Das BMF-Schreiben vom 27.02.2024 setzt neue Maßstäbe für die Anwendung des § 14c Umsatzsteuergesetz (UStG) zum unrichtigen Steuerausweis. Basierend auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 08.12.2022 (C 378/21) entsteht keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG, wenn ein Unternehmer eine Leistung tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem unrichtigen Steuerausweis an einen Endverbraucher gestellt hat.
Bisherige restriktive Sichtweise
Bislang ging die deutsche Rechtsprechung davon aus, dass das Steueraufkommen durch einen unrichtigen Steuerausweis stets gefährdet werde, also auch dann, wenn z.B. ein Steuerpflichtiger Beratungsleistungen an Endverbraucher erbrachte, so dass durch diesen kein Vorsteuerabzug möglich war. Dem folgte bislang auch die Finanzverwaltung.
Neue EuGH-Rechtsprechung
Zu einem österreichischen Verfahren hat der EuGH jüngst anders geurteilt. Demnach könne es durchaus auf eine fehlende Gefährdung ankommen.
Im Ausgangsverfahren ging es um einen österreichischen Betreiber eines Indoor-Spielplatzes, der Kleinbetrags-Rechnungen mit dem Regelsteuersatz ausstellte, obwohl seine Leistungen dem ermäßigten Steuersatz unterlagen.
Nachdem der Betreiber seinen Fehler erkannt hatte, berichtigte er seine Mehrwertsteuererklärung, um die zu viel bezahlte Steuer zurückzuerhalten.
Der EuGH hat entschieden, dass ein Steuerpflichtiger den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht nach Art. 203 MwStSystRL schuldet, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Der EuGH betonte dabei, dass dies jedoch nur gelte, wenn es sicher sei, dass nur Endverbraucher Leistungsempfänger sind.
In der Folgeentscheidung ergänzte das österreichische Bundesfinanzgericht, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Kunden des Indoor-Spielplatzes einen Vorsteuerabzug geltend machten und schätzte diesen Anteil auf 0,5 %. Für diesen Anteil lag demnach weiterhin eine Gefährdung des Steueraufkommens vor.
Angepasste Auffassung des BMF
Die Regelungen in § 14c UStG basieren unionsrechtlich auf Art. 203 MwStSystRL. Dieser unterscheidet, anders als die Regelungen in § 14c UStG, nicht zwischen verschiedenen Fallkonstellationen, sondern bestimmt, dass die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.
Das BMF-Schreiben bringt wichtige Klarstellungen. Es bestätigt, dass bei Rechnungen mit unrichtigem Steuerausweis an Endverbraucher keine Umsatzsteuerschuld entsteht. Unter Endverbraucher fallen Nichtunternehmer und Unternehmer, die eine Leistung für ihren privaten beziehungsweise nichtwirtschaftlichen Bereich beziehen.
Fehlt die Bestimmung des Rechnungsempfängers als Unternehmer oder Endverbraucher, finden die Grundsätze jedoch keine Anwendung. Schätzungen oder Wahrscheinlichkeitsberechnungen bezüglich des Anteils der betroffenen Umsätze oder Rechnungen sind nach Auffassung des BMF unzulässig.
Das BMF stellt klar, dass die Finanzbehörde den Nachweis erbringen muss, dass ein falscher Steuerausweis vorliegt. Andererseits liegt es am Unternehmer, glaubhaft zu machen, dass die betreffende Rechnung nur an Endverbraucher ausgestellt wurde.
Auswirkungen auf die Praxis
Unternehmen, die von der restriktiven Auffassung der Finanzverwaltung betroffen waren, sollten prüfen, ob relevante Umsatzsteuerveranlagungen bereits bestandskräftig sind, denn das BMF-Schreiben bringt hier einen Hoffnungsschimmer.
Es dürfte zu befürchten sein, dass die Finanzverwaltung unter Berufung auf hypothetische Fälle (z.B. im Fall des Indoor-Spielplatz-Betreibers ein Elternteil, das sich als Profifotograf betätigt oder ein spielender Jungunternehmer) oftmals von einer Gefährdung aufgrund eines „Mischfalls“ ausgehen könnte. Die bei einer Einzelbetrachtung der Rechnungen an sich sachgerechte Schätzung wird den Finanzbeamten bedauerlicherweise untersagt.
Auch wenn die Änderungen gewisse Verbesserungen mit sich bringen, bleibt es dabei, dass Unternehmer im Zweifel keinen unrechtmäßigen Steuerausweis vornehmen sollten. Hierfür gibt es viele bewährte Ansatzpunkte.
Ausblick: Erneute EuGH-Vorlageverfahren
Das Thema gewinnt erneut an Dynamik, denn der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) richtete im selben Fall neue Vorlagefragen an den EuGH und auch der BFH hat das Thema jüngst an den EuGH herangetragen.