Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat am 14. Februar 2023 das lang erwartete Anwendungsschreiben zur Auslegung des § 4 Nr. 18 UStG veröffentlicht. Diese für Sozialunternehmen zentrale Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift hatte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2020 neu gefasst; die Gesetzesänderung gilt für sämtliche nach dem 31. Dezember 2019 ausgeführten Umsätze. Mit dem BMF-Schreiben werden die einschlägigen Richtlinien der Finanzverwaltung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) geändert.
Hintergrund
Die bis Ende 2019 geltende Fassung des § 4 Nr. 18 UStG war aus mehreren Gründen unionsrechtswidrig. Unter anderem aus dem Grund, weil sie nur Wohlfahrtsorganisationen erfasste, die einem der elf amtlich anerkannten Verbände der Freien Wohlfahrtspflege (siehe § 23 UStDV a.F.) angeschlossen waren. Durch die Neuregelung wurde u.a. klar geregelt, dass Heilbehandlungsleistungen, Leistungen der Behindertenhilfe, Leistungen im Rahmen der rechtlichen Betreuung, Leistungen in der Alten- und Jugendhilfe sowie die Beförderung kranker und verletzter Personen nur dann umsatzsteuerfrei sind, wenn sie die speziell dafür vorgesehene Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift erfüllen (§ 4 Nr. 18 Satz 3 UStG). Die frühere Gesetzesregelung war auch insoweit unionsrechtswidrig, als der deutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen der Steuerbefreiung abweichend von den Vorgaben der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) festgelegt hatte.
Systematische Gewinnerzielung – die Verwendung ist entscheidend
Das BMF-Schreiben vom 14. Februar 2023 enthält wenig Überraschendes und gibt den Inhalt der gesetzlichen Vorgabe einschließlich der Gesetzesbegründung wieder. Die Umsatzsteuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen können sämtliche juristische Personen des öffentlichen Rechts beanspruchen, ebenso sämtliche Einrichtungen in privater Trägerschaft, gleich welcher Rechtsform, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben. Die Finanzverwaltung stellt im BMF-Schreiben zutreffend heraus, dass dies auch für Einrichtungen gilt, die zwar systematisch die Erzielung von Überschüssen anstreben, diese jedoch nicht als Gewinn an ihre Mitglieder oder Gesellschafter ausschütten, sondern für die „Durchführung ihrer Leistungen“ verwenden.
Aus diesem Grund sind auch Leistungen aller gemeinnützigen Sozialunternehmen umsatzsteuerbefreit, die typischerweise zur Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Existenz sowie zur Erhaltung, Verbesserung und Ausweitung ihres Leistungsangebots Gewinne erwirtschaften müssen, aber nicht ausschütten dürfen. Ebenso erfasst sind Sozialunternehmen, die nicht gemeinnützig sind, aber nicht ausschütten dürfen – im Gegensatz zu Personen, die wie etwa selbständige Altenpfleger im Wettbewerb mit diesen stehen und mit ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen.
Vertragsbeziehungen unerheblich, maßgeblich der soziale Kontext der Leistung
Bezugnehmend auf die BFH-Rechtsprechung wird im BMF-Schreiben vom 14. Februar 2023 herausgestellt, dass die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG auch dann greift, wenn das leistende Sozialunternehmen in keinem Vertragsverhältnis zu einer hilfebedürftigen Person steht. Maßgeblich für die Gewährung der Umsatzsteuerbefreiung ist allein, dass der zu beurteilende Umsatz im Bereich der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit unerlässlich ist. Diese Voraussetzung ist etwa dann erfüllt, wenn die zu beurteilende Leistung bezweckt, eine wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit der begünstigten Person zu überwinden.
Prüfung unter Beachtung des Unionsrechts
Sozialunternehmen sollten, sofern noch nicht geschehen, prüfen, ob sich für einzelne Umsätze im Lichte des BMF-Schreibens vom 14. Februar 2023, womöglich abweichend von der bisherigen Praxis, eine Umsatzsteuerpflicht ergeben könnte. Das Schreiben gibt, zu einem großen Teil der Gesetzesbegründung entnommen, viele Beispiele für Grenzfälle, anhand derer die Abgrenzungslinie gezogen werden kann. Dabei rekurriert die Finanzverwaltung auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH), von denen einige jüngere demnächst im Bundessteuerblatt veröffentlicht werden sollen und damit für sämtliche deutschen Finanzbehörden verbindlich anzuwenden sein werden.
Bei der Prüfung sollte stets bedacht werden, dass der BFH über konkrete Einzelfälle zu entscheiden hat und keine abstrakten Rechtsgutachten verfasst. Im Einzelfall können sich für bestimmte Fallgruppen möglicherweise Abweichungen ergeben, insbesondere im Lichte des Unionsrechts (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL). Beispielsweise sehen wir gute Argumente dafür, dass Leistungen im Rahmen eines Menüservice im Einzelfall durchaus umsatzsteuerfrei sein können, womöglich unter Berufung auf das Unionsrecht und hierzu ergangene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (vgl. BFH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – XI R 46/08).