Nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch in den Breitenmedien wurde zuletzt häufig thematisiert, dass insbesondere Versandhändler noch brauchbare Waren eher vernichten als diese kostenfrei zu spenden, da sie andernfalls zusätzlich mit Umsatzsteuer belastet werden.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat am 18. März 2021 gleich zwei Schreiben zur umsatzsteuerlichen Beurteilung von Sachspenden erlassen. Diese sehen eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage bei Sachspenden (auf Null) vor, wenn:
- Gegenstände zum Zeitpunkt der (unentgeltlichen) Abgabe aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt verkehrsfähig sind oder
- durch die Corona-Krise unmittelbar und nicht unerheblich betroffene Einzelhändler ihre Waren an steuerbegünstigte Organisationen spenden oder gespendet haben.
Das BMF erweitert damit einerseits die bereits bestehende Praxis betreffend Lebensmittelsachspenden (sog. „Tafel“-Erlass, OFD Niedersachen vom 9. Februar 2016 und 27. März 2017). Gleichzeitig nimmt es diese in den Umsatzsteueranwendungserlass auf. Andererseits reagiert es auf die Nöte von Einzelhändlern und verzichtet temporär auf die Umsatzbesteuerung von Waren. Dies gilt dann, wenn Einzelhändler ihre Waren pandemiebedingt nicht mehr oder nur mit erheblichen Wertverlusten verkaufen können und diese (deshalb) an steuerbegünstigte Organisationen spenden.
Aufgrund von Restriktionen der EU-MwStSystRL wäre eine gänzliche Steuerbefreiung nicht zulässig. Dem BMF bleibt daher bei Sachspenden nur die Stellschraube „Bemessungsgrundlage“, um eine Umsatzbesteuerung zu vermeiden.
Zeitliche Anwendung
Die geänderte Verwaltungsauffassung (Abschn. 10.6 Abs. 1a UStAE n.F.) betreffend die allgemeine umsatzsteuerliche Beurteilung von Sachspenden soll in allen offenen Fällen Anwendung finden.
Die Spezialregelung für von der Corona-Krise betroffene Einzelhändler gilt befristet für Umsätze, die zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Dezember 2021 erfolgt sind bzw. erfolgen.
Problematik der Abgabenbesteuerung von Sachspenden
Die Problematik im Zusammenhang mit der Wertabgabenbesteuerung von Sachspenden ist nicht neu und in regelmäßigen Abständen Gegenstand öffentlichen Diskurses. Unternehmer sehen sich häufig mit Unverständnis konfrontiert, wenn vermeintlich objektiv noch verwertbare Gegenstände oder Lebensmittel vernichtet, statt gespendet werden.
Dies ist neben etwaigen betriebswirtschaftlichen Gründen insbesondere dadurch bedingt, dass die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstandes, der den Unternehmer zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, im Zeitpunkt der Abgabe – mithin der Spende – Umsatzsteuer auslöst, wenn es sich nicht um Aufmerksamkeiten (Personal), Geschenke von geringem Wert oder Warenmuster handelt (§ 3 Abs. 1b UStG). Die Bemessungsgrundlage bestimmt sich nicht nach den ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten, sondern nach dem fiktiven Einkaufspreis im Zeitpunkt der Spende (Wiederbeschaffungspreis).
Der Unternehmer muss demnach bei einer Sachspende Umsatzsteuer bezahlen. Vernichtet er die Waren stattdessen aus unternehmerischen Gründen, löst dies keine Umsatzsteuer aus.
Diese Regelung soll einen systemwidrigen unversteuerten Letztverbrauch für private Zwecke verhindern.
Änderung des Anwendungserlasses
Die zeitlich unbefristete und in allen offenen Fällen anwendbare Änderung der Verwaltungsanweisungen (UStAE) gestattet nunmehr eine Berücksichtigung der objektiven Werthaltigkeit der gespendeten Ware im Zeitpunkt der Spende. Sowohl bei Lebensmittelln als auch bei Non-Food-Artikeln mit Mindesthaltbarkeitsdatum (z.B. Kosmetika, Drogerieartikel oder Tierfutter) soll von einer objektiven Wertlosigkeit ausgegangen werden können, wenn diese unmittelbar vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen. Die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage für die Spende ist dann auf EUR 0 zu reduzieren.
Dies entspricht bereits dem Grunde nach der gängigen Praxis in Bezug auf Lebensmittelsachspenden an gemeinnützige Organisationen (insbesondere die Tafel). Auf Grundlage der oben aufgeführten Verfügung der OFD Niedersachsen, wird dies nun jedoch auf weitere Artikel ausgedehnt.
Eine Abstufung ist vorzunehmen bei Artikeln, die lediglich falsch etikettiert oder geringfügig beschädigt retourniert werden. Hier dürfte ein objektiver Wert zwischen EUR 0 und dem Wiederbeschaffungswert zu schätzen sein.
Zudem soll eine eingeschränkte Verkaufsfähigkeit insbesondere nicht bereits deshalb vorliegen, wenn Neuware ohne jegliche Beeinträchtigung aus wirtschaftlichen oder logistischen Gründen aus dem Warenverkehr ausgesondert wird. So sollen beispielsweise Beschädigungen der Verpackung retournierter Ware oder Spuren der Anprobe bei Bekleidung nicht zu einem vollständigen Verlust der Verkaufsfähigkeit führen.
Befristete pandemiebedingte Maßnahmen
Für den Zeitraum 1. März 2020 bis 31. Dezember 2021 wird bei Waren auf die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe verzichtet, wenn Einzelhändler, die durch die Corona-Krise unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen sind, diese an steuerbegünstigte Organisationen gespendet haben bzw. spenden. Dies betrifft insbesondere Saisonwaren, die aufgrund befristeter Marktgängigkeit pandemiebedingt nur noch schwerlich abzusetzen sind.
Die befristete Regelung versteht sich als Billigkeitsmaßnahme. Diese soll Unternehmern eine rechtssichere umsatzsteuerliche Abwicklung von Sachspenden ermöglichen. Sie ist als Ergänzung zur dauerhaften Änderung des Anwendungserlasses zur Umsatzsteuer zu sehen.
Bei Waren, die nach den Ausführungen in Abschn. 10.6 Abs. 1a UStAE nF noch einen objektiven Wert von > EUR 0 hätten, wird unter den vorgenannten Umständen ausnahmslos auf eine Wertabgabenbesteuerung verzichtet. Hierdurch reduziert sich jedoch nicht die Bemessungsgrundlage auf EUR 0.
Vielmehr entsteht der Steueranspruch nach wie vor und ist zunächst nach Maßgabe des Abschn. 10.6 Abs. 1a UStAE nF zu ermitteln (und eigentlich auch anzumelden). Die Finanzbehörde erlässt sodann aus Billigkeitsgründen den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn die Voraussetzungen nach dem BMF-Schreiben gegeben sind.
Mögliche Folgen
Dem Grunde nach sind die Änderungen der Verwaltungsauffassung und die Billigkeitsmaßnahme sicherlich zu begrüßen. Insbesondere betreffend die Abgabe von Non-Food-Artikeln mit Mindesthaltbarkeitsdatum herrscht für betroffene Unternehmer nunmehr jenseits der Lebensmittelabgaben Klarheit.
Weiterhin streitbefangen dürfte jedoch die Interpretation dessen sein, was objektiv unter (eingeschränkter) Marktgängigkeit zu verstehen und wie ein angemessener Wert rechtssicher zu schätzen ist.
Auch hier wären nähere Erläuterungen zur rechtssicheren Handhabe bzw. ein Hinweis auf die nähere Durchführung der Billigkeitsmaßnahme wünschenswert gewesen. Es bleibt außerdem spannend zu beobachten, ob und inwieweit die Finanzverwaltung das Merkmal der „Betroffenheit“ im Nachgang auslegt. Es mangelt dem Schreiben insofern an objektiven Maßstäben.
Offene Fragen
Fraglich ist daher, ob und in welchem Umfang diese Möglichkeit in Anspruch genommen wird, wenn Einzelhändler insbesondere textile Waren im Zweifel erheblich reduziert an Endverbraucher veräußern können. Auch betrifft die Maßnahme keine Großhändler. Diese sind im Zweifel allerdings genauso – wenn nicht sogar in weitaus größerem Ausmaß – von der Problematik betroffen, da sie vorproduzierte bzw. voreingekaufte Ware dann nicht mehr an den Einzelhandel abgeben können.
Betroffene Unternehmer müssen vor diesem Hintergrund entsprechend abwägen, ob es nicht (nach wie vor) günstiger ist, die Ware zu vernichten, statt sie zu spenden. Alternativ können sie sich wie auch bisher mit einem symbolischen Preis behelfen, da es außer beim Verkauf an nahestehende Personen zu keiner Anwendung der sog. Mindestbemessungsgrundlage kommt.