umsätze häufig großzügig als im Betrauungsverhältnis erzielt (= „inhouse-freundlich“) ein.

Das Gericht legt dagegen einen restriktiven Ansatz zugrunde und grenzt in der Sache danach ab, ob die jeweils zu bewertenden Umsätze in einem wettbewerblichen Umfeld oder aber ohne (nennenswerte) Konkurrenz erzielt werden. Mit diesem wettbewerbsorientierten Ausgangspunkt lehnt das OLG Naumburg – zumindest implizit – diejenigen Ansätze ab, die auf den Gesichtspunkt der (zweckmäßigen) Kapazitätsauslastung bzw. die Art der Aufgabenzuschreibung abstellen.

Im vorliegenden Fall hat das Gericht mit Blick auf die Umsätze aus dem Schwimmbadbetrieb danach differenziert, ob diese im unmittelbaren gemeindlichen Umfeld erzielt werden (bspw. durch Bereitstellung des Bades für örtliche Vereine) oder ob in Konkurrenz zu anderen überörtlichen Einrichtungen getreten wird. Dies engt die Spielräume für eine „inhouse-freundliche“ Zuordnung zwecks Wahrung der 80-Prozent-Anforderung ein.

Ausblick

Angesichts der Entscheidungen des OLG Naumburg dürften viele Inhouse-Konstellationen nunmehr einer neuen Bewertung und Risikoabschätzung zu unterziehen sein. Zum einen sind Leistungsbeziehungen innerhalb von (Zweck-)Verbandsstrukturen womöglich kritisch zu hinterfragen. Zum anderen müssen beim Wesentlichkeitskriterium die Umsätze auf ihre „Inhouse-Freundlichkeit“ abgeklopft und hier ggf. noch stärker innerhalb der einzelnen Unternehmenssparten differenziert werden.