Real Estate

BGH zu Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers

28.09.2023 | FGS Blog

Wird eine Immobilie verkauft und im Rahmen des Transaktionsprozesses ein virtueller Datenraum mit Unterlagen zum Kaufobjekt eingerichtet, werden von nun an strengere Anforderungen an den Verkäufer bei der Erfüllung seiner Aufklärungspflichten gestellt. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem wegweisenden Urteil (Urteil vom 15.09.2023 V ZR 77/22).

Zum Sachverhalt

Mit Kaufvertrag aus dem Jahr 2019 erwarb die Klägerin mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex zu einem Kaufpreis von knapp über 1,5 Mio. Euro.

Im Rahmen des Transaktionsprozesseses errichtete die Verkäuferin einen virtuellen Datenraum und stellte Informationen über das Kaufobjekt ein.

Die Beurkundung des Kaufvertrags fand an einem Montag statt, wenige Tage zuvor, konkret am vorausgegangenen Freitag, stellte die Verkäuferin Unterlagen in den Datenraum ein, die ein Protokoll einer Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2016 beinhalteten. Aus diesem Protokoll ergab sich die Entscheidung der Eigentümer, einen bereits im Jahre 2006 gefassten Beschluss über Umbaumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum umzusetzen und eine frühere Mehrheitseigentümerin für diese Umbaumaßnahmen zur Zahlung von 50 Mio. Euro zu verpflichten. Eine Sonderumlage zu erheben war im Beschluss abgelehnt worden, wogegen eine Eigentümerin Klage erhoben hatte. Anfang des Jahres 2020 endete jenes Klageverfahren in einem Vergleich, aufgrund dessen von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten im Gebäude eine Sonderumlage in Höhe von 750.000 EUR, bei Bedarf in Höhe von bis zu 50 Mio. Euro für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen erhoben werden sollte.

Für diese Sonderumlage sollte auch die Käuferin in Anspruch genommen werden.

Die Käuferin erklärte daraufhin die Anfechtung vom Kaufvertrag und vorsorglich den Rücktritt gegenüber der Verkäuferin und verlangte im Rahmen des Klageverfahrens die Rückabwicklung des Kaufvertrages und Schadensersatz von der Verkäuferin.

Verkäuferhaftung wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten

Eine Haftung der Verkäuferin wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten (§§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB) kommt vorliegend in Betracht, so der BGH. Die Verkäuferin hätte die Käuferin auf die konkrete Gefahr hinweisen müssen, dass auf die Käuferin erhebliche Kosten zukommen könnten. Die Verkäuferin konnte sich von dieser Aufklärungspflicht nicht allein dadurch befreien, dass sie die Unterlagen kurz vor der Beurkundung in den Datenraum eingestellt hatte in der Annahme, dass die Käuferin von den Unterlagen und deren Inhalt Kenntnis erlangen würde.

Wann ein Verkäufer berechtigterweise annehmen kann, dass ein Käufer die in einem Datenraum eingestellten Unterlagen tatsächlich wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, so der BGH. Maßgeblich ist hier beispielsweise, ob der Käufer eine umfassende Due Diligence durchführt, wie der Datenraum und der Zugriff darauf organisiert und strukturiert sind, wie wichtig die Informationen oder wie leicht sie im Datenraum aufzufinden sind.

Allein das Einstellen der Unterlagen kurz vor Beurkundung reichte im vorliegenden Fall nach der Entscheidung des BGH jedenfalls nicht aus, um den verkäuferseitigen Aufklärungspflichten zu genügen.

Übertragung der Rechtsprechung zur Vorlage von physischen Unterlagen

Mit der Entscheidung überträgt der BGH seine Rechtsprechung zu physisch übergebenen Unterlagen sinngemäß auf die Situation, dass der Käufer sich über einen virtuell eingerichteten Datenraum über das Kaufobjekt unterrichten kann.

Der BGH nimmt dabei eine Abgrenzung von dem Fall vor, dass sich ein Käufer im Rahmen einer Besichtigung des Kaufobjekts ein persönliches Bild von erkennbaren Mängeln machen kann und der Verkäufer seine Aufklärungspflichten nicht verletzt, wenn er nicht gesondert auf diese hinweist.

In Fällen, in denen sich ein Käufer anhand physisch übergebener Unterlagen ein Bild verschafft, kann ein Verkäufer dagegen nur dann erwarten, dass der Käufer die maßgeblichen Dokumente zur Kenntnis nehmen wird, wenn die Umstände des Einzelfalles  dies nahelegen.

Dies gilt nun also entsprechend für die Einstellung von Unterlagen in einen virtuellen Datenraum.

Folgen für die Praxis

Nach wie vor gilt, dass verkäuferseitig stets zu hinterfragen ist, welche Umstände in Bezug auf den Kaufgegenstand als offenbarungspflichtige Informationen anzusehen sein könnten und als Anknüpfungspunkt für die Aufklärungspflichten des Verkäufers heranzuziehen sind.

Dies gilt insbesondere für Umstände von größerer wirtschaftlicher Relevanz und für jene Umstände, die aus Sicht des Käufers von besonderer Bedeutung sein könnten. Es ist hierbei stets eine Betrachtung des Einzelfalls vorzunehmen.

Insbesondere bei der Arbeit mit virtuellen Datenräumen und großen Datenmengen in umfangreicheren Transaktionen ist in Zukunft im Lichte der Entscheidung des BGH einmal mehr besondere Vorsicht geboten, um zu vermeiden, dass es im Vorfeld eines Kaufvertragsabschlusses zur Verletzung von Aufklärungspflichten des Verkäufers kommt.

Die Gestaltung des Informationsprozesses vor Kaufvertragsschluss bedarf vor diesem Hintergrund größtmöglicher Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Ebenso ist bei der Verhandlung und Ausgestaltung der Regelungen im Kaufvertrag zu bereitgestellten Informationen die Rechtsprechung des BGH im Auge zu behalten. So kann beispielsweise die Vereinbarung eines „cut off dates“ eine Möglichkeit sein, zumindest eine klare zeitliche Grenze für das Einstellen von Unterlagen zu implementieren.

Entsprechenden Maßnahmen sollten im Transaktionsprozess ein maßgeblicher Stellenwert eingeräumt werden. Hierdurch lassen sich mit einfachen Mitteln böse Überraschungen – für Verkäufer und Käufer gleichermaßen – vermeiden.