Beschließt die Hauptversammlung über die Schaffung von genehmigtem Kapital, müssen ihr die möglichen Gründe für einen späteren Bezugsrechtsausschluss in abstrakt allgemeiner Form bekannt sein. Das OLG Nürnberg hat im Rahmen eines aktienrechtlichen Freigabeverfahrens nun entschieden, dass eine abschließende abstrakte Umschreibung dieser Gründe im Ermächtigungsbeschluss oder Vorstandsbericht nicht erforderlich sei (Beschluss vom 14. Februar 2018 – 12 AktG 1970/17). Dies scheint mit Blick auf eine größere Flexibilität der Ausnutzungsmöglichkeiten des genehmigten Kapitals zunächst begrüßenswert. Aus dogmatischer Sicht ist der Ansatz des OLG Nürnbergs jedoch angreifbar. Daher sollte seine höchstrichterliche Klärung abgewartet werden. Überdies kann er zu Unsicherheiten bei der Ausnutzungsentscheidung führen und dadurch Folgestreitigkeiten heraufbeschwören.
Leitlinien nach Siemens/Nold
Das genehmigte Kapital ist insbesondere für die Publikums-AG bekanntlich von unerlässlicher Bedeutung. Entsprechende Ermächtigungsbeschlüsse sind daher standardmäßig Gegenstand einer (ordentlichen) Hauptversammlung. Insbesondere die Ermächtigung, die auch den Ausschluss des Bezugsrechts erlaubt, ermöglicht es dem Vorstand, mit Zustimmung des Aufsichtsrats, flexibel auf den Finanzierungsbedarf der Gesellschaft reagieren zu können, ohne dass er die Hauptversammlung erneut vorab beteiligen muss.
Leitplanken für die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses sind im Wesentlichen die Kriterien, die der BGH in der Siemens/Nold Entscheidung (BGH vom 23. Juni 1997 – II ZR 132/93) aufgestellt hat. Im Gegensatz zur regulären Kapitalerhöhung genügt es beim genehmigten Kapital, den Aktionären die Gründe für einen Bezugsrechtsausschluss lediglich allgemein und in abstrakter Form bekannt zu geben. Als Standardpraxis hat sich herausgebildet, dass die Ausschlusszwecke (zumindest) im Vorstandsbericht zum Ermächtigungsbeschluss in abstrakter Form abschließend aufgeführt werden (müssen).
Erleichterungen nach dem Urteil des OLG Nürnberg
Diese Anforderungen hat das OLG Nürnberg im Rahmen eines Freigabeverfahrens nach § 246a AktG weiter gelockert. Das OLG hält es für unschädlich, wenn die möglichen Gründe für den späteren Bezugsrechtsausschluss bei der Ermächtigung nicht abschließend aufgeführt werden. Es begründet dies damit, dass sich die Hauptversammlung zu dem Zeitpunkt, an dem der Ermächtigungsbeschluss gefasst wird, über den Sinn und Zweck eines künftig möglichen Bezugsrechtsausschlusses ohnehin kein konkretes Bild machen könne. Die dagegen gerichtete (Teil-)Anfechtungsklage sah das OLG als aussichtslos an. Dementsprechend gab es dem Freigabeantrag wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Klage gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AktG statt.
Bewertung
Vorteil: Erhöhung der Ausnutzungsmöglichkeiten
Auf den ersten Blick erscheint die Auffassung des OLG Nürnberg aus Sicht der Gesellschaften begrüßenswert. Potentiellen Anfechtungsgegnern entzieht sie weiteren Boden. Dem Vorstand eröffnet sie ein noch höheres Maß an Flexibilität bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals: Wenn die Ausschlussgründe zum Zeitpunkt der Ermächtigung nicht mehr abschließend beschrieben werden müssen, können sie für den Vorstand bei der Ausübung der Ermächtigung auch nicht abschließend bindend sein.
Nach der Sichtweise des OLG hieße dies: Die Gesellschaft könnte sich bei der Schaffung von genehmigtem Kapital darauf beschränken zu erklären, dass die Ausnutzung des genehmigten Kapitals nur im wohlverstandenen Unternehmensinteresse erfolgen dürfe. Wenn nämlich die Ausschlussgründe nicht mehr abschließend aufgeführt werden müssen, ließe sich argumentieren, dass das wohlverstandene Unternehmensinteresse (neben der Berücksichtigung aktienrechtlicher Grundprinzipien wie dem Gleichbehandlungsgebot nach § 53a AktG, vgl. dazu aktuell BGH vom 10. Juli 2018 – II ZR 120/16) das einzig verbleibende Kriterium darstellt, das bei der Ausnutzung zu beachten ist.
Mangelnde Informationsgrundlage
Gegen die vom OLG Nürnberg akzeptierte Lockerung spricht, dass die Hauptversammlung ihre Entscheidung auf der Grundlage von angemessenen, für den Beschlussgegenstand erforderlichen Informationen treffen muss. Von diesem an sich allgemein anerkannten Grundsatz bliebe jedoch in der vorliegenden Konstellation wenig übrig. Denn Aktionäre können bei einer bloß beispielhaften Aufzählung abstrakt-allgemeiner Gründe für den Bezugsrechtsausschluss im Ergebnis kaum noch beurteilen, wozu sie eigentlich ermächtigen. Das Kriterium des wohlverstandenen Unternehmensinteresses, an dem sich die Ausnutzungsentscheidung des Vorstands orientieren muss, bildet erkennbar keine hinreichende Informationsgrundlage für die Hauptversammlung.
Verlassen der durch Siemens/Nold gesicherten Grundlagen
Insofern ist zweifelhaft, ob die Auffassung des OLG Nürnberg noch als „Fortführung“ der in der Siemens/Nold Entscheidung maßvoll entwickelten Grundsätze angesehen werden kann. Die Entscheidung stellt nämlich das Bedürfnis der Aktionäre nach sachgerechter Information nicht grundsätzlich in Frage. Sie erlaubt lediglich, dass die Information vorab in abstrakter und allgemeiner Weise gegeben werden kann. Näher liegt daher, dass das OLG Nürnberg die durch den BGH vorgezeichneten Pfade verlassen hat. Die Annahme offensichtlicher Unbegründetheit der Anfechtungsklage i.S.v. § 246a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AktG begegnet insofern Bedenken.
Folgen für die Praxis
Unschärfe des Ermächtigungsrahmens
Ebenso zweifelhaft ist, ob eine nicht abschließende Aufzählung von Ausschlussgründen und die damit vermeintlich verbundenen höheren Einsatzmöglichkeiten des genehmigten Kapitals selbst bei einem erfolgreich durchgeführten Freigabeverfahrens überhaupt Vorteile bietet. So werden Vorstand und Aufsichtsrat trotz Freigabe des Ermächtigungsbeschlusses bei der späteren Ausnutzung unter Ausschluss des Bezugsrechts prüfen müssen, ob die Ermächtigung noch die geplante Maßnahme deckt. Es bleibt offen, ob in diesem Zusammenhang tatsächlich allein das wohlverstandene Unternehmensinteresse als maßgebliches Prüfungskriterium für die Ausnutzungsentscheidung verbleibt. Bei einer beispielhaften Aufführung von Ausschlussgründen ist vielmehr auch ein engerer Maßstab – etwa die materielle Vergleichbarkeit des angestrebten Zwecks mit den im Rahmen der Ermächtigung ausdrücklich benannten Ausschlussgründen – denkbar.
Gefahr von Folgestreitigkeiten
Die Diskussion um mögliche Ausschlussgründe droht sich daher auf die Ausnutzungsentscheidung zu verlagern. Die Bestandskraft und Wirksamkeit des Ermächtigungsbeschlusses nach § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG ändert nämlich nichts an dem allgemein bei der Ausnutzung von genehmigten Kapital geltenden Rechtsschutzregime, welches der BGH im Wesentlichen in der Commerzbank/Mangusta II-Entscheidung skizziert hat. Die materielle Rechtmäßigkeit des Ausnutzungsbeschlusses und damit die Verantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat unterliegen danach einer selbstständigen gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu auch BGH vom 10. Juli 2018 – II ZR 120/16).
Dementsprechend läuft die Gesellschaft Gefahr, dass die Ausnutzungsentscheidung ihrerseits mit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO und ggf. zusätzlich im einstweiligen Rechtsschutz angegriffen wird. Darüber hinaus sind die Rechtsfolgen einer fehlerhaften und als nichtig festgestellten Ausnutzungsentscheidung nach wie vor wenig ausgelotet. Zwar droht nach Durchführung der Kapitalmaßnahme nach ganz herrschender Meinung und der Rechtsprechung keine Unwirksamkeit der Kapitalmaßnahme (Commerzbank/Mangusta II; bestätigt durch BGH vom 10. Juli 2018 – II ZR 120/16), weil es sich insoweit um eine Geschäftsführungsmaßnahme handelt. Haftungsansprüche gegen die Gesellschaft mit möglichem Regress gegen Vorstand und Aufsichtsrat bleiben jedoch denkbar. Dabei müssen erstere auch Restitutions- bzw. Korrekturansprüche nicht notwendigerweise ausschließen.
Empfehlung für die Praxis
Bei Lichte betrachtet gibt ein Ermächtigungsbeschluss, der die Gründe für einen möglichen Bezugsrechtsausschluss nicht abschließend zumindest im Bericht des Vorstands abstrakt benennt, der Gesellschaft eher Steine statt Brot. Ohne abschließende Aufzählung gehen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat die Leitplanken für die interne Pflichtenbindung verloren. Das bringt wiederum die Gefahr von nachgelagerten Streitigkeiten mit sich. Zugleich sind Ermächtigungsbeschlüsse für die Schaffung von genehmigten Kapital seit Siemens/Nold aufgrund der geringeren Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss ohnehin nicht besonders anfechtungsrelevant. Daher wiegt der Verlust an Rechtssicherheit beim späteren Ausschluss des Bezugsrechts schwerer als das „Mehr“ an Flexibilität beim Einsatz des genehmigten Kapitals. Darüber hinaus dürften auch Stimmrechtsberater einem solchen Vorgehen eher skeptisch gegenüberstehen.
Die Praxis scheint daher gut beraten, davon abzusehen, mögliche Ausschlussgründe bloß beispielhaft oder gar nicht aufzuzählen. Andernfalls erhöht sich unnötig das Anfechtungsrisiko gegen den im Regelfall unproblematischen Ermächtigungsbeschluss. Im Falle der Anfechtung wird die Durchführung eines Freigabeverfahrens nach § 246a AktG überhaupt erst erforderlich. Auch im Erfolgsfalle bietet dieses aber zumindest nicht immer endgültige Rechtssicherheit für die spätere Ausnutzungsentscheidung.