Mit einer aktuellen Entscheidung rüttelt der EuGH an den in Deutschland langjährig praktizierten Grundsätzen der Umsatzbesteuerung sog. Firmen- oder Dienstwagen. Dabei ergeben sich erhebliche Auswirkungen und Gestaltungsspielräume für Dienstwagengestellungen und die vielfach praktizierte 1 %- Regelung.
Hintergrund
Umsatzsteuerlich wird die Überlassung eines Dienstwagens, der von Mitarbeitern auch privat genutzt werden darf, als umsatzsteuerpflichtige entgeltliche Leistung behandelt (Abschn. 15.23. Abs. 8 ff. UStAE). Die Finanzverwaltung qualifiziert diese Leistung darüber hinaus als Vermietung eines Beförderungsmittels (Abschn. 3a.5 Abs. 4 UStAE), sodass sich der Ort dieser Leistung gemäß § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG nach dem Wohnsitz des Empfängers bestimmt. Als Gegenleistung ordnet die Finanzverwaltung regelmäßig die anteilige Arbeitsleistung des Arbeitsnehmers ein (Abschn. 15.23. Abs. 9 S. 1 UStAE). Voraussetzung ist, dass die Fahrzeugüberlassung im Arbeitsvertrag geregelt ist, auf mündlichen Abreden beruht oder auf sonstige Umstände des Arbeitsverhältnisses zurückzuführen ist. Nach Abschn. 15.23. Abs. 9 S. 3 UStAE soll von der Entgeltlichkeit sogar stets auszugehen sein, wenn das Fahrzeug dem Arbeitnehmer für eine gewisse Dauer und nicht nur gelegentlich zur Privatnutzung überlassen wird.
Es handelt sich nach Lesart der Finanzverwaltung um einen tauschähnlichen Umsatz zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer (Abschn. 15.23 Abs. 10 S. 1 UStAE). Um den schwierigen Fragen im Rahmen der Bestimmung der Bemessungsgrundlage der Leistung des Unternehmers zu entgehen, wird dabei aus Vereinfachungsgründen von Seiten der Finanzverwaltung nicht beanstandet, auf die Bestimmungen des Lohnsteuerrechts zurückzugreifen (vgl. Abschn. 15.23 Abs. 11 S. 1 UStAE). Neben einem Rückgriff auf die Fahrtenbuchregelung erlaubt der UStAE insbesondere eine Besteuerung auf Grundlage der 1 %-Regelung. Dadurch kommt es zu einem für die Besteuerungspraxis hilfreichen Gleichlauf von Umsatzsteuer und Lohnsteuer.
Diese hergebrachten Grundsätze der deutschen Finanzverwaltung bringt der EuGH durch ein jüngst ergangenes Urteil zur Auslegung des Begriffs der „Vermietung von Beförderungsmitteln“ in Art. 56 Abs. 2 MwStSystRL ins Wanken.
Sachverhalt im EuGH-Urteil
Dem am 20. Januar 2021 ergangenen EuGH-Urteil (Az. C-288/19) lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin, eine luxemburgische Gesellschaft, beschäftigte zwei in Deutschland ansässige Arbeitnehmer. Einem dieser Arbeitnehmer überließ die Klägerin einen Firmenwagen, ohne hierfür Abzüge vom Lohn oder sonstige Einbehalte vorzunehmen. Bei dem zweiten Arbeitnehmer nahm die Klägerin demgegenüber einen jährlichen Abzug vom Lohn in Höhe von EUR 5.700 vor. Beide Arbeitnehmer nutzten das ihnen überlassene Kfz sowohl dienstlich als auch privat. Aus der Überlassung der Kfz war die Klägerin in Luxemburg nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Im Jahr 2014 registrierte sich die Klägerin in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke und reichte im Jahr 2015 Umsatzsteuererklärungen für 2013 und 2014 beim FA Saarbrücken ein, in denen sie die Kfz-Überlassungen an die beiden Arbeitnehmer als umsatzsteuerbare sonstige Leistungen im Inland erklärte. Das FA nahm daraufhin eine entsprechende Festsetzung vor, die die Klägerin finanzgerichtlich anfocht.
Die Klägerin trug vor dem FG Saarland vor, dass die unentgeltliche Überlassung des Kfz an einen der Arbeitnehmer keinen steuerbaren Vorgang darstelle, jedenfalls sei keine in Deutschland steuerbare Vermietung eines Beförderungsmittels nach § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG gegeben.
Das FG Saarbrücken entschloss sich, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Konkret sollte der EuGH die Frage beantworten, ob Art. 56 Abs. 2 MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass eine „Vermietung eines Beförderungsmittels an Nichtsteuerpflichtige“ auch in der Überlassung eines Firmenwagens an einen Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen zu sehen ist, wenn der Arbeitnehmer weder eine Zahlung dafür erbringt noch einen Teil seiner Vergütung dafür verwendet und das Recht zur Nutzung des Fahrzeugs nicht mit einem Verzicht auf andere Vorteile verbunden ist.
Entscheidungsgründe
Der EuGH stellt zunächst fest, dass Art. 56 Abs. 2 MwStSystRL nur Anwendung findet, sofern es sich um einen Umsatz handelt, der überhaupt in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Dies sei grundsätzlich nur bei Dienstleistungen gegen Entgelt der Fall, welche vorliegend aber, so der EuGH, nicht ersichtlich sei. Denn der Arbeitnehmer hat für die Überlassung des Kfz aus Sicht des EuGH nichts aufgewendet. Die geleistete Arbeitskraft berücksichtigt der EuGH also – anders als die deutsche Finanzverwaltung – nicht als Entgelt.
Auch die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nach Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL lehnte der Gerichtshof im vorliegenden Fall ab. Zum einen stand der Klägerin in Luxemburg in den Streitjahren kein Vorsteuerabzug zu, zum anderen konnte nicht eindeutig festgestellt werden, dass ein Vorsteuerabzugsrecht in Deutschland bestanden hat. Die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe erfordert in derart gelagerten Fällen jedoch, dass der betreffende Gegenstand zum Vorsteuerabzug berechtigt hat (vgl. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG).
Selbst wenn das nationale Gericht eine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe bejahen sollte, wäre Art. 56 Abs. 2 MwStSystRL nach Ansicht des EuGH dennoch nicht einschlägig. Denn der Begriff der „Vermietung eines Beförderungsmittels“ als autonomer Begriff des Unionsrechts erfordere die Zahlung von Miete in irgendeiner Form. Das Fehlen einer solchen Zahlung könne nicht durch die einkommensteuerrechtliche Qualifizierung der Firmenwagen-Überlassung als geldwerter Vorteil aufgewogen werden. Somit gilt die allgemeine Leistungsortsvorschrift, nach der keine Steuerbarkeit in Deutschland gegeben war.
Nur in der zweiten Sachverhaltskonstellation, in der der Arbeitnehmer einen jährlichen Lohnabzug in Kauf nimmt, ist Art. 56 Abs. 2 MwStSystRL nach Auffassung des EuGH einschlägig.
Folgen für die Praxis
Die Feststellung des EuGH, wonach ein geldwerter Vorteil im einkommensteuerrechtlichen Sinne kein Entgelt im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist, birgt einiges an Sprengkraft. Die Auffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 3a.5 Abs. 4 UStAE und Abschn. 15.23 Abs. 9 ff. UStAE dürfte sich damit erübrigt haben, sodass zeitnah mit einer Anpassung oder gar Streichung der Vorschriften zu rechnen sein dürfte. Aktuell dürfte in vielen Fällen wegen der klaren Finanzverwaltungsauffassung Vertrauensschutz bestehen. Darüber hinaus kann wohl damit gerechnet werden, dass das BMF für eine Übergangsfrist weiterhin die Berufung auf die alte Sichtweise akzeptiert. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sich Unternehmer, die davon profitieren, schon vorher auf die neue Rechtsprechung berufen.
Die Betonung des EuGH, dass im Rahmen der umsatzsteuerrechtlichen Prüfung des Entgelts nicht auf die einkommensteuerrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden kann, führt künftig wohl zum Ansatz unterschiedlicher Maßstäbe in der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer. Denn umsatzsteuerlich werden unentgeltliche Wertabgaben anders bewertet als Leistungen.
Soweit die Unternehmen versuchen, die Entgeltlichkeit über eine Gehaltsumwandlung zu gestalten, ist nach dem Urteil fraglich, ob die 1%-Methode – wie nach Abschn. 15.23 Abs. 11 UStAE bislang möglich – angewendet werden kann. Denn auch hierbei handelt es sich offenkundig um ein der Einkommensteuer entstammendes Vehikel. Aus unionsrechtlicher Sicht wäre es wohl naheliegender, auf das konkret für die Überlassung des Kfz zu privaten Zwecken eingesetzte Gehalt des Arbeitnehmers abzustellen.
Gestaltungsspielräume
Das Urteil eröffnet Spielräume, die Unternehmer für sich nutzbar machen können:
Unternehmer, die – wie im EuGH-Fall – keinen Vorsteuerabzug für den Erwerb des Dienstwagens geltend machen konnten, profitieren von der neuen Sichtweise, wenn sie keine Zahlungen oder Verrechnungen mit dem Arbeitnehmer für die Überlassung des Firmenwagens festlegen. In diesem Fall würde die Umsatzbesteuerung der Firmenwagen-Überlassung vollständig entfallen. Denn eine unentgeltliche Wertabgabe kann in dieser Konstellation nicht vorliegen.
Unternehmer, die den Firmenwagen dem Unternehmen (ganz oder teilweise) zugeordnet haben und zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt waren, haben dagegen im Fall einer unentgeltlichen Überlassung an den Arbeitnehmer eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern. Ungewiss ist nunmehr aber, in welcher Höhe die unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern ist.
Für Unternehmer, die dagegen weiterhin ein konkretes Entgelt von ihrem Arbeitnehmer für die Firmenwagenüberlassung fordern, stellt sich wiederum die Frage, ob alles beim Alten bleibt.
Anhand der geschilderten Konstellationen wird ersichtlich, dass sich bei der konkreten Ausgestaltung der Dienstwagenüberlassung interessante Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, um die Dienstwagenüberlassung im Hinblick auf die neue Rechtslage schon jetzt umsatzsteuerrechtlich zu optimieren. Wie so oft steckt der Teufel hier aber im Detail und bevor mit der Optimierung begonnen werden kann, werden Arbeitgeber, die bereits Fahrzeuge an Arbeitnehmer überlassen erst einmal klären müssen, wie diese bereits gelebten Sachverhalte einzuordnen sind.