Der Bundesfinanzhof (BFH) hat seine bisherige Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Rechnungsanschrift aufgegeben (Urteile vom 21.06.2018, Az. V R 25/15 und V R 28/16). Er folgt damit der Rechtsprechung des EuGH in den deutschen Vorlageverfahren Geissel und Butin (Urteile vom 15.11.2017 C-374/16 und C-375/16, EU:C:2017:867). Damit kann ein Vorsteuerabzug nicht mehr mit der Begründung versagt werden, dass eine Rechnung nicht den Ort der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit des leistenden Unternehmers aufführe. Vielmehr genügt die Angabe einer Rechnungsanschrift, unter der der Unternehmer postalisch erreichbar ist.
Bisherige Anforderungen an die Rechnungsanschrift
Das deutsche Umsatzsteuergesetz knüpft den Vorsteuerabzug an das Vorliegen einer (ordnungsgemäßen) Rechnung. Diese muss als Pflichtangabe u.a. die vollständige Adresse des leistenden Unternehmers beinhalten (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i. V. m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH musste die angegebene Rechnungsanschrift dem Ort der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit entsprechen. Eine Adresse, an der beispielsweise lediglich ein Briefkasten vorhanden war, genügte den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung nach Auffassung des BFH nicht.
Gerade in Fällen, in denen der Leistende die Umsatzsteuer nicht abführte, wurde über diesen Weg ein Vorsteuerabzug versagt, auch wenn die materiellen Voraussetzungen (insbesondere der Erhalt der Leistung) erfüllt waren und der Empfänger gutgläubig war.
Die aktuellen Entscheidungen des BFH zur Rechnungsanschrift
Im ersten Fall (V R 25/15) erwarb ein Unternehmer Fahrzeuge von einem inländischen Autohändler, der unter der angegebenen inländischen (Rechnungs-)Anschrift kein Autohaus unterhielt, sondern lediglich über einen kleinen Büroraum verfügte. Unter dieser Anschrift war er jedoch postalisch erreichbar. Auch wurde das Autohaus unter dieser Adresse beim zuständigen Finanzamt geführt.
Im zweiten Fall (V R 28/16) kaufte der Kläger Stahlschrott von einer inländischen GmbH. Der Schrott wurde per LKW mit ungarischen Kennzeichen angeliefert. Weder hatten die Parteien schriftliche Verträge geschlossen, noch gab es persönlichen Kontakt zwischen den Verantwortlichen der beiden Gesellschaften. Die Steuerfahndung stellte fest, dass sich unter der angegebenen Rechnungsanschrift lediglich die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei befanden, bei der die Korrespondenz der Lieferanten zusammenlief. Diese Anschrift entsprach zugleich dem statuarischen Sitz der GmbH.
In beiden Fallkonstellationen versagte die zuständige Finanzbehörde einen Vorsteuerabzug, da die Rechnungsanschrift nicht dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen entsprochen habe und somit keine ordnungsgemäße Rechnung vorläge.
Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit als Rechnungsanschrift nicht maßgebend
Nach Auffassung des V. Senats ist es für Zwecke des Vorsteuerabzugs ausreichend, dass der Leistende anhand der angegebenen Rechnungsanschrift identifiziert werden kann. Hiervon ist auszugehen, wenn er unter der angegeben Adresse postalisch erreichbar ist. In der Argumentation des den Entscheidungen des BFH zugrunde liegenden EuGH-Urteils, ist nach Auslegung des einschlägigen Art. 226 MwStSystRL entscheidend, dass eine Verbindung zwischen Transaktion und leistendem Wirtschaftsteilnehmer hergestellt werden kann, d. h. dieser identifizierbar ist. Nach dieser Rechtsprechung stellt grundsätzlich bereits die Angabe der Steuernummer oder UStIdNr. eine hinreichende Identifizierung des Leistenden dar. Für Zwecke der Umsatzsteuererhebung durch die Finanzbehörden kann es nämlich nur darauf ankommen, den Leistenden eindeutig zu identifizieren, um korrespondierend feststellen zu können, ob dieser seinen steuerlichen Pflichten auch nachgekommen ist.
Unverändert ist die Rechtsprechung des BFH hinsichtlich des Wissens bzw. Wissenmüssens einer Steuerhinterziehung in der vorgeschalteten Lieferkette. Sofern dem Steuerpflichtigen eine etwaige Steuerhinterziehung bekannt sein sollte, kommt es auf die Rechnungsanschrift für Zwecke des Vorsteuerabzuges nicht mehr an. Vielmehr ist dieser dann grundsätzlich zu versagen. Jedoch kann aus der Angabe einer Adresse, unter der keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird, kein Schluss über die Kenntnisse einer Einbeziehung in eine Hinterziehung gezogen werden. Insofern wird auch die Gefahr über diesen Weg (das subjektive Element im objektiven Tatbestand) einen Vorsteuerabzug zu verlieren, reduziert.
Folgen für die Praxis
Nicht selten versagen die Finanzbehörden Unternehmern, die den Vorsteuerabzug begehren, diese mit der Begründung, dass der leistende Unternehmer von der angegebenen Adresse aus nicht tatsächlich eine sein Unternehmen betreibt. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Vorlieferant seinen steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen ist, aber feststeht, dass die Leistungen tatsächlich erbracht wurden. Vor dem Hintergrund, dass nach Verwaltungsauffassung eine ungewöhnliche Geschäftsadresse Anlass zu Zweifeln geben soll (vgl. Merkblatt zur Umsatzsteuer – Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbots) oder dass auf Anraten des Finanzamtes beispielsweise mittels Google Maps eine Prüfung geschehen soll, erscheint es äußerst fragwürdig, was dem Steuerpflichtigen alles zuzumuten ist in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten, wo er doch nur Steuereinnehmer für den Staat ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21.02.2008, Netto Supermarkt, C-271/06, EU:C:2008:105).
Die Folgeentscheidungen sind aus Unternehmenssicht sehr zu begrüßen, da diese sich nunmehr darauf verlassen können, dass eine Rechnung den Anforderungen an den Vorsteuerabzug grundsätzlich genügt, sofern der leistende Unternehmer unter der angegeben Adresse postalisch erreichbar ist. Ein – im Zweifel unmögliches – Überprüfen, ob der Leistende von der angegeben Adresse auch tatsächlich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, entfällt somit. Insbesondere in Zeiten, in denen Geschäfte online ohne Lagerhallen oder entsprechende Geschäftsräume von überall aus abgewickelt werden können, ist diese Rechtsprechungsänderung des BFH für Zwecke des Vorsteuerabzugs nur zeitgemäß.
Es ist zu erwarten, dass sich die Argumentation der Verwaltung in entsprechenden Fallkonstellationen künftig noch mehr auf ein vermeintliches Wissens bzw. Wissenmüssen des Leistungsempfängers stützen wird. Wobei die Beweislast insoweit grds. bei der Finanzbehörde liegt (vgl. EuGH, Urteil vom 21.06.2012, Peter David, C-142/11, DStRE 2012, 1336) und auch insoweit aus der Angabe einer Rechnungsadresse, unter der keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, nunmehr keine negativen Schlüsse mehr gezogen werden dürften.