Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Juli 2021 feststellte, dass die Zinshöhe für Steuernachforderungen von 6% p.a. verfassungswidrig ist, war der Gesetzgeber zur Nachbesserung innerhalb eines Jahres angehalten. Das Bundesministerium der Finanzen reagierte nun mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung.
Hintergrund
Am 8. Juli 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Höhe der Verzinsung von Steuernachforderungen gem. § 233a AO als verfassungswidrig beanstandet (BGBl. I 2021, 4303). Die Vollverzinsung sei dem Grunde nach verfassungsgemäß, hätte in der Höhe jedoch seit 2014 angepasst werden müssen. Derlei Entscheidungen des BVerfG haben Gesetzeskraft und gelten daher über den Einzelfall hinaus. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 dürfen Verwaltungsbehörden und Gerichte die aktuelle Zinshöhe von 6% p.a. nicht mehr anwenden (Anwendungsverbot). Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 darf der Zinssatz zwar weiterhin angewendet werden (Fortgeltungsanordnung), der Senat gab dem Gesetzgeber jedoch auf, bis zum 31. Juli 2022 für nachfolgende Zeiträume Abhilfe zu schaffen (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17).
Reaktion des BMF: 1,8% statt 6% p.a.
Hierauf hat nunmehr das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit einem Entwurf zur Anpassung der Abgabenordnung reagiert (RefE v. 14.02.2022)
Nach dem Willen des BMF werde für den Verzinsungszeitraum ab dem 1. Januar 2019 der Zinssatz von 0,5 % auf 0,15 % pro Monat abgesenkt (Jahreszinssatz: 1,8 %; § 238 Abs. 1a AO-E). Die Höhe des Zinssatzes orientiert sich am Basiszinssatz (§ 247 BGB) von aktuell -0,88% und einem Zuschlag von ca. 2,7%. Die Angemessenheit des Zinssatzes soll alle drei Jahre unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes mit Wirkung für die nachfolgenden Zeiträume evaluiert werden (§ 238 Abs. 1c AO-E). Damit soll der fehlenden Realitätsgerechtigkeit des bisherigen Zinssatzes begegnet werden.
Beschränkung auf Zinsen nach § 233a AO
Der Entwurf beschränkt sich dabei ausschließlich auf den Verzinsungstatbestand nach § 233a AO. Für Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen (§§ 234, 235 und 237 AO) sowie Säumniszuschläge soll nach dem ausdrücklichen Willen der Verfasser die Neuregelung nicht gelten. Gleiches gilt für das Zollrecht, wo sich die Verzinsung ohnehin nach Unionsrecht richtet (Art. 114 und 116 Abs. 6 UZK).
Die Begrenzung des Anwendungsbereichs soll u.a. den Eindruck einer geringeren Verfolgung und Ahndung von Steuerhinterziehung in der Bevölkerung vermeiden. Offenbar sieht das BMF jedoch in der bald vorerst bestehenden Differenzierung zwischen Hinterziehungszinsen und anderen Zinsen nach der AO einen über die Vorteilsabschöpfung hinausgehenden Strafcharakter, der nur schwer zu rechtfertigen ist. Gleichwohl verweist das BMF die Steuerpflichtigen auf die Möglichkeit, im Wege des Einspruchs und der Aussetzung der Vollziehung gegen die entsprechende Zinsfestsetzung vorzugehen.
Bezeichnenderweise wird ferner als Argument gegen eine Ausweitung der Änderung angeführt, dass die Anpassung einen „erheblichen Programmieraufwand“ zur Folge hätte, welche nicht bis zur Umsetzungsfrist gewährleistet werden könne.
Ausweitung auf die Gewerbesteuer
Mit dem Referentenentwurf wird erstmals die bisher nur verwaltungsintern getroffene Regelung über den Erlass von Nachzahlungszinsen bei freiwilligen Zahlungen vor Fälligkeit gesetzlich geregelt (§ 233a Abs. 8 AO-E, bisher: Nr. 70.1 Anwendungserlass zu § 233a AO). Die Regelung soll ausdrücklich auch auf die kommunal verwaltete Gewerbesteuer Anwendung finden und ab dem Tag nach der Verkündung des Änderungsgesetzes anzuwenden sein (Art. 97 § 15 Abs. 14 S. 1 EGAO).
Praxisfolgen
Die gesetzliche Änderung der Zinshöhe war angesichts der aktuellen Geldwirtschaftslage seit Jahren überfällig, bescherte aber bisher sowohl der Finanzverwaltung (bei Steuernachforderungen) als auch Steuerpflichtigen (bei Vergütungsansprüchen) marktunübliche Zinsgewinne. Der Gesetzgeber reagiert nun mit der Anpassung der gesetzlichen Grundlagen § 233a bzw. § 238 AO. Die Anpassung betrifft alle „großen“ Steuerarten (ESt, KSt, USt, GewSt) und alle Verzinsungszeiträume ab 2019. Über die Anpassung des Zinssatzes hinaus enthält der Referentenentwurf weitere Änderungen bei der Zinsfestsetzung. Begrüßenswert erscheint hierbei insbesondere die gesetzliche Aufnahme des Erlasses von Nachzahlungszinsen bei freiwilliger Zahlung vor einer Festsetzung. Hier war der Steuerpflichtige bislang auf eine Billigkeitsregelung angewiesen. Zeitgemäß ist schließlich die Bindung des Steuerzinssatzes an den Basiszinssatz und dessen fortlaufende Überprüfung im Abstand von drei Jahren.