Real Estate | Corporate and Group Tax Law

Grunderwerbsteuerliche Zurechnung von Grundstücken – Doppelzurechnung und Doppelbesteuerung nach den neuen Anwendungserlassen?

10.11.2023 | FGS Blog

Grundstückszurechnung erstmals durch eigenen Erlass geregelt

Mit gleich lautenden Ländererlassen vom 16.10.2023 hat die Finanzverwaltung zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung von Grundstücken in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen Stellung genommen. Diese Erlasse haben keinen direkten Vorgänger, denn bislang wurde die Zurechnungsfrage nur in den tatbestandsspezifischen Erlassen jeweils am Rande behandelt.

Mit dem sog. Zurechnungserlass wurde zum einen die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) umgesetzt. Zum anderen hatten Steuerpflichtige sich erhofft, dass verbleibende offene Fragen und insbesondere das Risiko einer Mehrfachbesteuerung desselben Vorgangs auf unterschiedlichen Beteiligungsebenen ausgeräumt wird. Diese Hoffnung hat sich jedoch nicht erfüllt, denn die Finanzverwaltung scheint nicht nur von einer Mehrfachzurechnung desselben Grundstücks, sondern zumindest implizit auch von einer möglichen Mehrfachbesteuerung auszugehen. Da die Zurechnungsfrage in den neuen Erlassen zudem mit der ebenfalls umstrittenen „Signing-Closing-Theorie“ verknüpft wird, könnte die Doppelzurechnung zum neuen Regelfall werden.

Doppelzurechnung und Verknüpfung mit „Signing/Closing-Theorie“

Die neuen Anwendungserlasse zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung für Zwecke der Ergänzungstatbestände halten zahlreiche Überraschungen bereit und erhöhen die bereits bestehende Komplexität des Grunderwerbsteuerrechts nochmals erheblich:

1. Abweichend von der BFH-Rechtsprechung vertritt die Finanzverwaltung eine „weitere Zurechnung zu einer anderen Gesellschaft“, die aus Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG resultieren kann und gleichzeitig zur fortbestehenden Zurechnung aufgrund von Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 1 oder 2 GrEStG bestehen soll. Wenn also eine Obergesellschaft sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden Untergesellschaft erwirbt, ist der Grundbesitz aus Sicht der Finanzverwaltung sowohl der Obergesellschaft als auch der Untergesellschaft zeitgleich zuzurechnen.

 

2. Darüber hinaus verknüpfen die neuen Erlasse die Zurechnungsfrage mit der ebenfalls sehr umstrittenen „Signing/Closing-Theorie“ (siehe FGS Blog vom 12.01.2023) und folgern, dass es bei Anteilsveräußerungen, deren Verpflichtungsgeschäft und dingliche Erfüllung zeitlich auseinanderfallen, zur Doppelzurechnung kommt (Zurechnung bei Obergesellschaft durch Verwirklichung des § 1 Abs. 3 GrEStG, fortbestehende Zurechnung bei der grundbesitzenden Untergesellschaft). Diese Doppelzurechnung soll durch die Aufhebung der bei Signing ausgelösten Steuer nach § 16 Abs. 4a GrEStG nicht wegfallen, sondern dauerhaft fortbestehen.

 

3. Wie sich aus den Fallbeispielen im Erlass ergibt, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass infolge einer Doppelzurechnung bei Ober- und Untergesellschaft auch die Auslösung von Grunderwerbsteuer auf beiden Ebenen möglich ist, wenn die Anteile an der Obergesellschaft übertragen werden. Ausführungen dazu, ob und wie die Zurechnungs- und Tatbestandskonkurrenz ggf. aufgelöst und dadurch eine doppelte Besteuerung vermieden werden kann, machen die Erlasse nicht.

Bewertung und Praxisfolgen

Eine Doppelbesteuerung desselben Grundstücks und Anteilgeschäfts auf mehreren Beteiligungsebenen ist von der BFH-Rechtsprechung zur Zurechnung erkennbar nicht gedeckt und wäre auch im Rahmen einer systematischen und verfassungskonformen Auslegung der Ergänzungstatbestände kein zulässiges Ergebnis.

Steuerpflichtige müssen bei der grunderwerbsteuerlichen Planung und Compliance nun noch vorsichtiger handeln als bisher. Denn es erscheint sehr realistisch, dass der BFH sowohl die „Signing/Closing-Theorie“ als auch die Verwaltungsauffassung zur Zurechnung verwerfen wird. In diesem Fall könnte sich in Zukunft erweisen, dass Grundstücke anderen Rechtsträgern zuzurechnen sind, als es nach jetziger Verwaltungsauffassung anzunehmen ist. Entsprechend anders wären die Anzeigepflichten rückblickend zu beurteilen. Es werden daher auch künftig – wie bereits in der bisherigen Praxis – vorsorgliche Mehrfachanzeigen auf diversen Ebenen erforderlich sein.