Antitrust Law

Die 11. GWB-Novelle – Klauen und Zähne für das Kartellrecht

15.08.2023 | FGS Blog

„Klauen und Zähne“ verlangte Bundeswirtschaftsminister Habeck für das in seinem Ressort verantwortete Kartellgesetz in einem Interview am 13.06.2022. Anlass gaben ihm u.a. in ungekannte Höhen gestiegene Spritpreise, die Resultat und Symbol der durch Erdgas- und Ölknappheit ausgelösten volkswirtschaftlichen Zwangslage seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren. Getreu dem Motto „never let a good crisis go to waste“ plädierte der Minister für spürbare Verschärfungen des kartellbehördlichen Werkzeugkastens. Das in Branchenkreisen auch „Express-Novelle“ genannte Gesetz, das der Bundestag am 06.07.2023 beschlossen hat, schafft insbesondere Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts in Folge von Sektoruntersuchungen sowie eine erweiterte Vorteilsabschöpfung nach festgestellten Kartellverstößen.

Eingriffsbefugnisse nach Sektoruntersuchungen

Sektoruntersuchungen waren bereits vor der 11. GWB-Novelle möglich. Sie dienen der Erforschung der Wettbewerbsverhältnisse auf einem bestimmten Markt. Deckt die Sektoruntersuchung mögliche Verstöße auf, geht das Bundeskartellamt dem in nachgelagerten, individuellen Verfahren nach. So hat das Bundeskartellamt vor Jahren eine Reihe von kartellrechtlich kritischen Gemeinschaftsunternehmen in den Märkten für Zement und Transportbeton und Walzasphalt festgestellt und die betroffenen Unternehmen zur Auflösung der gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen aufgefordert.

Was passiert aber dann, wenn kein Rechtsverstoß vorliegt, aber die Wettbewerbsverhältnisse dennoch – und sei es nur aus Sicht der Kartellbehörde – unbefriedigend („gestört“) sind? An dieser Stelle setzen die Neuerungen der GWB-Novelle an: § 32f GWB erlaubt eine Reihe von „Maßnahmen nach einer Sektoruntersuchung“, die an den Befund einer solchen Untersuchung anknüpfen.

Wenn die Konzentration des Marktes bereits hoch ist und künftige Zusammenschlüsse den Wettbewerb „erheblich behindern“ könnten – dies ist der Prüfmaßstab der Fusionskontrolle nach § 36 GWB  –, kann   das Bundeskartellamt Unternehmen verpflichten, auch solche Transaktionen anzumelden, bei denen das Zielunternehmen die sonst anwendbaren Umsatzschwellen nicht erreicht. Damit können auch Beteiligungen an Unternehmen anmeldepflichtig sein, die nur €1 Mio. Umsatz erzielen. Das Bundeskartellamt soll den Aufkauf aufkommender oder noch verbliebener Wettbewerber durch starke Marktbeteiligte kontrollieren können.

Über diese präventive Kontrolle hinaus erlaubt § 32f GWB auch konkrete „Abhilfemaßnahmen“. Während des Gesetzgebungsverfahrens haben dies manche als kartellbehördliches „Marktdesign“ kritisiert. Tatsächlich offeriert § 32f Abs. 3 GWB eine bunte Auswahl an verhaltensorientierten und strukturellen Maßnahmen. Das Gesetz selbst nennt einige Regelbeispiele für Abhilfemaßnahmen, so etwa „Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen“, „Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten“ oder die „buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen“. Insoweit könnte das Bundeskartellamt branchenweite Vorgaben für Allgemeine Geschäftsbedingungen – z.B. für Mobilfunkverträge für Endkunden – festlegen, wenn es den Eindruck hat, damit eine Störung des Wettbewerbs beheben zu können.

Die Schwelle für derart weitreichende Eingriffsbefugnisse ist nach § 32f Abs. 3 GWB zum einen die Feststellung einer erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs. Zum anderen muss das Bundeskartellamt zu der Auffassung gelangen, dass sich die Störung des Wettbewerbs mit den übrigen Befugnissen der Kartell- und Missbrauchsaufsicht nicht wirksam und dauerhaft beseitigen lässt. Dies kann aber schon deswegen der Fall sein, weil sich die Unternehmen in dem Markt schlichtweg rechtskonform verhalten und es daher keine Eingriffsmöglichkeit gibt. Die Abhilfemaßnahmen können grundsätzlich jedes Unternehmen in dem untersuchten Markt treffen, solange es durch Verhalten und Bedeutung für die Marktstruktur zu der Störung beiträgt. In oligopolistisch strukturierten Märkten kann kein Unternehmen sicher sein, nicht Adressat einer solchen Verfügung zu werden; entsprechend wachsam sollten Sektoruntersuchungen beobachtet und die Beantwortung von Fragen rechtlich begleitet werden.

Das schärfste Schwert der neuen „Abhilfemaßnahmen“ ist die missbrauchsunabhängige Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen oder Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb. Das Bundeskartellamt kann solche Unternehmen dazu verpflichten, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern. Eine weniger einschränkende Maßnahme – z.B. die Untersagung konkreten Verhaltens – darf nicht in Betracht kommen. Die Anfechtung einer Entflechtungsanordnung entfaltet jedoch aufschiebende Wirkung. Dies verhindert angesichts der erheblichen Eingriffsintensität der Entflechtung, dass die Kartellbehörde vollendete Tatsachen schafft, bevor die Verfügung in einem ordentlichen Gerichtsverfahren überprüft wurde.

Die Möglichkeit verstoßunabhängiger Abwehrmaßnahmen ist zum einen an die Befugnisse der britischen Competition and Markets Autority, zum anderen an die Vorschläge der EU-Kommission im Rahmen des DMA angelehnt. Ob man in der neuen Entflechtungsmöglichkeit eine gelungene Regelung sehen will, ist Gegenstand einer lebendigen Debatte. Jedenfalls ist der Vergleich zur britischen Vorgehensweise mit Vorsicht zu genießen: In Großbritannien sind bislang lediglich zwei Fälle bekannt, in denen eine (mehr oder weniger erfolgreiche) Entflechtung angeordnet wurde. Ob das deutsche Recht diesem Modell nacheifern sollte und es solcher Maßnahmen tatsächlich zur „Lückenfüllung“ bedurfte, ist zumindest zweifelhaft. Dabei spielen auch verfassungsrechtliche Erwägungen eine Rolle, da die Entflechtung zu einem starken Eingriff in die Berufs- und die Eigentumsfreiheit führt. Zehn Jahre nach Inkrafttreten berichtet das Bundesministerium über die Erfahrungen mit der neuen Vorschrift – es wäre eine Überraschung, wenn bis dahin ein erstes Entflechtungsverfahren abgeschlossen, letztinstanzlich überprüft und am Markt umgesetzt wäre.

Erweiterte Vorteilsabschöpfung

Ein Unternehmen, das gegen Kartellrecht verstößt, soll einen daraus erlangten Vorteil nicht behalten dürfen. Die Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB kam bisher jedoch praktisch nicht zur Anwendung. Die 11. GWB-Novelle hat die Voraussetzungen nun maßgeblich herabgesetzt. Zentral ist die Vermutung, dass ein Unternehmen mit einem Verstoß gegen Kartell- oder Missbrauchsverbot einen Vorteil erzielt, der mindestens 1% des Umsatzes beträgt, der im Inland mit den Produkten oder Dienstleistungen erzielt wurde, die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen. Die bloße Einrede, man habe mit dem Verstoß keinen Vorteil erzielt, greift nicht (selbst wenn sie zutrifft). Zur Widerlegung muss das Unternehmen nachweisen, dass weder die am Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person noch ein anderes konzernverbundenes Unternehmen weltweit „im Abschöpfungszeitraum einen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat“. Es liegt auf der Hand, dass diese Vermutung tatsächlich nur im absoluten Ausnahmefall zu widerlegen ist.

Die 11. GWB-Novelle: Schneller, höher, weiter?

Das Bundeskartellamt erhält mit der 11. GWB-Novelle Kompetenzen, die jedenfalls auf dem Papier zu starken Eingriffen in Unternehmen und Marktstrukturen führen können. Die Anwendung der neuen Befugnisse – vor allem der Entflechtungsbefugnis – wird selten sein. Sektoruntersuchungen sind von nun an aber potenzielle Vorboten erheblichen Ungemachs für erfolgreiche Unternehmen, selbst bei rechtmäßigem Verhalten. Rechtswidriges Verhalten kann mit der neuen Vorteilsabschöpfung empfindlicher sanktioniert werden. Aber Kartellverstöße waren noch nie wirklich „Kavaliersdelikte“.