Corona-Krise und die Folgen für die Hauptversammlungssaison 2020

18.03.2020 | FGS Blog

Continental und Daimler haben es bereits vergangenen Freitag mitgeteilt, in dieser Woche nun auch die Deutsche Telekom, Merck, Beiersdorf und BASF: Immer mehr deutsche Unternehmen verschieben aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus / COVID-19 ihre für das Frühjahr 2020 geplante Hauptversammlung.

 

Der Monat März läutet klassischerweise die Hauptversammlungssaison ein. Die meisten Hauptversammlungen finden zwischen März und Juli statt. Denn in der Regel ist das Kalenderjahr auch das Geschäftsjahr und die Hauptversammlung hat in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres stattzufinden (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG); bei der SE (Societas Europaea) – als welche mittlerweile schon zahlreiche der im DAX, MDAX und SDAX gelistete Unternehmen firmieren, so etwa BASF – sogar innerhalb der ersten sechs Monate (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO).

 

Vor dem Hintergrund des sich immer weiter ausbreitenden Coronavirus kommt es von staatlicher Seite fast täglich zu neuen einschneidenden Maßnahmen und Auflagen. Jedes hauptversammlungspflichtige Unternehmen muss sich daher jetzt die Frage stellen, welche Auswirkungen dies auf die Durchführung der diesjährigen Hauptversammlung hat. Der Vorstand hat im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) die aktuellen Entwicklungen zu beobachten und in seine Entscheidung mit einzubeziehen.

Verbote machen Durchführung praktisch unmöglich

Mittlerweile haben alle Bundesländer aufgrund der Corona-Pandemie Veranstaltungen mit einem größeren Teilnehmerkreis (i.d.R. ab 1000 Personen, zum Teil bereits ab 50 oder 100 Personen) verboten bzw. die Behörden angewiesen, entsprechende Veranstaltungen zu untersagen. Die Durchführung kleinerer Veranstaltungen wurde teils von strengen Auflagen abhängig gemacht.

 

Gerade bei börsennotierten Unternehmen kann die Zahl der an der Hauptversammlung teilnehmenden Personen die 1000er-Marke schnell übersteigen. Darüber hinausgehend können Aktionäre nicht ohne das Risiko einer Anfechtung am Zugang zur Hauptversammlung gehindert werden. Diese Hauptversammlungen dürften daher – jedenfalls in ihrer bisherigen Form – zur Zeit rechtlich und faktisch nicht durchführbar sein.

Folgen der Corona-Krise für Vorstand und Aufsichtsrat

Der Vorstand ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet, unverzüglich nach Eingang des Berichts des Aufsichtsrats die Hauptversammlung einzuberufen. Die Hauptversammlung hat in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs stattzufinden.

 

Findet eine Hauptversammlung nicht innerhalb dieser Frist statt und wurde sie auch noch nicht einberufen, so ist der Vorstand vom Registergericht durch Festsetzung eines Zwangsgelds zur Einberufung anzuhalten (§ 407 Abs. 1 Satz 1 AktG).

 

Daneben können Vorstand und Aufsichtsrat persönlich haften, wenn sie schuldhaft die Fristversäumung verursacht haben. Der Haftungsfall kann sowohl gegenüber der Gesellschaft bestehen als auch gegenüber den Aktionären. Letzteres kann insbesondere dann der Fall sein, wenn den Aktionären durch die verspätete Auszahlung der Dividende ein unmittelbarer Schaden entsteht (§ 117 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG). Denn über die Verwendung des Bilanzgewinns entscheidet zwingend die Hauptversammlung durch Beschlussfassung (§ 174 Abs. 1 Satz 1 AktG). Ohne Gewinnverwendungsbeschluss kann an die Aktionäre kein Gewinn ausgeschüttet werden. Die Möglichkeit zur Auszahlung sog. Interims-Dividenden wie etwa in Frankreich oder den Niederlanden gibt es hierzulande nicht.

 

Zwangsgeld und Schadensersatzpflicht scheiden jedoch aus, wenn die Fristüberschreitung vertretbar war und Vorstand und Aufsichtsrat nicht pflichtwidrig gehandelt haben.

Verlegung der Hauptversammlung zulässig

Der Vorstand muss daher in jedem Fall prüfen, ob eine Verlegung der Hauptversammlung tunlich ist. Wie bei allen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Hauptversammlung hat sich der Vorstand auch hier primär an den Interessen der Gesellschaft und der Stake- und Shareholder zu orientieren. Eine Verlegung auf einen Termin innerhalb der für Aktiengesellschaften gesetzlich vorgeschriebenen Frist von acht Monaten nach Beginn des Geschäftsjahres kann rechtlich zulässig sein. Für eine solche Verlegung bedarf es aber gewichtiger sachlicher Gründe.

 

Ein gewichtiger Grund könnte das Verbot von Großveranstaltungen sein. Zwar könnte ein Unternehmen Maßnahmen ergreifen, die die zu erwartende Teilnehmerzahl rein faktisch begrenzen, etwa durch die Ermöglichung ortsferner Teilnahme im Wege elektronischer Kommunikation (§ 118 Abs. 1 S. 2 AktG). Rechtssicher planen – insbesondere im Rahmen der die Durchführung von Veranstaltungen betreffenden Vorgaben – ließe sich die Hauptversammlung dadurch aber nicht.

 

Als weiterer gewichtiger Grund könnte der Schutz der Aktionäre sowie der mit der Organisation der Hauptversammlung befassten Mitarbeiter der Gesellschaft in Betracht kommen. Im Rahmen der Sorgfaltspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) hat der Vorstand nicht nur die Interessen der Gesellschaft, sondern auch die Interessen der Aktionäre sowie das Wohl der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit zu berücksichtigen.

 

Eine Verlegung innerhalb der gesetzlichen Frist dürfte daher bei allen Aktiengesellschaften mit einem großen Aktionärskreis zulässig sein. Allerdings bedarf es stets einer Prüfung des Einzelfalls, in die insbesondere auch die behördlichen Vorgaben mit einzubeziehen sind.

 

Continental, Daimler, die Deutsche Telekom und BASF streben allesamt an, die Hauptversammlung noch innerhalb der gesetzlichen Frist nachzuholen.

 

Aber auch eine Verschiebung der Hauptversammlung über diesen Zeitpunkt kann möglich sein. Insoweit dürfte der gleiche Maßstab anzulegen sein: Das heißt, es müssen auch hier gewichtige sachliche Gründe vorliegen, die gerade eine Verschiebung über das gesetzliche Fristende hinaus rechtfertigen.

 

Bei einer Verschiebung müssen zudem weiterhin sämtliche an die Einberufung der Hauptversammlung zu stellenden Voraussetzungen eingehalten werden.

 

Eine Verlegung der Hauptversammlung (auch auf einen Termin jenseits der Frist von acht Monaten (sechs Monate bei der SE) lässt die Wirksamkeit der auf ihr gefassten Beschlüsse übrigens grundsätzlich unberührt. Die Verlegung oder Fristversäumung stellt als solche keinen tauglichen Anfechtungsgrund dar.

Sonderproblem: Einberufungsverlangen von Aktionären

Ein zusätzliches Problemfeld könnte § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG eröffnen. Danach sind Aktionäre, die (allein oder zusammen) zu mindestens fünf Prozent am Grundkapital beteiligt sind, berechtigt, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen. Zu denken ist dabei vor allem an institutionelle Anleger, deren Beteiligungsinteresse primär in der Auszahlung der Dividende liegt. Grundsätzlich hat der Vorstand einem ordnungsgemäßen Einberufungsverlangen unverzüglich zu entsprechen. Hier besteht das Risiko einer Interessen- und Pflichtenkollision. Wie der Vorstand mit derartigen Verlangen umzugehen hat, kann nicht pauschal beantwortet werden. Denkbar ist jedoch, das Verlangen als missbräuchlich einzuordnen. Da das Recht auf Einberufung aus der Mitgliedschaft folgt, unterliegt es als solches der aktienrechtlichen Treuepflicht zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft. Den Vorstand träfe dann keine Pflicht zur Einberufung.