Die Frage, wann ein Grundstück einer Gesellschaft für Zwecke der grunderwerbsteuerlichen Tatbestände gem. §§ 1 Abs. 2a, 2b, 3 und 3a GrEStG „gehört“, ist von entscheidender Bedeutung für die grunderwerbsteuerliche Beurteilung von Anteilsübertragungen. Der BFH hat in dem Verfahren II R 44/18 nun bestätigt, dass seine Rechtsprechung zur Grundstückszurechnung auch auf mehrstöckige Beteiligungen anzuwenden ist.
1. Zur Relevanz der Frage, wann einer Gesellschaft ein Grundstück Grundstücken „gehört“
Die sog. grunderwerbsteuerlichen Ergänzungstatbestände § 1 Abs. 2a, 2b, 3 und 3a GrEStG enthalten alle die gemeinsame Voraussetzung, dass der betreffenden Gesellschaft im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung ein Grundstück „gehören“ muss. Nur dann kann der Gesellschafterwechsel die Steuer auslösen. Die Zurechnungsfrage stellt sich aber insbesondere auch in mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen. Besonders umstritten ist derzeit, ob eine Mehrfachzurechnung und unter Umständen sogar eine Mehrfachbesteuerung infolge desselben Rechtsvorgangs möglich ist. Die Finanzverwaltung hat sich diese Möglichkeit in den neuen Anwendungserlassen zu § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG offengehalten, sodass eine Mehrfachbesteuerung einer Anteilsübertragung auf der Ebene von verschiedenen Gesellschaften droht.
2. Neue BFH-Rechtsprechung (II R 44/18)
Der BFH hat nun in dem Verfahren II R 44/18 entschieden, dass ein Grundstück der Untergesellschaft der Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich nur zuzurechnen sei, wenn die Obergesellschaft selbst es aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG erworben hat. Ein Grundstück "gehöre" nicht (mehr) zum Vermögen der Gesellschaft, wenn es zwar noch in ihrem Eigentum steht, es aber vor dem Übergang der Anteile am Gesellschaftsvermögen Gegenstand eines Veräußerungsvorgangs i.S. des § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG war. Der bloße Erwerb des Grundstücks durch die Untergesellschaft führe nicht zu einer automatischen Zurechnung bei der Obergesellschaft bzw. im Falle mehrstöckiger Beteiligungsketten bei den Obergesellschaften. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe stelle selbst keinen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang dar.
3. Auflösung von Tatbestandskonkurrenzen zwischen § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG
Eine der wichtigsten Folgen der neuen BFH-Entscheidung ist, dass sie der von vielen befürchteten Mehrfachzurechnung von Grundstücken und einer daraus resultierenden Mehrfachbesteuerung von Vorgängen nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG den Boden entziehen dürfte. Für die Praxis bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung sich dieser Würdigung anschließen wird und die BFH-Rechtsprechung ebenso konsequent anwendet. Bis zu einer Bestätigung im Erlasswege empfiehlt es sich, vorsorglich auch die anderen in Betracht kommenden Gesellschaften in die Grunderwerbsteueranzeigen einzubeziehen.
4. Implikationen der Zurechnungsrechtsprechung bei Weiterveräußerungen?
Wie bereits oben dargestellt, ist es nach der BFH-Rechtsprechung möglich, dass dem zivil-rechtlichen Eigentümer ein Grundstück grunderwerbsteuerlich für Zwecke der Ergänzungstat-bestände nicht mehr zuzurechnen ist. Fraglich ist die Reichweite dieser Nicht-Zurechnung in Fällen, in denen die Anteile an einer Gesellschaft übertragen werden, deren Grundstücke grunderwerbsteuerlich nicht ihr, sondern ihrem Anteilseigner „gehören“. Für die Lösung dieser Fälle wird unter anderem zu beantworten sein, ob, wann und durch welche Ereignisse die Zurechnung wieder auf den Grundstückseigentümer zurückfällt (z.B. durch Wegfall der Zurechnungsvoraussetzungen durch Unterschreitung der 90 %-Schwelle oder durch Verwirklichung eines weiteren Erwerbsvorgangs i.S.d. § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG).
5. Zusammenspiel der Rechtsprechung mit der Signing/Closing-Auffassung der Finanzverwaltung?
Bei Einführung des § 1 Abs. 2b GrEStG kam die Diskussion auf, wie mit dem Umstand umzugehen ist, dass bei Abschluss eines Anteilskaufvertrags (Signing) über mind. 90 % der Anteile einer Grundstücksgesellschaft die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllt werden, während der § 1 Abs. 2b GrEStG erst beim Übergang der Anteile (Closing) verwirklicht wird. Die Finanzverwaltung vertritt hierzu in den neuen Anwendungserlassen zu § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG, dass sie Signing und Closing als zwei grunderwerbsteuerrechtliche Vorgänge ansieht.
Fraglich ist, zu welchen Besteuerungsfolgen diese Auffassung unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsgrundsätze des BFH zur Zurechnung von Grundbesitz führt. Denn wenn der Standpunkt eingenommen wird, dass beim schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft der § 1 Abs. 3 GrEStG einschlägig ist, dürfte die Tatbestandsverwirklichung jedenfalls bei strikter Anwendung Rechtsprechungsgrundsätze des BFH dazu führen, dass der betroffene Grundbesitz ab diesem Zeitpunkt (nur) dem Erwerber der Anteile „gehört“. Der spätere dingliche Übergang der Anteile würde in diesem Fall keinen § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG mehr auslösen. Ob dieses Ergebnis jedoch vom Gesetzgeber gewollt war, erscheint zweifelhaft. Das hier aufgezeigte Problem verdeutlicht, dass die Signing/Closing-Auffassung der Finanzverwaltung sich nicht schlüssig in das Besteuerungssystem fügt und möglicherweise nicht aufrechtzuerhalten sein wird.
6. Folgen für Beteiligungskettenverkürzungen und -verlängerungen?
Die neue Rechtsprechung zur Grundstückszuordnung für Zwecke der grunderwerbsteuerlichen Ergänzungstatbestände dürfte keine Auswirkungen auf die Beurteilung von Beteiligungskettenverkürzungen haben. Für die Verlängerung von Beteiligungsketten, die nach bisherigen Grundsätzen durchgängig (und oft wirtschaftlich fragwürdig) als steuerbar behandelt wurde, stellt sich die Frage, ob die neuen Zurechnungsgrundsätze zu sachgerechteren Ergebnissen führen könnten. Es bleibt auch hier abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Zurechnung in einer Sequenz mehrerer Anteilsübertragung beurteilt und wann unter welchen Umständen ein „Rückfall“ des Grundstücks auf den zivilrechtlichen Eigentümer erfolgt.
Einen ausführlichen Beitrag zum Thema lesen Sie im kommenden Heft 39/2022 der DStR