Am 17.07.2024 veröffentlichte das Finanzgericht (FG) Niedersachsen sein Urteil vom 03.08.2023 (10 K 117/20) über die Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung. Die Klägerin wurde von Flick Gocke Schaumburg mit einem interdisziplinären Team (Prof. Dr. Michael Hendricks, Dr. Markus Greinert, Dr. Susann Karnath und Dr. Andreas Leonhardt) im Klageverfahren vertreten.

Der Urteilsfall betrifft die Einkünftekorrektur bei einer Übertragung von Aktivitäten und Risiken auf eine Prinzipalgesellschaft im Ausland und thematisiert vor allem den Tatbestand der Funktionsverlagerung. Das Gericht stellt dabei klar, dass bloße Gewinnveränderungen noch keine Übertragung von Geschäftschancen begründen, die zur Annahme einer Funktionsverlagerung führen könnten. Vielmehr kommt es stets auf den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt an. Dieser war zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits streitig. Das Gericht ist der mit Beweismitteln unterlegten Sachverhaltsdarstellung der Klägerseite gefolgt.

Sachverhalt

Die Klägerin ist Organträgerin mehrerer operativer deutscher Gesellschaften, die international in die „A-Gruppe“ integriert sind. Diese waren für die Produktion und den Vertrieb von Produkten auf dem B2B-Markt zuständig. Die dazu erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgüter waren Eigentum der verbundenen US-Gesellschaft „B“, die diese an die operativen deutschen Gesellschaften lizenzierte. Die wichtigsten strategischen Entscheidungen der operativen deutschen Gesellschaften wurden von der französischen Konzerngesellschaft „C“ auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags getroffen.

Zum 01.01.2011 wurde von der A-Gruppe eine europaweite Prinzipalstruktur eingeführt, mit der in der Schweiz ansässigen „E“ als neuer Prinzipalgesellschaft und den operativen deutschen Gesellschaften als Auftragsfertiger und risikoarme Vertriebsgesellschaften für E. Hierfür übernahm E die strategische Entscheidungsfunktion von C. Zudem schloss B einen Lizenzvertrag mit E über die für die Produktion und den Vertrieb erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgüter ab und kündigte den Lizenzvertrag mit den operativen deutschen Gesellschaften zum 01.01.2013 mit Ende der festen Laufzeit. Da die operativen deutschen Gesellschaften für den Zeitraum zwischen der Einführung des Prinzipalmodells bis zum Ende der Laufzeit des Lizenzvertrags auf die Ausübung des Lizenzvertrags verzichteten, erhielten sie hierfür eine Ausgleichszahlung von E. Es wurden keine materiellen Wirtschaftsgüter auf E übertagen.

Die Finanzverwaltung sah in der Umstrukturierung die Voraussetzungen für eine Funktionsverlagerung erfüllt und legte der Korrektur eine Transferpaketbewertung zugrunde. Die hiergegen gerichtete Klage wurde nun vollumfänglich zugunsten der Klägerin entschieden.

Entscheidung des FG Niedersachsen

Das FG Niedersachsen erachtete die Klage für begründet und erklärte den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig. Das Gericht verneinte sowohl den Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung als auch einer Funktionsverlagerung.

Voraussetzungen für eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht erfüllt

Nach Auffassung des FG fehlte es im Urteilsfall an einer Übertragung einer konkreten Geschäftschance in Form einer vermögenswerten Position. Die operativen deutschen Gesellschaften übten weiterhin weitgehend unverändert die Produktions- und Vertriebsaktivitäten aus. Dem niedrigeren Funktions- und Risikoprofil unter dem Prinzipalmodell stand die Vergütung mit festen Gewinnmargen gegenüber. Der vorzeitige Verzicht auf die Nutzung des Lizenzvertrages wurde durch eine der Höhe nach angemessene Entschädigung ausgeglichen.

Voraussetzungen für eine Funktionsverlagerung ebenfalls nicht erfüllt

Im Zuge der Einführung des Prinzipalmodells wurden keine materiellen Wirtschaftsgüter von den operativen deutschen Gesellschaften auf den Schweizer Prinzipal E übertragen. Es fehlte auch an einer Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern. Diese standen vor und nach der Umstrukturierung im Eigentum der B und wurden mittels nicht exklusiver Lizenzverträge an die operativen deutschen Gesellschaften und später an die E überlassen. Nach Auffassung des FG stellt auch der vorzeitige Verzicht auf die Nutzung der Lizenzen aus dem eigenen Lizenzvertrag keine Übertragung von Lizenzen der operativen deutschen Gesellschaften unmittelbar an die E dar.

Ferner fehlt auch die Voraussetzung der Verknüpfung der Überlassung von Wirtschaftsgütern und/oder sonstigen Vorteilen mit der Ausübung der Funktion, da E die strategischen Entscheidungen von der C übernommen hatte.

Damit lagen auch die Voraussetzungen für eine Gewinnkorrektur aufgrund einer Funktionsverlagerung nicht vor.

Abschließender Hinweis                                                                                          

Mit dem Urteil setzt sich erstmals ein FG mit dem Thema Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit der Implementierung einer Prinzipalstruktur auseinander. Dabei stellt das Gericht klar, dass aus bloßen Gewinnveränderungen, die aus der Umstellung der Klägerin in eine risikoarme Produktions- und Vertriebsgesellschaft resultierten, noch keine Übertragung von Geschäftschancen oder sonstigen Vorteilen abgeleitet werden kann. Vielmehr kommt es stets auf die konkreten Tatbestandsmerkmale einer Funktionsverlagerung an. Ist zwischen den Beteiligten bereits der Sachverhalt streitig, hat eine gründliche Aufbereitung des Sachverhalts und die Unterlegung des dargelegten Sachvortrags mit geeigneten Beweismitteln Vorrang vor der Belehrung der Gegenseite mit komplexen Theorien zur Auslegung der FVerlV.