Vertikale Preisbindung: Fritz! Box Hersteller AVM erhält Millionen-Bußgeld

09.07.2024 | FGS Blog

Das Bundeskartellamt gab in einer Pressemitteilung am 02.07.2024 und einem Fallbericht vom 08.07.2024 bekannt, gegen die AVM Computersysteme Vertriebs GmbH eine Geldbuße in Höhe von insgesamt knapp 16 Mio. Euro wegen vertikaler Preisbindung mit sechs Elektronikfachhändlern verhängt zu haben. Nicht jeder kennt das Unternehmen, aber viele seine Produkte. AVM ist der Hersteller der FRITZ!-Router und Repeater, die in zahlreichen deutschen Haushalten zum Einsatz kommen. Das Bundeskartellamt warf dem Unternehmen vor, mit den Händlern Endverbraucherpreise für FRITZ!-Produkte abgestimmt zu haben. Solche Absprachen stellen Verstöße gegen das Kartellverbot aus § 1 GWB und Art. 101 AEUV dar, weil sie die Preissetzungsfreiheit des Händlers einschränken und den Preiswettbewerb unter Händlern gegenüber Endkunden verringern.

Preisempfehlung, Preisbindung und Preispflege: Was ist erlaubt und was ist verboten?

Grundsätzlich sind zunächst unzulässige Preisbindungen von zulässigen Preisempfehlungen abzugrenzen. Preisempfehlungen liegen vor, wenn ein Hersteller seinen Händlern einseitig einen Preis für ein Produkt vorschlägt und keine Maßnahmen für den Fall vorsieht oder vornimmt, dass Händler diese Empfehlung unterschreiten oder anderweitig nicht einhalten. Dann liegt eine (echte) unverbindliche Preisempfehlung (UVP) vor, die den Tatbestand des Kartellverbots nicht erfüllt. Unverbindliche Preisempfehlungen bezwecken in der Regel, dem Verbraucher eine preisliche Orientierung für ein Produkt zu geben und zugleich dem Händler die Balance zwischen Margen- und Mengenoptimierung zu vereinfachen. Aber Vorsicht: Versucht der Hersteller, Druck auf die Händler auszuüben, seine Empfehlungen einzuhalten, mutiert einseitiges unverbindliches Verhalten in eine vertikale abgestimmte Verhaltensweise/Vereinbarung (§ 1 GWB) oder ein sonstiges wettbewerbswidriges Verhalten (§ 21 Abs. 2 GWB). Eine klar unzulässige vertikale Preisbindung liegt vor, wenn Hersteller verbindlich Fest- oder Mindestpreise festlegen (auch: resale price maintenance, RPM). Eine solche vertikale Preisbindung ist in Deutschland und der EU fast ausnahmslos unzulässig.

Eine wiederkehrende Praxis starker Markenhersteller ist die „Preispflege“. Hiermit wird etwas beschönigend der Versuch der Einflussnahme auf den Handel unterhalb der Schwelle harter Vereinbarungen beschrieben. So hat AVM nach den Feststellungen des Bundeskartellamts die Endverbraucherpreise fortlaufend durch Mitarbeiterrecherchen im stationären Handel und mithilfe von Preisvergleichsdiensten, später dann durch eine spezielle Software, beobachtet. Je nach Preislage erfolgten dann Interventionen per Telefon oder E-Mail unter Androhung von Lieferstopps oder Konditionenkürzungen gegenüber dem Handel. In der Folge haben Händler ihre Endverbraucherpreise nach oben angepasst und/oder sich auch über andere Händler beschwert, die sich nicht an die „Zielpreise“ hielten.

Die Übergänge von zulässiger Preisempfehlung und unzulässiger Preisbindung sind fließend. Dies legt u.a. das vom Bundeskartellamt im Jahr 2017 veröffentlichte Hinweispapier „Hinweise zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels“ nahe. Hiernach macht es einen Unterschied, ob und wie ein Händler auf die Mittteilung einer neuen UVP durch den Hersteller reagiert. Nur wenn der Händler auf die Mitteilung der UVP überhaupt nicht reagiert, handeln beide Seiten zweifellos kartellrechtskonform. Bereits im Graubereich bewegt sich ein Verhalten, das die Reaktion des Händlers zum Ausdruck bringt, einer UVP folgen zu wollen. Die Schwelle zur vertikalen Absprache ist u.a. dann überschritten, wenn der Hersteller erläutert, seine UVP in einem bestimmten Zeitfenster „durchsetzen“ und der Händler erklärt, „mitziehen“ zu wollen. Ebenfalls problematisch sind Hinweise des einen Händlers auf einen anderen, der die UVP „missachtet“. Hier kommt es vor, dass Händler dem Hersteller z.B. Nachweise über Aktionen ihrer Wettbewerber zukommen lassen, um auf diese Weise ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Wie stets im Kartellrecht muss das reale Geschehen, ggf. auch in seinen Feinheiten, gewürdigt werden. So erkannte der BGH einen Verstoß in dem Hinweis eines Herstellers an den Händler, dass dessen Preiskalkulation „betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbar“ sei, auch weil auf die Frage, ob ein Lieferstopp drohe, diese Äußerung nur wiederholt wurde statt sich eindeutig zur weiteren Belieferung zu äußern (Az. KZR 13/12).

Besonders mittelständische Unternehmen scheinen von Bußgeldentscheidungen betroffen

Die dargestellten roten Linien können im vertrieblichen Alltag aus dem Blickfeld geraten, jedenfalls wenn die kartellrechtliche Compliance nicht regelmäßig geschult wird. Die Entscheidungspraxis zeigt, dass es nicht selten mittelständische Unternehmen sind, die ihre Lernkurve auf die schmerzhafte Art nachholen müssen. In den letzten Jahren ergingen Bußgeldentscheidungen wegen vertikaler Preisbindung an die Pfanner Schutzbekleidung GmbH, einen Hersteller von Funktions- und Schutzkleidung (Februar 2024), 2021 an die Bose GmbH, einen Hersteller von Lautsprechern und Kopfhörern, an die  FOND OF GmbH, einen Hersteller von Schulrucksäcken, und Hersteller und Händler von Musikinstrumenten sowie 2018 an den Fahrradgroßhändler ZEG Zweirad-Einkaufsgenossenschaft eG (ZEG) und gegen namhafte Hersteller von Möbeln und 2014 gegen einen Hersteller von Matratzen.

Die Lehren aus der Entscheidung

Der Fall AVM belegt, dass das Verbot der Preisbindung den korrekten Umgang mit Fragen der Preisgestaltung determiniert. Die vertikale Preisbindung, aber auch die übergriffige „Preispflege“ mancher Hersteller, führt in praktisch allen Fällen, die beim Bundeskartellamt aktenkundig werden, zu erheblichen Geldbußen. Daneben drohen den Herstellern Schadensersatzklagen der Händler, die ggf. mit Liefersperren belegt wurden, aber auch der Endkunden, die Waren aufgrund der Preisbindung eventuell überteuert erworben haben.

Der Fall AVM zeigt zudem nachdrücklich, dass – auch wenn die Beteiligten verdeckt handeln – anonyme Hinweise zu Durchsuchungen führen können. Sind problematische Verhaltensweisen dokumentiert oder durch Zeugenbeweis erwiesen, bleibt den Unternehmen nur die Schadensbegrenzung in Form einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung mit dem Bundeskartellamt. Besser ist es dann allemal, den Vertrieb und andere Personenkreise alle 12-24 Monate zur kartellrechtlichen Schulung zu bitten. In Zweifelsfällen bietet es sich insbesondere für „preisbewusste“ Hersteller auch an, ihre Vertriebs- und Preispolitik im Lichte der strengen Behördenpraxis einmal grundsätzlich abzusichern.