Fast auf den Tag genau vier Jahre, nachdem der EuGH in einem deutschen Vorlageverfahren (Senatex, Az. C-518/14) entschied, dass Rechnungen rückwirkend korrigiert werden können, hat sich nun endlich das BMF zu dem Thema geäußert. Mit Schreiben vom 18. September 2020 erläutert das BMF die Anforderungen an eine rückwirkende Rechnungsberichtigung und ändert den Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) entsprechend.
Ordnungsgemäße Rechnung und Vorsteuerabzug
Grundsätzlich muss der Unternehmer zur Ausübung des Vorsteuerabzugs im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung sein, die insbesondere die Pflichtangaben des § 14 Abs. 4 UStG enthält. Ist eine Rechnung zunächst nicht ordnungsgemäß und wird später berichtigt, vertrat die Finanzverwaltung bis dato, dass der Unternehmer den Vorsteuerabzug stets erst in dem Voranmeldungszeitraum des Erhalts einer berichtigten Rechnung und nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum des erstmaligen Erhalts der (fehlerhaften) Rechnung geltend machen könne. Insbesondere mit Blick auf die Verzinsung nach § 233a AO können sich bei einem zeitlichen Auseinanderfallen von erstmaliger Rechnungsstellung und Korrektur erhebliche finanzielle Auswirkungen ergeben.
Bereits mit Urteil vom 20. Oktober 2016 (Az. V R 26/15) hat der BFH seine Rechtsprechung in Folge des EuGH-Urteils Senatex vom 15. September 2016 (Az. C-518/14) geändert und entschieden, dass eine rückwirkende Rechnungsberichtigung grundsätzlich möglich ist. Aufgrund des Entwurfs eines BMF-Schreibens vom 15. Oktober 2018 zu dieser Frage war abzusehen, dass sich die Finanzverwaltung der Auffassung der Rechtsprechung grundsätzlich anschließen wird.
Wo Licht ist, ist jedoch auch Schatten. So kann eine Rückwirkung der Korrektur zum endgültigen Verlust des Vorsteuerabzugs führen, wenn eine Rechnungsberichtigung in einen festsetzungsverjährten Zeitraum zurückwirkt. Ein derartiger verjährungsbedingter Verlust des Vorsteuerabzugs darf unter dem Gesichtspunkt des Neutralitätsgrundsatzes, der das gesamte europäische Mehrwertsteuersystem dominiert, durchaus kritisch gesehen werden.
Zwei Möglichkeiten zum rückwirkenden Vorsteuerabzug
Fast zwei Jahre nach dem ersten Entwurf eines BMF-Schreibens und vier Jahre nach dem EuGH-Urteil Senatex stellt das BMF in seinem am 18. September 2020 veröffentlichen Schreiben zunächst wenig überraschend fest, dass der Besitz einer Rechnung zwingende Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts ist, auch wenn sich aus der EuGH-Rechtsprechung auch andere Schlussfolgerungen ableiten ließen (vgl. Blog-Beitrag vom 6. Dezember 2018).
Hingegen überrascht, dass sich das BMF nun auch zum objektiven Nachweis der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug ohne Rechnungsberichtigung bei nicht ordnungsgemäßen Rechnungen äußert. Aussagen hierzu enthielt der Entwurf vom 15. Oktober 2018 noch nicht. Das BMF zeigt dem Steuerpflichtigen nunmehr also zwei Wege auf, den Vorsteuerabzug aus nicht ordnungsgemäßen Rechnungen rückwirkend zu erhalten.
Berichtigungsfähigkeit einer Rechnung
Eine rückwirkende Berichtigung einer nicht ordnungsgemäßen Rechnung setzt zunächst nach Ansicht des BMF voraus, dass die fehlerhafte Rechnung grundsätzlich berichtigungsfähig ist. Erforderlich sind Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur ausgewiesenen Umsatzsteuer. Dabei dürfen die Angaben nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. In der Frage, wann die Angaben fehlenden Angaben gleichstehen, darf künftig insbesondere anlässlich von Betriebsprüfungen mit Diskussionen gerechnet werden. Die übrigen Pflichtangaben können ohne Weiteres berichtigt werden, wenn eine grundsätzlich berichtigungsfähige Rechnung vorliegt.
Im Einzelnen müssen dafür folgende Mindestangaben enthalten sein:
Angaben zu leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger
Erforderlich sind hinreichende Angaben zu dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger.
Unklar ist, in welchen Fällen nach Auffassung der Finanzverwaltung eine rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich sein soll, wenn diese Angaben fehlerhaft sind. Da das BMF einerseits auf § 31 Abs. 2 UStDV verweist, wonach es ausreicht, wenn sich Name und Anschrift des der am Leistungsaustausch Beteiligten eindeutig feststellen lassen, mithin also keine berichtigungsbedürftige Rechnung vorliegt, und andererseits darauf hinweist, dass eine Rechnung nicht berichtigungsfähig ist, wenn Fehler und Unklarheiten über die Regelungen in Abschn. 15.2a Abs. 2 und Abs. 6 UStAE hinausgehen, scheint insoweit kein großer Anwendungsbereich der rückwirkenden Rechnungsberichtigung zu bestehen. Beispielhaft genannt wird lediglich die unzutreffende Bezeichnung der Rechtsform des Leistungsempfängers. Jedoch schränkt das BMF auch hier sogleich ein, dass Zweifel an der Identität des Unternehmers ausgeschlossen sein müssen.
Leistungsbeschreibung
Zwingend sind zudem hinreichende Angaben zur Leistungsbeschreibung. Führt die fehlerhafte Leistungsbeschreibung zu einer Umsatzsteuerschuld wegen unberechtigten Steuerausweises (§ 14c Abs. 2 UStG), d.h. wird eine gänzlich andere Leistung angegeben, soll eine rückwirkende Berichtigung ausgeschlossen sein. Ungenaue Leistungsbeschreibungen, welche die erbrachte Leistung und einen Bezug zum Unternehmen des Leistungsempfängers erkennen lassen, sollen dagegen berichtigungsfähig sein. Beispielhaft sollen die Leistungsbeschreibungen „Beratung“ in der Rechnung eines Rechtsanwalts oder „Bauarbeiten“ in der Rechnung eines Bauunternehmers berichtigungsfähig sein, während die Angabe „Produktverkäufe“ für Warenlieferungen einer fehlenden Angabe gleichstehen soll, da die abgerechnete Leistung nicht eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen sei.
Entgelt und Steuerbetrag
Das Entgelt ist indes bereits dann ordnungsgemäß angegeben, wenn es sich aus dem Bruttorechnungsbetrag und des gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrags ohne Weiteres errechnen lässt.
Bei fehlendem oder zu niedrigem Umsatzsteuerausweis ist ein rückwirkender Vorsteuerabzug hinsichtlich der Mehrsteuer nach Auffassung der Finanzverwaltung hingegen stets ausgeschlossen. Dies soll ausdrücklich für (Ab-)Rechnungen gelten, die aufgrund einer vermeintlichen umsatzsteuerlichen Organschaft, Geschäftsveräußerung im Ganzen oder Umsatzsteuerbefreiung ohne Umsatzsteuerausweis ausgestellt worden sind, obwohl die Voraussetzungen hierfür tatsächlich nicht vorgelegen haben.
Ausgenommen hiervon sollen Umsätze sein, bei denen fälschlicherweise von einer Umkehr der Steuerschuldnerschaft ausgegangen wurde (Reverse-Charge Umsätze, jedoch begrenzt auf § 13b Abs. 2 und 5 UStG).
Dies verwundert, ist jedoch grundsätzlich zu begrüßen, da sich somit ein Gleichklang von nachträglicher Umsatzsteuerentstehung und Vorsteuerabzug ergibt.
Rückwirkender Vorsteuerabzug ohne Rechnungsberichtigung
Unter Anwendung eines strengen Maßstabs erlaubt das BMF den Vorsteuerabzug bei nicht ordnungsgemäßen Rechnungen auch dann rückwirkend, wenn zwar keine Rechnungsberichtigung durchgeführt wird, der Unternehmer aber die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs durch objektive Nachweise belegen kann, die dem Finanzamt eine leichte und zweifelsfreie Feststellung der Voraussetzungen ermöglichen.
Diese Möglichkeit kann insbesondere nützlich sein, wenn der Leistungserbringer nicht mehr für eine Rechnungsberichtigung zur Verfügung steht oder der administrative Aufwand der Berichtigungen unverhältnismäßig hoch wäre.
Die Finanzverwaltung setzt aber zumindest eine Rechnung oder deren Kopie mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer voraus, um nachzuweisen, dass auf der vorausgegangenen Umsatzstufe eine Steuerbelastung bestanden hat.
Damit dürfte der Anwendungsbereich dieser Vereinfachung wieder erheblich beschränkt sein. Es ist fraglich, ob dieses Verständnis tatsächlich der EuGH-Rechtsprechung entspricht.
Um finanzbehördlichen Widerstand im Hinblick auf die Beweisführung („leichte und zweifelsfreie Feststellung der Voraussetzungen“) zu vermeiden, dürfte es regelmäßig vorzugswürdig sein, stattdessen eine Rechnungsberichtigung anzustreben.
Wirkung und Durchführung der Berichtigung
Der objektive Nachweis der materiellen Voraussetzungen und eine Rechnungsberichtigung führen dazu, dass der Vorsteuerabzug in dem Besteuerungszeitraum zu erfolgen hat, in dem die Leistung bezogen und die (fehlerhafte) Rechnung empfangen wurde.
Das BMF weist jedoch darauf hin, dass eine Rechnungsberichtigung auch zuungunsten des Rechnungsempfängers wirken kann. Die „Berichtigung“ einer ordnungsgemäßen Rechnung zu einer nicht ordnungsgemäßen Rechnung kann damit grundsätzlich zur rückwirkenden Versagung des Vorsteuerabzugs und einer entsprechenden Festsetzung von Nachzahlungszinsen führen. Das BMF äußert sich nicht eindeutig dazu, ob dies nur dann gilt, wenn die Rechnung einvernehmlich „berichtigt“ und der Umsatzsteuerbetrag vom Leistenden zurückgezahlt worden ist, wie es bei dem im Schreiben zitierten Urteil des BFH vom 22. Januar 2020 (Az. XI R 10/17) der Fall war. Unseres Erachtens darf eine nur einseitige „Berichtigung“ durch den Leistenden jedoch nicht dazu führen, dass dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug rückwirkend versagt und eine für ihn nachteilige Verzinsung ausgelöst wird.
Anders als im Entwurf des BMF-Schreibens vom 15. Oktober 2018 wurde klargestellt, dass auch der Stornierung und Neuausstellung einer Rechnung Rückwirkung zukommt.
Kein rückwirkendes Ereignis und Übergangsregelung
Die rückwirkende Rechnungskorrektur gilt nach dem BMF-Schreiben ebenso zugunsten wie zulasten des Leistungsempfängers. Insbesondere soweit Festsetzungsfristen oder Antragsfristen auf Vorsteuervergütung für das Jahr des erstmaligen Rechnungszugangs bereits abgelaufen sind, kann die Korrektur damit zum Bumerang werden.
Das BMF weist zudem darauf hin, dass es sich bei der Rechnungsberichtigung nicht um ein rückwirkendes Ereignis handelt. Demnach können Zeiträume, für die bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist, nicht nach § 175 Abs. 1 AO aufgrund rückwirkender Rechnungsberichtigung geändert werden. Es kann also zu einem endgültigen Verlust des Vorsteuerabzugs kommen. Dies soll nach dem aktuellen Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 (BR-Drs. 503/20; vgl. auch Blog-Beitrag vom 14. August 2020 ) auch gesetzlich in § 14 Abs. 4 UStG verankert werden.
Für bis zum 31. Dezember 2020 übermittelte Rechnungsberichtigungen, die nach diesen Grundsätzen Rückwirkung entfalten, wird nicht beanstandet, wenn der Vorsteuerabzug erst im Besteuerungszeitraum des Zugangs der Berichtigung geltend gemacht wird.
Es bleibt abzuwarten, wie großzügig sich die Finanzverwaltung bei der Berichtigungsfähigkeit von Rechnungen und den Nachweisen der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug zeigen wird. Zumindest ist jedoch zu begrüßen, dass die Möglichkeiten einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung und des Nachweises der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzugs ohne Rechnungsberichtigung nun (endlich) auch Eingang in den UStAE gefunden haben.
Diskussionen dürften sich jedoch künftig bei der Abgrenzung zwischen Berichtigungsbedürftigkeit und Berichtigungsfähigkeit, insbesondere wann eine ungenaue Angabe einer fehlenden gleichkommt, ergeben.