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FG Rheinland-Pfalz zur Verfassungswidrigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte

29.01.2024 | FGS Blog

Die seit dem Jahr 2021 geltende Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte im Privatvermögen führt häufig zu unbilligen Ergebnissen. Während Gewinne aus Termingeschäften der Sofortbesteuerung unterliegen, können die entsprechenden Verluste nicht nur ausschließlich mit Gewinnen aus Termingeschäften und Stillhalterprämien verrechnet werden. Vielmehr ist die Verlustverrechnung auch auf 20.000 EUR je Kalenderjahr begrenzt. Für Kapitalanleger kann dies erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Denn die Steuer auf Gewinne aus Termingeschäften kann dadurch den tatsächlich erzielten Nettogewinn eines Kalenderjahres übersteigen und zu (existenzgefährdenden) Liquidationsengpässen führen.

Ein aktueller AdV-Beschluss des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 2023 (1 V 1674/23) lässt aus der Sicht von Kapitalanlegern auf eine positive Rechtsentwicklung hoffen und bietet Argumentationsgrundlagen für von der Verlustverrechnungsbeschränkung betroffene Steuerpflichtige.

Sachverhalt

Der dem Beschluss zugrundeliegende Sachverhalt basiert auf einem abgelehnten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) über einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2021, in dem die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG durch das Finanzamt angewendet wurde. Im Ergebnis führte dies dazu, dass der Steuerpflichtige dem Staat mehr Steuern aus den getätigten Termingeschäften (CFDs) schuldete, als er wirtschaftlich als Gewinn erzielt hatte. Der Steuerpflichtige ging mit einem Einspruch gegen den Bescheid vor und beantragte AdV, um einen Liquiditätsengpass zu vermeiden. Eine AdV ist zu gewähren, wenn u.a. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen.

Der Antrag wurde damit begründet, dass die Beschränkung der Verlustverrechnung rechtswidrig ist, weil sie gegen das verfassungsrechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip verstößt. Nur in Höhe des nach Abzug der laufenden Verluste verbleibenden Nettogewinns sei die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen tatsächlich gesteigert. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung ergäben sich bereits aus dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. November 2020 (VIII R 11/18) hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste. Diese wird derzeit durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (2 BvL 3/21) überprüft. Das Finanzamt folgte dem Antrag nicht.

Entscheidung

Das FG Rheinland-Pfalz schloss sich dem Steuerpflichtigen an und beurteilte den AdV-Antrag als begründet. Ernstliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte ergeben sich nicht nur aus der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips. Die Vorschrift führt auch deshalb zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung, weil die Besteuerung davon abhängig gemacht wird, ob (sachlich und betragsmäßig beschränkt verrechenbare) Verluste aus Termingeschäften oder Verluste aus anderen Kapitalanlagen vorliegen. Denn während Verluste aus Termingeschäften allein mit Gewinnen aus Termingeschäften und Stillhalterprämien verrechenbar sind, können Verluste anderer Kapitalanlagen weitgehend unbeschränkt mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.

Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung besteht nach Ansicht des Senats nicht. Sie lässt sich insbesondere nicht mit dem in der Gesetzesbegründung dargelegten Sinn und Zweck der Verlustverrechnungsbeschränkung rechtfertigen. Demnach soll die gesetzliche Regelung Kleinanleger davor schützen, mit den als spekulativ geltenden Termingeschäften hohe Verlustrisiken einzugehen. Dieser Rechtfertigungsgrund ist schon deshalb nicht geeignet, weil die sachliche Beschränkung den Steuerpflichtigen vielmehr dazu zwingt, Investitionen in Termingeschäfte im Verlustfall zu verstärken, um verrechnungsfähige Gewinne zu erzeugen.

Übereinstimmend mit einem Großteil der Literatur verweist der Senat auf die vom BVerfG zu erwartende Entscheidung über die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Verrechnungsbeschränkung für Verluste aus Aktienveräußerungen. Weil die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte hinsichtlich der Begrenzung der Höhe nach weit über die dem BVerfG vorgelegte Norm hinausgeht, muss im Fall einer Verfassungswidrigkeit der für Aktienveräußerungen geltenden Norm erst recht von der Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ausgegangen werden.

Verfassungsmäßigkeit von Verlustverrechnungsbeschränkungen auch in Bezug auf den Schutz des Existenzminimums bedenklich

Verlustverrechnungsbeschränkungen sind nicht nur im Hinblick auf Einkünfte aus Kapitalvermögen umstritten. Auch die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Verlustabzugs im Rahmen der sonstigen Einkünfte war jüngst Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem FG Köln (5 K 1403/21). Das Gericht konstatiert, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung innerhalb eines Veranlagungszeitraums zumindest nicht dazu führen darf, das Existenzminimum anzugreifen. Ist dies der Fall, ist insoweit einem Antrag auf Erlass der Steuer aus Billigkeitsgründen stattzugeben.

Die Entscheidung wird auf das subjektive Nettoprinzip gestützt, welches sich nach dem FG Köln nicht nur auf die Totalperiode, sondern auf das einzelne Kalenderjahr als steuerlicher Veranlagungszeitraum bezieht. Die Beschränkung des Verlustabzugs ist demnach nur insoweit statthaft, als in dem zu betrachtenden Veranlagungszeitraum nach der Steuerzahlung ein Geldbetrag verbleibt, der benötigt wird, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Argumentation sollte u.E. auch in Bezug auf die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG gelten. O.g. Urteil ist derzeit in der Revisionsinstanz beim BFH anhängig (IX R 18/23).

Fazit

Die Verfassungsmäßigkeit der seit dem Jahr 2021 geltenden Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte muss als äußerst zweifelhaft angesehen werden. Steuerpflichtige sind gut beraten, gegen entsprechende Steuerbescheide Rechtsmittel einzulegen. Der AdV-Beschluss des FG Rheinland-Pfalz sollte sich nicht nur positiv auf die Erfolgswahrscheinlichkeit von Aussetzungsanträgen in ähnlich gelagerten Fällen auswirken. Er sollte vielmehr dem Gesetzgeber als weitere Mahnung zur Rückkehr zu einer leistungsgerechten Besteuerung dienen und das BVerfG anhalten, im Rahmen des anhängigen Vorlagebeschlusses zum Aktienverlusttopf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grenzen von Verlustabzugsbeschränkungen aufzuzeigen.

Aufgrund der Übertragbarkeit der Begründung des anhängigen Vorlagebeschlusses auf die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte, die durch den erkennenden Senat des FG Rheinland-Pfalz wiederholt betont worden ist, sollten sich die Finanzbehörden angehalten sehen, die Steuer vorläufig festzusetzen bzw. Einspruchsverfahren mit Verweis auf das laufende BVerfG-Verfahren gem. § 363 Abs. 2 AO ruhend zu stellen.