Ausweitung des Anwendungsbereichs der Zinsschranke

Mit dem Wachstumschancengesetz soll die Zinsschranke zur Umsetzung der Anti-Tax-Avoidance-Directive („ATAD“) zum 1.1.2024 umfassend reformiert werden. Das Grundkonzept der Zinsschranke (Zinsabzug bis 30% des EBITDA, Zins- bzw. EBITDA-Vortrag) bleibt unberührt. Der Zinsbegriff der ATAD ist umfassender als derjenige der Zinsschranke. Während sich der Begriff der Zinsaufwendungen bislang ausschließlich auf Vergütungen für (die Überlassung von) Fremdkapital bezieht, werden nach der ATAD neben Zinsaufwendungen für alle Arten von Forderungen auch andere wirtschaftlich mit Zinsen vergleichbare Aufwendungen erfasst. Ferner unterliegen nach der ATAD auch Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von (Fremd-)Kapital dem Abzugsverbot. Daher soll der Zinsbegriff auf wirtschaftlich gleichwertige Aufwendungen und sonstige Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Fremdkapital ausgeweitet und ein Verweis auf Art. 2 ATAD aufgenommen wird. Im Ergebnis nimmt die Finanzverwaltung die jüngste BFH-Rechtsprechung zum (engen) Zinsbegriff der Zinsschranke zurück (BFH v. 22.3.2023 - XI R 45/19).

Änderungen beim EBITDA-Vortrag und Zinsvortrag         

Gesetzlich geregelt werden soll die Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein EBITDA-Vortrag nicht in Wirtschaftsjahren entsteht, in denen aufgrund entsprechend hoher Zinserträge kein negativer Zinssaldo erzielt wurde (§ 4h Abs. 1 Satz 3 2. HS EStG-E).

Ein Zinsvortrag soll zukünftig im Fall bei Aufgabe oder Übertragung eines Teilbetriebs untergehen (§ 4h Abs. 5 Satz 4 EStG-E). Die Verwaltungsansicht würde damit gesetzlich verankert. Nach dem RefE soll auch das Ausscheiden einer Organgesellschaft aus dem Organkreis als Teilbetriebsübertragung gelten. Dies lässt sich aus der geplanten Gesetzesfassung nicht ableiten. Damit sollte dieser Vorgang weiterhin unschädlich sein.

Neuer 3-Mio.-EUR-Freibetrag

Die Zinsschranke greift nicht, wenn der Netto-Zinsaufwand 3 Mio. EUR nicht übersteigt (§ 4h Abs. 2 lit. a EStG). Die bisherige 3-Mio.-Freigrenze wird in einen Freibetrag umgewandelt und der Fallbeileffekt der Zinsschranke bei nur geringfügiger Überschreitung der Freigrenze wird beseitigt.

Flankierend werden Gestaltungen zur Mehrfachnutzung der Freigrenze bzw. zukünftig des Freibetrags unterbunden. Nach dem RefE gelten gleichartige Betriebe, die unter der einheitlichen Leitung einer Person oder Personengruppe stehen oder auf deren Leitung jeweils dieselbe Person oder Personengruppe unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, als ein Betrieb im Sinne der Zinsschranke (§ 4h Abs. 2 Satz 2 EStG-E).

Eine Verrechnung des Zinsvortrags mit dem Gewinn bis zur Höhe des 3-Mio.-Freibetrags wird ausgeschlossen. Eine Verrechnung soll nur möglich sein, wenn ausreichendes EBITDA vorhanden ist (§ 4h Abs. 2 Satz 3 EStG-E).

Wegfall des Stand-alone- und Equity-Escape

  • Der Stand-alone-Escape (§ 4h Abs. 2 lit. b EStG) befreit Betriebe von der Zinsschranke, die nicht vollständig in einen Konzern einbezogen werden bzw. deren Finanz- und Geschäftspolitik nicht einheitlich bestimmt wird. Nach der ATAD ist es zulässig, „eigenständige Unternehmen“ von der Zinsschranke auszunehmen (Art. 4 Abs. 3 lit. b ATAD). Die ersatzlose Abschaffung des Stand-alone-Escape ist abzulehnen, vielmehr wäre eine Modifikation des Stand-alone-Escape das mildere und wachstumsfreundlichere Mittel der Wahl. Ein „eigenständiges Unternehmen“ wäre nach der ATAD zinsschrankenfrei, wenn es nicht für Rechnungslegungszwecke vollständig in einer Gruppe konsolidiert wird und weder über ein verbundenes Unternehmen (mind. 25%-Beteiligung iSv. Art. 2 Abs. 4 ATAD) noch über eine Betriebsstätte verfügt.
  • Auch die vorgesehene Streichung des EK-Escapes (§ 4h Abs. 2 lit. c EStG) ist abzulehnen. Aktuell ist ein EK-Escape vereinfacht gesagt möglich, wenn die betriebliche EK-Quote des zinsschrankenbefangenen Betriebs die EK-Quote des Konzerns nicht wesentlich unterschreitet. Dass der EK-Escape in der Praxis nur selten beansprucht wird, liegt an der Überregulierung der ergänzenden Vorschriften zur Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 8a Abs. 3 KStG). Diese Regelung macht den EK-Escape in vielen Fällen undurchführbar (s. F.). Bei steigenden Zinsen wird auch die Relevanz des EK-Escape steigen. Für die Immobilienwirtschaft kann dieser Escape hilfreich sein. Da die ATAD ebenfalls einen EK-Escape ermöglicht (Art. 4 Abs. 5 ATAD), ist der Gesetzgeber gut beraten, wenn er den EK-Escape praktikabel in den Grenzen des Mindeststandards der ATAD modernisiert. Das wäre ein wachstumsförderlicher Impuls.

Änderungen in § 8a KStG

Mit dem Wegfall des Stand-alone- und EK-Escape korrespondiert der Wegfall von § 8a Abs. 2 und Abs. 3 KStG, die je Escape spezifische Rückausnahmen bei schädlichen Gesellschafterfremdfinanzierungen vorsehen. Insbesondere § 8a Abs. 3 KStG hat in multinationalen Unternehmensgruppen dafür gesorgt, dass der EK-Escape nicht angewendet werden kann, weil es aufgrund des sehr weiten und unklaren Anwendungsbereichs faktisch unmöglich ist, das Nichtvorliegen einer schädlichen Gesellschafterfremdfinanzierung positiv nachzuweisen. Eine Zinsschrankenreform sollte nicht den EK-Escape abschaffen (s.o. E.), sondern die daran anknüpfende Regelung über eine schädliche Gesellschafterfremdfinanzierung beseitigen. Im Lichte der geplanten Einführung einer Zinshöhenschranke (§ 4l EStG-E) für Finanzierungen zwischen Nahestehenden sollten § 8a Abs. 2 und Abs. 3 KStG gestrichen und an den Escape-Vorschriften festgehalten werden.

Zinsschrankenprivileg für öffentliche Infrastrukturprojekte

Nach der ATAD können Finanzierungsaufwendungen im Zusammenhang mit langfristigen öffentlichen Infrastrukturprojekten von der Zinsschranke ausgenommen werden. Dies ist bereits nach dem Zinsschrankenerlass des BMF grundsätzlich möglich. Dieses Privileg soll nun aber in § 4h Abs. 6 EStG-E normiert werden.
 

Der Referentenentwurf zum Wachstumschancengesetz enthält eine Vielzahl steuerlicher Maßnahmen für Unternehmen. Die folgenden Maßnahmen werden in dieser Blog-Reihe tiefergehend betrachtet: